Israel hat nach einer deutlichen Warnung des Verbündeten USA »sofortige Schritte« zur Erhöhung humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung im Gazastreifen beschlossen. Das Kriegskabinett entschied am frühen Freitagmorgen (Ortszeit), den Hafen von Aschdod sowie den Grenzübergang Erez vorübergehend für Hilfslieferungen zu öffnen, wie die israelischen Zeitungen »Haaretz« und »Times of Israel« unter Berufung auf eine Mitteilung des Büros von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu meldeten.
Dadurch kann leichter Hilfe in den besonders von Lebensmittelmangel betroffenen Norden Gazas gelangen. Auch die über den Grenzübergang Kerem Schalom aus Jordanien kommende Hilfe werde aufgestockt, hieß es. Die USA begrüßten die Ankündigung.
Allerdings wurde die Menge der nach Gaza eingeführten Hilfsgüter auch schon bisher nicht begrenzt – zumindest nicht durch Israel, wie auch die CDU-Politikerin Julia Klöckner nach einem Besuch bestätigte.
Spezifisch und konkret
US-Präsident Joe Biden hatte Netanjahu am Donnerstag in einem Telefonat nach Angaben des Weißen Hauses dennoch aufgefordert, eine Reihe »spezifischer, konkreter und messbarer Schritte« zu unternehmen, um das Leid für die Menschen in Gaza zu verringern und den Schutz von Helfern zu erhöhen. Die künftige US-Politik in Bezug auf Gaza hänge davon ab, wie Israel diese Maßnahmen umsetze, warnte Biden.
Die USA begrüßten »die Schritte, die die israelische Regierung heute Abend auf Ersuchen des Präsidenten nach seinem Gespräch mit Premierminister Netanjahu angekündigt hat«, sagte die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrats, Adrienne Watson. Sie müssten »vollständig und rasch umgesetzt werden«.
Zu Wochenbeginn waren bei einem Luftangriff des israelischen Militärs sieben Mitarbeiter der Hilfsorganisation World Central Kitchen im Gazastreifen getötet worden. Nach dem Vorfall äußerte sich US-Präsident Biden »empört« und warf Israel vor, Helfer und Zivilisten nicht ausreichend zu schützen. Den Einwand von Regierungschef Netanjahu, die Attacke sei keine Absicht gewesen, ließ Biden nicht gelten - er hielt dagegen: »Das ist kein Einzelfall.«
Barnea und Burns
Biden forderte Netanjahu im Telefonat zudem auf, »unverzüglich« ein Abkommen zu schließen, um die Geiseln in der Gewalt der Hamas zurückzuholen. Dies versucht Israel bereits seit Monaten. Im November wurden 105 Geiseln im Austausch gegen mehr als 400 palästinensische verurteilte kriminelle Häftlinge frei. Eine Fortsetzung des Austausches scheiterte an der Terrororganisation Hamas, die die damit verbundene Waffenruhe brach.
Wie der gewöhnlich gut unterrichtete israelische Journalist Barak Ravid am Freitagmorgen im Nachrichtenportal »Axios« unter Berufung auf zwei mit der Angelegenheit vertraute Quellen berichtete, soll nun CIA-Direktor Bill Burns an diesem Wochenende zu Gesprächen mit dem Chef des israelischen Auslandsgeheimdiensts Mossad, David Barnea, sowie ranghohen Vertretern Katars und Ägyptens nach Kairo reisen, um ihre Freilassung zu erwirken.
Seit Wochen vermitteln die USA, Katar und Ägypten zwischen Israel und der Hamas, um eine neue Feuerpause und einen Austausch aus Israel verschleppter Geiseln gegen palästinensische Häftlinge zu erreichen. Knapp 100 Entführte in der Gewalt der Hamas dürften nach israelischen Schätzungen noch am Leben sein.
Die unter militärischem Druck stehenden Hamas-Terroristen, die bereits neue Massaker im Stil des 7. Oktober angekündigt hatten, verlangen einen kompletten Abzug Israels aus Gaza, damit sie sich neu formieren können.
Sehr besorgt
Unterdessen drohte Netanjahu für den Fall eines Angriffs des Irans auf sein Land mit Konsequenzen. »Seit Jahren agiert der Iran sowohl direkt als auch über seine Stellvertreter gegen uns. Deshalb geht Israel gegen den Iran und seine Stellvertreter vor, defensiv und offensiv«, sagte Netanjahu am Donnerstagabend zu Beginn einer Sitzung des israelischen Sicherheitskabinetts, wie sein Büro mitteilte.
»Wir werden wissen, wie wir uns zu verteidigen haben, und wir werden nach dem einfachen Prinzip handeln: Wer immer uns schadet oder plant, uns zu schaden, dem werden wir auch schaden«, sagte er demnach. Israels Regierung und die USA seien sehr besorgt, dass der Iran sich auf einen bevorstehenden Angriff vorbereitet, zitierte das Nachrichtenportal »Axios« amerikanische und israelische Beamte.
Nach einem mutmaßlich von Israels Militär geführten Luftangriff auf ein Gebäude der iranischen Botschaft in Syriens Hauptstadt Damaskus mit mehreren Toten hatte der Iran Vergeltung angekündigt. Bei dem Angriff am Montag waren zwei Brigadegeneräle und fünf weitere Mitglieder der mächtigen iranischen Revolutionsgarden getötet worden. Die Revolutionsgarden sind Irans Elitestreitmacht und werden mächtiger eingeschätzt als die konventionellen Streitkräfte.
Zugesicherte Unterstützung
Die iranischen Drohungen gegen Israel kamen am Donnerstag auch in dem Telefonat zwischen Biden und Netanjahu zur Sprache. Biden machte dabei nach Angaben des Weißen Hauses deutlich, dass die USA Israel angesichts dieser Drohungen unterstützen.
Die Unterstützung der USA für Israel, sich gegen eine Reihe von Bedrohungen zu verteidigen, bleibe »unumstößlich«, sagte der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrates, John Kirby, in Washington.
Israel habe den USA als Verbündeten mitgeteilt, dass der Iran, sollte er als Vergeltung für den tödlichen Angriff in Syrien einen Angriff von seinem Boden aus auf Israel starten, eine starke Reaktion Israels zu spüren bekäme und dies den aktuellen Konflikt auf eine andere Ebene bringen würde, zitierte »Axios« israelische Beamte. Auch nach Einschätzung der US-Regierung war Israel für den Angriff in Syrien verantwortlich. Von israelischer Seite wurde der Vorfall nicht kommentiert.
Neutralisierte Bedrohungen
Israels Militärsprecher Daniel Hagari bestätigte unterdessen am Donnerstagabend, das Positionsbestimmungssystem GPS im Land sei am Vortag bewusst gestört worden, um »Bedrohungen zu neutralisieren«. Er machte keine Angaben dazu, wo genau dies geschehen sei.
In israelischen Medien wurden die Drohungen aus dem Iran als mutmaßlicher Grund genannt. Hagari schrieb derweil auf der Plattform X (vormals Twitter), es sei nicht nötig, Generatoren zu kaufen, Lebensmittel zu lagern und Geld von Bankautomaten abzuheben.
Angesichts der Sicherheitslage hat Israel Urlaube in allen Kampfeinheiten zeitweilig gestoppt. »Die israelische Armee ist im Krieg und die Aufstellung der Streitkräfte wird ständig entsprechend der Notwendigkeiten angepasst«, teilte das Militär am Donnerstag mit. Die Entscheidung sei in Einklang mit einer Lagebewertung getroffen worden. Ob sich dies auf die neuen Spannungen mit dem Iran oder die Lage im Gaza-Krieg bezog, blieb unklar. Zuvor hatte die Armee angekündigt, Reservisten für die Raketenabwehr zu mobilisieren. dpa/ja