Menschen in Deutschland und Israel blicken einer Studie der Bertelsmann-Stiftung zufolge sehr unterschiedlich auf das jeweils andere Land. 46 Prozent der Befragten in Deutschland haben eine gute Meinung über Israel, 34 Prozent eine schlechte. In Israel dagegen haben 63 Prozent eine positive und lediglich 19 Prozent eine schlechte Meinung von Deutschland.
Das geht aus der Studie »Deutschland und Israel heute: Zwischen Verbundenheit und Entfremdung« mit Daten von 2021 hervor, die am Freitag in Gütersloh vorgelegt wurde.
NAHOSTKONFLIKT Differenzen offenbaren sich auch in der Frage, ob sich aus Zweitem Weltkrieg und Holocaust eine besondere Verantwortung Deutschlands für das jüdische Volk ergibt. 58 Prozent in Israel zeigen sich davon überzeugt, in Deutschland waren es nur 35 Prozent. Dass sich aus der Geschichte eine Verantwortung für den Staat Israel ableitet, sehen sogar nur 27 Prozent der Befragten in Deutschland - in Israel sind es 57 Prozent.
61 Prozent der Teilnehmer der Online-Befragung in Israel erhoffen sich von der Bundesregierung eine politische Unterstützung ihrer Position im israelisch-palästinensischen Konflikt. Allerdings teilen nur 12 Prozent der Befragten in Deutschland diese Haltung.
Dagegen sind 64 Prozent der deutschen Befragten überzeugt davon, dass beide Seiten in diesem Konflikt zu gleichen Teilen nachgeben müssten. 55 Prozent der Befragten in Israel sehen hingegen die palästinensische Seite in der Verantwortung.
Unter den arabischen Israelis wünscht sich eine Mehrheit eine Unterstützung beider Seiten oder sogar nur Israels durch die Bundesregierung. Bemerkenswert sei auch, so die Studie, dass in derselben Bevölkerungsgruppe die Haltung, dass die palästinensische Seite mehr nachgeben sollte, eine Zustimmung von 41 Prozent erhalte.
Die Unterschiede in der gegenseitigen Wahrnehmung von Deutschen und Israelis seien auch das Ergebnis unterschiedlicher Sicherheitslagen und politischer Kulturen, erklärte Stephan Vopel, Israel-Experte der Stiftung. Auch manifestierten sich verschiedene Schlussfolgerungen aus der Geschichte: »Für die allermeisten Deutschen gilt weiter die Maxime ’nie wieder Krieg‹.« Für Israelis heiße es dagegen »nie wieder Opfer«.
55 Prozent der Befragten in Israel äußern sich anerkennend über die Arbeit der Bundesregierung, 12 Prozent negativ. In Deutschland bewerten dagegen nur 24 Prozent die israelische Regierung als positiv, 43 Prozent äußern sich negativ, 32 Prozent sind unentschlossen. Die Studie wurde bereits im Spätsommer und Herbst vergangenen Jahres durchgeführt, also noch vor dem Regierungswechsel in Deutschland.
JÜNGERE Auffällig sind laut Stiftung die Auffassungen unter den jüngsten Befragten, der 18- bis 29-Jährigen. Während sie in Deutschland etwa die Bedeutung der Vergangenheit vor allem auf eine Verantwortung Deutschlands gegenüber dem jüdischen Volk (Zustimmung Deutsche: 44, Israelis: 53 Prozent) bezögen, sähen sie in Israel eine deutsche Verantwortung vor allem im Blick auf eine Unterstützung des Staates Israel (Zustimmung Israelis: 54, Deutsche: 25 Prozent).
Was Antisemitismus angeht, äußerten sich knapp ein Viertel der Befragten in Deutschland antisemitisch und stimmten der Aussage zu, Juden hätten auf der Welt zu viel Einfluss. »Weiteren Anlass zur Sorge bereiten Äußerungen eines israelbezogenen Antisemitismus«, heißt es in dem Bericht: 36 Prozent setzten die israelische Politik gegenüber den Palästinensern mit der Behandlung von Juden in der NS-Zeit gleich. Künftig müsse noch stärker in Bildungsarbeit und Aufklärung investiert werden, forderte Joachim Rother von der Bertelsmann-Stiftung.
ZUSAMMENARBEIT In Deutschland wurden repräsentativ 1271 Menschen ab 18 Jahren befragt, in Israel 1372. Geht es um die deutsch-israelische Zusammenarbeit, zeigen sich die Befragten in allen Altersgruppen insgesamt zufrieden. So vertritt eine Mehrheit der befragten Deutschen (56 Prozent) und Israelis (68 Prozent) die Auffassung, dass die Kooperation zwischen beiden Ländern sehr gut oder eher gut funktioniere.
Vier von fünf Israelis (78 Prozent) sowie jeder zweite Deutsche (53 Prozent) wünschen sich mehr Zusammenarbeit, in Wirtschaft, Forschung und in Form von Städtepartnerschaften. Während die Israelis mehr auf militärische Kooperation setzten, wünschten sich die Deutschen vor allem eine engere Zusammenarbeit in zivilen Bereichen.
»In den vergangenen Jahrzehnten wurde viel für das deutsch-israelische Verhältnis erreicht«, sagte Studienleiter Rother. Die Anzeichen einer möglichen Entfremdung der beiden Länder zeigten aber auch, dass eine intensive Auseinandersetzung mit den unterschiedlichen Perspektiven und Lebensrealitäten durch direkte Begegnungen und Dialog unabdingbar sei.
Die Bertelsmann-Umfrage wurde bereits zwei Mal zuvor, 2008 und 2015, durchgeführt. Allerdings könne man angesichts veränderter Erhebungsmethoden keine Vergleiche ziehen zwischen der jetzt vorgelegten Studie und den beiden vorausgegangenen, betonten Vopel und Rother. (mit epd und mth)
Lesen Sie mehr dazu in der kommenden Printausgabe der Jüdischen Allgemeinen.