Israels Armee hat in der Nacht eine größere Operation im besetzten Westjordanland begonnen. Nach Angaben des Militärs laufen Anti-Terror-Einsätze in den nördlichen Städten Dschenin und Tulkarem, die als Hochburgen des palästinensischen Terrors gelten. Medienberichten zufolge setzte die Armee neben zahlreichen Infanteristen auch Drohnen und Scharfschützen ein, zerstörte Infrastruktur mit Bulldozern und sperrte sämtliche Zufahrtswege nach Dschenin.
Dort seien drei Personen getötet worden, teilte das von der Fatah kontrollierte Gesundheitsministerium in Ramallah mit. Später meldete die palästinensische Nachrichtenagentur Wafa zwei weitere Tote bei einem Drohnenangriff des israelischen Militärs nahe der Ortschaft Tubas - und dann nochmals drei Tote bei einem anderen Drohnenangriff auf ein Fahrzeug südlich von Dschenin. Ob die Getöteten Terroristen waren, blieb bisher unklar.
Den Berichten zufolge handelt es sich um eine großangelegte Militäroperation. Der katarische Sender »Al-Dschasira« sprach gar vom größten derartigen Einsatz der israelischen Armee im Norden des Westjordanlands seit mehr als 20 Jahren. Dem Bericht zufolge sollen Palästinenser die Soldaten unter anderem im Flüchtlingsviertel Nur Schams in Tulkarem mit Schusswaffen und Sprengsätzen attackiert haben. Zusammenstöße gab es demnach auch in anderen Ortschaften im Westjordanland.
Verschärfte Lage
Die Agentur Wafa meldete, eine große Anzahl an Militärfahrzeugen sei nach Dschenin reingefahren. »Al-Dschasira« zufolge wurde die Stadt komplett abgeriegelt. Laut der israelischen Nachrichtenseite »ynet« sollten von den Sicherheitskräften gesuchte Personen in Flüchtlingsvierteln in Dschenin und Tulkarem festgenommen werden.
Israelischen und palästinensischen Medien zufolge umstellten die Einsatzkräfte auch Krankenhäuser in beiden Städten und blockierten Krankenwagen. Die Armee kontrolliere den Zutritt zu den Klinikgebäuden, um zu verhindern, dass sich Terroristen dort verschanzen, meldete »ynet«.
Die ohnehin gespannte Lage im Westjordanland hat sich seit dem Hamas-Massaker mit 1200 Mordopfern am 7. Oktober 2023 und dem dadurch ausgelösten Beginn des Gaza-Kriegs deutlich verschärft. Vor allem in Dschenin und Tulkarem gibt es immer wieder Razzien der israelischen Armee gegen den Terror.
Tunnel durchkämmt
Im Grenzgebiet zum Libanon kommt es derweil weiterhin nahezu täglich zu Attacken der Hisbollah. Israel reagiert entsprechend. Nun berichteten libanesische Sicherheitsquellen von einem mutmaßlich israelischen Drohnenangriff auf einen Lastwagen im Nordosten des Libanon, rund 100 Kilometer von der Grenze entfernt. Augenzeugen zufolge kam es nach dem Angriff zu Explosionen. Möglicherweise habe der Lkw Waffen für die Hisbollah transportiert, hieß es.
Für einen Hoffnungsschimmer inmitten der anhaltenden Gewalt im Nahen Osten sorgte die Befreiung einer Geisel der Hamas durch israelische Spezialeinheiten am Dienstag. Die Soldaten fanden Kaid Farhan Alkadi nach Armeeangaben unbewacht in einem der vielen Tunnel der Hamas unter dem Gazastreifen.
Zuvor hätten sie das unterirdische Tunnelsystem tagelang durchkämmt, berichtete das »Wall Street Journal« unter Berufung auf einen Militärvertreter. Die Zeitung »Haaretz« berichtete unter Berufung auf die Armee, Alkadi habe die Soldaten während des Einsatzes gehört und ihnen zugerufen.
Kaum Tageslicht
Es ist das erste Mal, dass israelische Einheiten eine Geisel lebend aus einem Tunnel der Hamas retten konnten. Die sieben zuvor befreiten Entführten waren von Einsatzkräften unter hohem Blutzoll aus Häusern im Gazastreifen geholt worden.
Die nun befreite Geisel, ein 52 Jahre alter Beduine, wird derzeit im Krankenhaus behandelt und ist israelischen Angaben zufolge bei guter Gesundheit. Angehörige beschrieben ihn nach ihrem Wiedersehen als abgemagert. Er soll im Tunnel kaum Tageslicht gesehen und auch miterlebt haben, wie eine Geisel neben ihm starb.
Israelische Politiker sowie Angehörige äußerten große Freude über seine Rückkehr nach 326 Tagen Geiselhaft. Regierungschef Benjamin Netanjahu und Präsident Izchak Herzog telefonierten mit Alkadi, der den Politikern laut Herzogs Büro mit auf den Weg gab: »Tun Sie alles, was Sie können, um die Menschen nach Hause zu bringen. Arbeiten Sie 24 Stunden am Tag und schlafen Sie nicht, bis sie zurückkommen.« Die Geiseln litten sehr, »das können Sie sich nicht vorstellen«.
Kämpfe und Verhandlungen
Israelischen Angaben zufolge war Alkadi am 7. Oktober aus einem Kibbuz an der Grenze zum Gazastreifen entführt worden, wo er als Wachmann arbeitete. Israelischen Medien zufolge hat er elf Kinder.
Insgesamt verschleppten palästinensische Terroristen am 7. Oktober vergangenen Jahres mehr als 250 Menschen aus Israel in das Küstengebiet. Nach der zwischenzeitlich erreichten Freilassung dutzender Geiseln dürfte die Hamas nach israelischer Zählung noch 108 Entführte in ihrer Gewalt haben. Wie viele davon noch am Leben sind, ist unklar.
Unterdessen gehen die Kämpfe im Gazastreifen ebenso weiter wie die Bemühungen um eine Waffenruhe und Freilassung der verbliebenen Geiseln. Israelischen Medienberichten zufolge ist geplant, dass eine israelische Delegation zu weiteren Gesprächen über ein Abkommen mit der Hamas nach Doha reist. Die indirekten Verhandlungen, bei denen Katar sowie Ägypten und die USA zwischen den Konfliktparteien vermitteln, treten seit Monaten auf der Stelle. dpa/ja