Wie entfesselt stürmte Tadej Pogacar die ultrasteile Rampe des legendären Puy de Dôme hinauf, sein großer Rivale Jonas Vingegaard kämpfte auf dem Vulkan kurz dahinter mit letzter Kraft um jede Sekunde. Die beiden Top-Stars lieferten bei der 110. Tour de France eine weitere famose Kletter-Show ab - mit einem Punktsieg für Pogacar.
Der zweimalige Toursieger knöpfte auf dem Berg der Champions dem Titelverteidiger acht Sekunden ab, das Gelbe Trikot bleibt aber auf den Schultern von Vingegaard.
Als Pogacar beim Etappensieg des kanadischen Ausreißers Michael Woods (Israel-Premier-Tech) die Wetterstation auf dem 1415 Meter hohen Gipfel nach 182,4 Kilometern erreichte, war der Slowene völlig am Ende. Beim Showdown setzte er einen weiteren Nadelstich - mehr aber auch nicht. So behält Vingegaard mit 17 Sekunden Vorsprung das Gelbe Trikot.
1,5 Kilometer vor dem Ziel setzte Pogacar eine seiner gefürchteten Attacken auf dem bis zu 18 Prozent steilen Anstieg. Vingegaard kämpfte verbissen um Anschluss - und hielt den Schaden in Grenzen. Damit hat sich Pogacar erneut in starker Verfassung gezeigt, nachdem er zum Auftakt in den Pyrenäen noch von Vingegaard düpiert worden war.
Den Tagessieg holte sich Woods, der mit 13 weiteren Fahrern früh ausgerissen war und am Ende das größte Stehvermögen hatte. Dahinter folgten der Franzose Pierre Latour und der Slowene Matej Mohoric. Deutsche Fahrer spielten bei der Tour-Rückkehr auf den Puy de Dôme keine Rolle. Bester Deutscher war nach der 13,3 Kilometer langen Kletterpartie mit durchschnittlich 7,7 Prozent Steigung der frühere Tour-Vierte Emanuel Buchmann, der in der Gesamtwertung 13. bleibt.
Altstar Mark Cavendish bekamen die mehreren hunderttausend Radsport-Fans nicht mehr zu sehen, nachdem der Ex-Weltmeister am Samstag mit einem Schlüsselbeinbruch aussteigen und seinen Traum vom historischen 35. Etappensieg aufgeben musste. Der Brite hätte mit einem weiteren Tagessieg den legendären Eddy Merckx endgültig hinter sich gelassen. Womöglich kommt der 38-Jährige, der in diesem Jahr eigentlich seine Karriere beenden wollte, aber im nächsten Jahr noch einmal zurück. Sein Astana-Teamchef Alexander Winokurow hat ihm sofort einen neuen Vertrag angeboten.
»Ich selbst habe mir 2011 bei der Tour einen Oberschenkelbruch zugezogen, es sollte mein letztes Jahr sein. Aber ich wollte nicht so aufhören. Ich verlängerte und kämpfte im darauffolgenden Jahr um den Sieg bei den Olympischen Spielen in London«, sagte Winokurow, der 2012 sogar vor dem Buckingham Palace Gold im olympischen Straßenrennen gewonnen hatte, der Sportzeitung »L’Equipe«. »Mark hat den gleichen Geist, den gleichen Willen, sein ultimatives Ziel zu erreichen. Wir sind bereit, ihm diese Möglichkeit zu bieten. Aber er wird entscheiden.«
Vorerst liegt Cavendish weiter gleichauf mit Merckx, der auf dem Puy de Dôme nie gewinnen konnte, auch weil ihm einmal ein Zuschauer einen Schlag in die Nierengegend versetzt hatte. Es war eine der vielen legendären Geschichten, die auf dem Anstieg geschrieben wurden. Wie auch das Ellbogen-Duell zwischen dem fünfmaligen Tour-Sieger Jacques Anquetil und dem ewigen Zweiten Raymond Poulidor, der seinen Rivalen zwar abhängte, aber Gelb um 14 Sekunden verfehlte.
Im Zeichen von Poulidor, dem 2019 gestorbenen Großvater von Klassikerspezialist Matthieu van der Poel, stand auch der Start der Etappe in Saint-Léonard-de-Noblat. Im einstigen Wohnort von »Poupou« legte Tourchef Prudhomme am Grab einen Kranz nieder, dazu wurde van der Poel vor dem Startschuss ein altes Rad seines Opas überreicht, was den Niederländer zu Tränen rührte.
Als das Feld rollte, waren erst einmal die Ausreißer am Zug. Eine Gruppe von 14 Fahrern setzte sich ab und fuhr einen Vorsprung von über 14 Minuten heraus. Das reichte, um beim Schlussanstieg nicht mehr eingeholt zu werden.
Nach dem ersten Ruhetag am Montag wird die Tour am Dienstag mit der zehnten Etappe über 167,2 Kilometer von Vulcania nach Issoire fortgesetzt. Bei fünf mittelschweren Bergwertungen gibt es ein ständiges Auf und Ab im Zentralmassiv, was einer Ausreißergruppe entgegenkommen sollte.