Israel, das Land, das am 7. Oktober von der palästinensischen Terrororganisation Hamas mit Massakern attackiert wurde und sich nun wehrt, um seine Bevölkerung zu schützen, gerät immer stärker unter Druck.
Die USA und die EU wollen eine sofortige Waffenruhe in Gaza, während Israel an seinen Kriegszielen festhält. Neben einer Zerschlagung der Hamas geht es dabei auch um eine Befreiung der mehr als 100 in der Gewalt der Hamas befindlichen Geiseln.
Der Weltsicherheitsrat wird nach Angaben von Diplomaten voraussichtlich noch heute über einen von den USA eingebrachten Resolutionsentwurf abstimmen, in dem eine sofortige und anhaltende Waffenruhe gefordert wird. Auch die Staats- und Regierungschefs der EU verlangten bei einem Gipfeltreffen angesichts der furchtbaren Not der Zivilbevölkerung in Gaza eine sofortige Feuerpause, wie EU-Ratspräsident Charles Michel am Donnerstagabend mitteilte.
Gleichwohl plant Israel weiterhin eine Bodenoffensive in Rafah. »Selbst wenn sich die ganze Welt gegen Israel wendet, einschließlich der Vereinigten Staaten, werden wir kämpfen, bis die Schlacht gewonnen ist«, sagte Israels Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, am Donnerstag in einem Podcast.
Formel für Waffenstillstand
Sollte die Resolution im UN-Sicherheitsrat gebilligt werden, wäre es das erste Mal seit Beginn des Krieges, dass sich das mächtigste Gremium der Vereinten Nationen geschlossen für eine anhaltende Waffenruhe im Gazastreifen ausspricht.
In einer offensichtlichen Reaktion auf die Beschlussvorlage der USA schrieb Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gilad Erdan, auf der Plattform X (früher Twitter): »Es gibt nur eine Formel für einen sofortigen Waffenstillstand - die Hamas muss die Geiseln freilassen und sich selbst stellen. Das ist es, was die Welt fordern sollte.«
Obwohl die Resolution laut US-Beamten darauf abziele, die Hamas unter Druck zu setzen, eine Waffenruhe zu akzeptieren, sende sie ein mindestens ebenso starkes Signal an Israel, zitierte das »Wall Street Journal« Richard Gowan, Direktor bei der International Crisis Group.
Blinken und Barnea
Seit Kriegsbeginn hatte sich die US-Regierung als engster Verbündeter Israels gegen das Wort »Waffenruhe« gewandt und im Weltsicherheitsrat drei Vetos gegen entsprechende Resolutionen eingesetzt. Angesichts der humanitären Lage in Teilen des Küstenstreifens verstärken die USA nun aber den Druck auf die israelische Regierung.
US-Außenminister Antony Blinken, der zurzeit wieder Gespräche im Nahen Osten führt, hatte nach Informationen des US-Senders CNN Anfang des Monats Katar aufgefordert, auch die Hamas unter Druck zu setzen. Katar solle der Hamas androhen, ihre ranghohen Vertreter aus dem Land auszuweisen, wenn sie bei den Verhandlungen über eine Feuerpause und damit verbundene Freilassung von Geiseln nicht einlenke, berichtete CNN am Donnerstag unter Berufung auf zwei US-Beamte.
Blinken wird an diesem Freitag in Israel erwartet. Am selben Tag wird der Chef des israelischen Auslandsgeheimdienstes Mossad, David Barnea, erneut nach Katar reisen, um an den von Ägypten, den USA und Katar vermittelten Verhandlungen teilzunehmen. Barnea werde sich mit CIA-Direktor William Burns, Katars Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani und dem ägyptischen Geheimdienstminister Abbas Kamel treffen, teilte das Büro von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu am Donnerstagabend mit.
»Wir haben keine andere Wahl«
Vor seinen Gesprächen in Israel hatte Blinken bei einem Besuch in Ägypten erneut vor einer israelischen Militäroffensive in Rafah im äußersten Süden des Gazastreifens gewarnt. »Wir haben sehr deutlich gemacht, dass eine Bodenoffensive in Rafah ein Fehler wäre und das können wir nicht unterstützen«, sagte Blinken am Donnerstag nach dem Treffen mit seinem ägyptischen Kollegen Samih Schukri.
In Rafah suchen Schätzungen zufolge derzeit 1,5 Millionen der 2,2 Millionen Bewohner Gazas Schutz vor den Kämpfen in den anderen Teilen des Küstengebiets. Auch befindet sich dort der Grenzübergang zu Ägypten, über den Hilfslieferungen in den Gazastreifen gelangen. Israel hat jedoch mehrfach erklärt, die Binnenflüchtlinge in Rafah würden im Fall einer Bodenoffensive evakuiert.
»Wenn man vier Bataillone (der Hamas) in Rafah lässt, hat man den Krieg verloren, und Israel wird den Krieg nicht verlieren«, sagte der israelische Minister für strategische Angelegenheiten, Ron Dermer, am Donnerstag im Podcast »Call Me Back« des amerikanisch-kanadischen Kolumnisten und Politikberaters Dan Senor. »Wir haben keine andere Wahl«, sagte Dermer weiter.
Beschleunigte Waffenlieferungen
Der israelische Verteidigungsminister Joav Galant wird einem Medienbericht zufolge kommende Woche mit einer langen Wunschliste von US-Waffen nach Washington kommen. Wie das Nachrichtenportal »Axios« am Donnerstag (Ortszeit) unter Berufung auf zwei israelische und US-Beamte berichtete, möchte Israel diese Waffen schnell von seinem Verbündeten erhalten.
Dabei handele es sich nicht nur um Nachschub für den seit mehr als fünf Monaten andauernden Krieg im Gazastreifen, sondern auch um langfristigen Bedarf, darunter der Kauf weiterer F-35- und F-15-Kampfflugzeuge. Israel wolle die Belieferung mit diesen Flugzeugen und anderen Waffensystemen durch die USA beschleunigen, hieß es.
Galant wird in der kommenden Woche in Washington erwartet und dort unter anderem mit seinem US-Amtskollegen Lloyd Austin zusammentreffen. Beide hatten am Mittwoch miteinander telefoniert.
Alternativen zu Offensive
Seit Beginn des Krieges im Oktober seien die israelischen Streitkräfte zunehmend auf US-Waffen angewiesen, berichtete »Axios«. Dies wäre umso mehr der Fall, wenn der Konflikt mit der Hisbollah-Miliz im Libanon eskalieren sollte, hieß es.
Getrennt von Galants Besuch wird auch eine israelische Delegation kommende Woche auf Aufforderung der US-Regierung nach Washington reisen. Dermer wird laut Berichten mit dabei sein. Bei dem Treffen will die US-Regierung der israelischen Seite laut Berichten Alternativen zu einer Bodenoffensive in Rafah aufzeigen.
Auch die EU-Staaten forderten Israel beim Gipfeltreffen in Brüssel in einer Erklärung auf, in Rafah keine Bodenoffensive zu beginnen, die die schon jetzt katastrophale humanitäre Lage weiter verschlimmern und die dringend benötigte Grundversorgung mit humanitärer Hilfe verhindern würde.
Unterdessen kam es in Israel erneut zu Protesten gegen die Regierung von Ministerpräsident Netanjahu. Etwa 2000 Menschen hätten am Donnerstag in der Nähe seines Hauses in Caesarea seinen Rücktritt und die sofortige Rückkehr der Geiseln gefordert, berichteten israelische Medien. Dabei sei es zu Zusammenstößen mit der Polizei gekommen. Die Demonstranten wollen ihre Protestaktionen demnach bis Freitag fortsetzen. dpa/ja