Bei vielen Israelis sorgen die neuesten Nachrichten aus dem Norden für Beunruhigung. Der Islamische Staat (IS) ist an der Grenze zu Syrien angekommen. Am Sonntag kam es zu einer ersten direkten Auseinandersetzung zwischen der israelischen Armee und Mitgliedern der Terrorgruppe auf den Golanhöhen. Mehrere IS-Männer wurden dabei nach Angaben der IDF getötet; die Soldaten blieben unverletzt. Am Tag darauf flog die Luftwaffe Einsätze gegen IS-Stellungen in Grenznähe auf syrischem Gebiet.
In den fünfeinhalb Jahren des Bürgerkrieges im Nachbarland waren bereits mehrere Male Mörsergranaten und andere Geschosse auf israelischem Gebiet gelandet. Die Armee war jedoch stets davon ausgegangen, dass es sich um Irrläufer handelte. Nicht so am Sonntag: Da lieferte sich die Gruppe Shuhada al-Yarmouk, die vor einer Weile Zugehörigkeit zum IS geschworen hatte, absichtlich einen Schusswechsel mit Soldaten der Golani-Einheit. Außerdem wurden mehrere Mörsergranaten auf israelisches Gebiet gefeuert.
Doch die Israelis waren auf einen Angriff vorbereitet. Ein Wagen, der nach Angaben des Militärs mit einem schweren Maschinengewehr ausgestattet war und jenseits des Zaunes in Richtung Israel fuhr, wurde von Einheiten aus der Luft ins Visier genommen und beschossen, als er sich näherte. Die vier Insassen seien dabei höchstwahrscheinlich getötet und die Waffen zerstört worden, so die IDF. Detailliertere Angaben gibt es nicht.
IDF Der Zwischenfall auf dem südlichen Golan war definitiv ein Erfolg für das abwehrende Militär. Ministerpräsident Benjamin Netanjahu erwähnte den Zwischenfall in der Kabinettssitzung am Sonntag und dankte den Soldaten dafür, dass sie »einen Angriff auf unsere nördliche Grenze mutig abgewehrt« hätten. Obwohl Sicherheitsexperten davon ausgehen, dass die Gruppe Shuhada al-Yarmouk mit ihren schätzungsweise 600 Mitgliedern in den Dörfern an der Grenze kein ernsthafter Gegner für die mächtige israelische Armee ist, so birgt die unmittelbare Nähe des IS zu Israel doch Gefahren. Auf der Website der IDF wird die Gruppe als aktiver Arm des IS beschrieben.
Die nächste Zeit wird zeigen, ob der Angriff eine Einzelaktion war oder der Beginn systematischer Attacken ist. Vor allem könnte er Indiz dafür sein, dass es mit dem relativen Frieden an der nordöstlichen Grenze vorbei und eine neue Front eröffnet ist. Die Ruhe hier hatte trotz der langen Zeit des grausamen und blutigen Bürgerkrieges gehalten. Israel war stets bemüht, zu betonen, dass es sich aus dem Konflikt heraushalten will und lediglich Vergeltung übt, sofern es angegriffen werden sollte.
Abkommen Durch den Bürgerkrieg sind die Golanhöhen auf syrischem Gebiet in den vergangenen drei Jahren komplett von Rebellengruppen eingenommen worden. Die Armee von Präsident Baschar al-Assad befindet sich lediglich noch an drei Stellungen: in der Stadt Neu-Kuneitra, im Drusendorf Khader und in den östlichen Hügeln des Berges Hermon.
Es ist kein Geheimnis, dass die Rebellen ein stillschweigendes Abkommen mit Israel darüber haben, dass sie die Gegend von Extremisten freihalten, allen voran der Al-Qaida-nahen Nusra-Front. Jerusalem schickt im Gegenzug Lebensmittel, Kleidung und Medikamente und lässt Verwundete einreisen, die in den Krankenhäusern des Landes behandelt werden. Mittlerweile gibt es Tausende von Syrern, die in den Städten Israels versorgt wurden und immer noch werden.
Eine Ausnahme im Rebellengebiet bildet die südliche Enklave im Grenzgebiet zwischen Israel, Syrien und Jordanien. Hier sind die Brigaden der feindlich gesinnten al-Yarmouk-Gruppe stationiert, die jetzt Israel attackierten. Der jüdische Staat ist nicht ihr einziger Gegner; immer wieder liefern sie sich Gefechte mit den syrischen Rebellen.
Gaza Sorge bereiten dem Sicherheitsapparat in Israel auch die möglichen Verbindungen der islamistischen Extremisten auf den Golanhöhen in den Gazastreifen. Bereits des Öfteren gab es vereinzelte Granatenangriffe, die von IS-Anhängern aus dem Streifen gen Israel gelenkt, jedoch von der Hamas weitgehend eingedämmt wurden.
In einem Interview mit der Nachrichtenagentur Reuters sagte der Außenminister von Katar, Scheich Mohammed bin Abdulrahman al-Thani, dass »der verarmte Gazastreifen ein Sprungbrett für die Rekruteure von Daesch werden könnte«. Daesch ist der arabische Ausdruck für den Islamischen Staat.
Katar wiederum ist ein Unterstützer der Hamas, die den Gazastreifen regiert. Der Scheich meinte, man müsse daran erinnern, dass »die israelische Besatzung nicht vergessen, die palästinensische Einheit gefördert und die Blockade gelockert« werden sollte. Sonst habe Daesch hier ein leichtes Spiel.
Eine Theorie lautet, dass die Entscheidung, Israel jetzt anzugreifen, lokal getroffen wurde, eine andere, dass der Befehl von der IS-Führung kam, um den jüdischen Staat zu provozieren. Vielleicht glaubt die Terrororganisation, sie müsse Stärke zeigen und Erfolge vorweisen, nachdem ihre Stellungen im Irak und einige in Syrien durch die Alliierten-Angriffe in den vergangenen Wochen stark geschwächt worden sind. In der Tageszeitung Haaretz wird eine Quelle aus der syrischen Opposition zitiert: »Der Angriff ist ein Versuch, die Israelis aktiv in die Kämpfe auf syrischem Gebiet einzubeziehen und die ganze Situation auf diese Weise zu ändern, sprich, die Karten neu zu mischen.«