Das von israelischen Soldaten eingenommene Schifa-Krankenhaus in Gaza ist nach Angaben des von der Fatah kontrollierten Gesundheitsministeriums im Westjordanland weitgehend evakuiert worden. In der größten Klinik des Gazastreifens befänden sich nur noch 32 Frühgeborene und 126 Verletzte, die sich nicht selbst in Sicherheit bringen könnten, sagte Gesundheitsministerin Mai al-Kaila am Samstag vor Journalisten in Ramallah. Die »zurückgelassenen« Patienten müssten nun in andere Kliniken verlegt werden, entweder nach Ägypten oder ins Westjordanland, forderte die Ministerin. Nach der Evakuierung seien nur noch fünf Ärzte in dem Krankenhaus verblieben.
Die genauen Umstände der weitgehenden Evakuierung am Samstag blieben zunächst unklar: Nach palästinensischen Angaben wurden Patienten, Schutzsuchende und Mitarbeiter am Samstagmorgen gezwungen, die Klinik innerhalb einer Stunde zu verlassen. Israels Armee hingegen erklärte, zu keinem Zeitpunkt die Evakuierung von Patienten oder medizinischem Personal angeordnet zu haben. Die Ausweitung der Evakuierung geschehe auf Wunsch des Klinik-Direktors, erklärte das Militär.
Augenzeugen im Gazastreifen bestätigten der Deutschen Presse-Agentur, dass zahlreiche Menschen das Gelände der Klinik verließen.
Die israelische Armee erklärte, es gehe darum, weiteren Menschen, die zunächst in der Klinik Schutz gesucht hätten, die Evakuierung zu ermöglichen und »dies über den sicheren Weg zu tun«. Das Militär bot nach eigenen Angaben auch an, die Evakuierung von Patienten zu ermöglichen.
Die Armee veröffentlichte auch einen Mitschnitt, der den Angaben zufolge aus einem Telefonat zwischen einem Vertreter Israels und dem nicht namentlich genannten Direktor der Schifa-Klinik stammte. Darin sagt dieser, medizinische Teams hätten das Krankenhaus verlassen und er habe keine Kontrolle über deren Entscheidung. Letztlich wolle er, dass auch alle Patienten die Klinik verließen. Die Echtheit des Mitschnitts ließ sich zunächst nicht unabhängig überprüfen.
Hamas soll Klinik als Stützpunkt missbraucht haben
Gesundheitsministerin Al-Kaila sagte, die Klinik sei von den Israelis in einen Militärstützpunkt umgewandelt worden. Was Krankenhäusern, Ärzten und Patienten im Gazastreifen widerfahre, sei ein abscheuliches Verbrechen und ein »Völkermord am gesamten Gesundheitssektor«. Das Außenministerium im Westjordanland bezeichnete die Evakuierung der Klinik als »ethnische Säuberung«.
Dabei gibt es zahlreiche Hinweise, dass die Terroristen der Hamas die Klinik schon längst als Kommandozentrale missbraucht haben. Wenn zivile Einrichtungen militärisch genutzt werden, verlieren sie den im Völkerrecht festgeschriebenen Schutz und können zu legitimen Zielen werden.
Nach Angaben des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu haben Soldaten unter der Klinik eine unterirdische Hamas-Kommandozentrale entdeckt. Terroristen seien vor der Ankunft der Soldaten aus der Klinik geflüchtet, sagte er dem US-Radiosender NPR am Freitag. Das Militär, das bereits Waffenfunde in der Klinik veröffentlicht hatte, legte zunächst keine Belege für Netanjahus Aussage vor.
Israels Armee brachte eigenen Angaben zufolge gut 6000 Liter Wasser und gut 2300 Kilogramm Lebensmittel in das Schifa-Krankenhaus. In den Gebäuden und auf dem Gelände der Klinik hatten nach Beginn des Kriegs Tausende Schutz vor israelischen Bombardements gesucht. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hatte die Zahl der Menschen in der Klinik vor einigen Tagen noch mit rund 2000 angegeben, darunter vermutlich mehr als 600 Patienten.
Ärzte ohne Grenzen fordert Waffenstillstand
Israel ruft die Menschen in Gaza und dem nördlichen Gazastreifen seit Wochen dazu auf, aus Sicherheitsgründen in den Süden des abgeriegelten Küstenstreifens zu fliehen.
Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen und deren Angehörige sind nach Angaben der Hilfsorganisation in der Nähe des Schifa-Krankenhauses eingeschlossen. Insgesamt gehe es um 137 Menschen, darunter 65 Kinder, denen es wegen der anhaltenden heftigen Kämpfe in der Stadt Gaza nicht möglich sei, das Gebiet sicher zu verlassen, erklärte die Organisation am Samstag. Bisherige Versuche, die Mitarbeiter und deren Familien zu evakuieren, seien gescheitert. Es brauche dringend einen Waffenstillstand, um Tausende festsitzende Zivilisten sicher evakuieren zu können. Sonst liefen Menschen, denen es an Essen und Trinkwasser fehle, Gefahr, »in den nächsten Tagen, wenn nicht gar Stunden«, zu sterben, warnte die Organisation.
Die Mitarbeiter in Gaza hörten »die ständigen Geräusche von Schüssen, Granaten und Drohnen«, sagte Ann Taylor, Leiterin des Einsatzes von Ärzte ohne Grenzen in den palästinensischen Gebieten. »Wir können es hören, wenn wir mit ihnen telefonieren«. Die Evakuierungsroute in den südlichen Gazastreifen sei nach wie vor unsicher, so Taylor. »Sie sind verängstigt, die Lebensmittel sind ihnen schon vor einigen Tagen ausgegangen, und die Kinder sind durch das Trinken von Salzwasser krank geworden. Sie müssen jetzt evakuiert werden.« dpa/ja