Kirjat Schmona ist eine 23.000-Einwohner-Stadt im äußersten Norden Galiläas. Bis zur libanesischen Grenze sind es von hier nur wenige Kilometer.
Der Name der 1949 gegründeten Siedlung bedeutet auf Deutsch »Stadt der Acht«. Er erinnert an den zionistischen Pionier Joseph Trumpeldor und sieben seiner Kameraden, die 1920 im nahen Tel Hai bei einem Gefecht mit schiitischen Arabern getötet wurden.
GALILÄA Jahrzehntelang war Kirjat Schmona vor allem dann in den Nachrichten, wenn die Raketen der Hisbollah aus dem Libanon dort niedergingen. Doch in den letzten Jahren und insbesondere seit Beginn der Corona-Pandemie ist dort auch ein Zentrum für angewandte Wissenschaftsforschung entstanden.
Zentraler Teil dieses Forschungsclusters ist neben dem Tel Hai College das MIGAL Galilee Research Institute - ein Tochterunternehmen der Galilee Development Company und damit dem israelischen Wissenschafts- und Technologieministerium untergeordnet. MIGAL wurde 1978 auf lokale Initiative hin gegründet, um der örtlichen Landwirtschaft bei der Bewältigung von Problemen zu helfen, die durch die groß angelegte Trockenlegung eines Sumpfes im Hula-Tal entstanden waren.
PARTNERSCHAFT Seitdem hat sich das Institut zu einem international anerkannten multidisziplinären Forschungszentrum entwickelt, das 44 Forschungsgruppen unterhält und 90 Doktoranden beschäftigt. Nach wie vor sieht man sich in der Verpflichtung gegenüber der lokalen Landwirtschaft. Seit 2018 haben das Tel Hai College und MIGAL offiziell eine Forschungspartnerschaft - die einzige ihrer Art in Israel.
Fieberhaft wurde in Kirjat Schmona - wie auch an rund 250 anderen Orten weltweit – an einem wirksamen Impfstoff gegen das Coronavirus geforscht. Am Ende kamen andere Unternehmen wie BioNTech/Pfizer, Moderna, AstraZeneca und Johnson&Johnson als erste mit hochwirksamen Präparaten auf den Markt, und Israel impfte seine Bevölkerung mit den mRNA-Vakzinen von BioNTech und von Moderna.
WIRKSAMKEIT Doch der Forschung bei MIGAL und anderswo in Israel tat dies keinen Abbruch. Am Institut laufen aktuell Tests einer Schluckimpfung gegen Corona. Praxistests haben zwar noch nicht begonnen, und eine Marktreife des Präparats wird für dieses Jahr nicht mehr erwartet. Dennoch sind die Forscher optimistisch.
Im Juni legte die MIGAL-Tochter MigVax, wie das Projekt getauft wurde, die Ergebnisse vorklinischer Untersuchungen an Laborratten vor. Sie belegten die potenzielle Wirksamkeit des Präparats MigVax-101 als Antikörperbooster bei bereits geimpften Personen. Der Impfstoff soll alle Bereiche des körpereigenen Immunsystems ansprechen und im Blut, in den Schleimhäuten sowie den Zellen für einen besseren Schutz vor dem eindringenden Virus sorgen.
Ein Schluckimpfstoff soll erhebliche Vorteile gegenüber herkömmlichen Injektionsvakzinen bieten, da er zu Hause eingenommen werden kann. Im Gegensatz zu den mRNA-Impfstoffen von Moderna und BioNTech wäre das in Israel entwickelte Präparat zudem leichter zu transportieren und könnte im Kühlschrank gelagert werden.
VORTEILE Bei MigVax glaubt man, dass der Impfstoff auch deshalb gut ankommen wird, weil er sehr schnell an neu auftretende Varianten des Coronavirus angepasst werden kann. Die Proteinkomponenten seien zudem sehr stabil, was die Wirksamkeit über einen längeren Zeitraum hinweg erlaube, bevor eine Auffrischung notwendig werde.
Auch Impfskeptiker, so glaubt man in Kirjat Schmona, könnten womöglich besser erreicht werden, da das Präparat keine genetisch veränderten Komponenten enthält und nur auf Proteinen basiert. »Die Ergebnisse der Studie bestärken uns in unserer Zuversicht, dass unser oraler Subunit-Impfstoff MigVax-101 einen positiven Beitrag zu einer Welt leisten wird, die sich mit der neuen Realität nach der Pandemie auseinandersetzen muss«, so Itamar Shalit, Experte für Infektionskrankheiten bei MIGAL.
Orale Auffrischungsimpfstoffe würden es den Gesundheitsbehörden weltweit erlauben, aus dem «Panikmodus” herauszukommen und zu einer gewissen Routine im Pandemiemanagement überzugehen. Impfstoffe zum Schlucken könnten nicht nur Kosten senken, sondern auch die Reichweite der laufenden Impfprogramme erhöhen, glaubt Shalit.
GEFLÜGEL Ursprünglich hatte man bei MIGAL an einem Schluckimpfstoff gegen das Coronavirus bei Hühnern geforscht. Als Anfang 2020 das SARS-CoV-2-Virus beim Menschen auftauchte, beschloss man, sich auf die für den Menschen gefährliche Virusvarinte zu fokussieren. Die Herstellung eines Schluckimpfstoffs ist auch deshalb kompliziert, weil der Wirkstoff das Verdauungssystem passieren muss.
Das MigVax-Projekt ist nicht das einzige seiner Art in Israel. Das Unternehmen Oravax in Tel Aviv, bislang für seine Forschungen zu einer Insulinpille gegen Diabetes bekannt, kündigte schon vor ein paar Wochen Fortschritte in der Entwicklung seines Corona-Impfstoffs zur oralen Einnahme an und will demnächst in Israel Praxistests durchführen.