Eine Hürde ist nun genommen: Am Mittwochnachmittag vergangener Woche beschloss die Knesset, das israelische Parlament, in erster Lesung ein Verbot der sogenannten Konversionstherapien zur »Heilung« von Homosexualität. 42 Abgeordnete stimmten für die Gesetzesvorlage, 36 waren dagegen.
Der Entwurf sieht vor, dass Psychologen, die gezielt die sexuelle Orientierung ihrer Patienten verändern wollen, für fünf Jahre ihre Zulassung verlieren können. Wer als Therapeut dennoch meint, Schwule und Lesben weiterhin auf den »richtigen Weg« bringen zu müssen, dem droht bei mehrfachen Verstößen sogar Gefängnis.
So weit, so gut. Denn wann am Ende ein richtiges Gesetz daraus wird, steht noch in den Sternen. Was man heute aber bereits weiß: Das Thema »Konversionstherapien« birgt eine Menge politischen Sprengstoff. Denn eingebracht wurde die Gesetzesvorlage von den oppositionellen Linkszionisten von Meretz sowie Merav Michaeli, einer Abgeordneten der Arbeitspartei, die wiederum in der Regierungskoalition von Netanjahu sitzt.
Staatspräsident Reuven Rivlin fand vor einigen Wochen klare Worte: »Die Krankheit, von der hier gesprochen wird, existiert nicht. Und deswegen gibt es auch keine Notwendigkeit für eine Heilung.«
Meretz-Parteiboss Nitzan Horowitz, selbst offen schwul lebend, gehört seit Jahren zu den Verfechtern eines solchen Verbots. »Es geht hier nicht um ein Dafür oder Dagegen, sondern darum, Leben zu retten«, hatte er im Vorfeld betont. »Vor allem dreht sich alles um die Frage des Missbrauchs von Minderjährigen, die davon betroffen sind. Und genau dieser muss durch ein Gesetz gestoppt werden.«
»UMPOLUNG« Konversionstherapien stehen bei Fachleuten nicht nur im Ruf, absoluter Humbug zu sein, sie gelten auch als gefährlich, weil auf die Betroffenen massiver psychologischer Druck ausgeübt wird, der nicht selten bereits zum Suizid geführt hat.
Der Streit darum ist in Israel bereits lang und heftig. Noch im Juli 2019 hatte der damalige Erziehungsminister Rafi Peretz von der nationalreligiösen Partei Jüdisches Haus erklärt, diese Form einer »Umpolung« zu unterstützen, womit er sich reichlich Ärger einhandelte. Aber Staatspräsident Reuven Rivlin fand vor einigen Wochen klare Worte: »Die Krankheit, von der hier gesprochen wird, existiert nicht. Und deswegen gibt es auch keine Notwendigkeit für eine Heilung.«
Unterstützung für ihre Initiative erhielten Horowitz und Michaeli von Verteidigungsminister Benny Gantz, immerhin wichtigster Koalitionspartner von Netanjahu. »Wir haben das versprochen, und wir werden es halten«, twitterte er. »Konversionstherapien wurden in Sünde geboren, weshalb sie außerhalb des Gesetzes und unserer gesellschaftlichen Normen stehen. Wir werden dafür sorgen, dass jede Person in Israel, unabhängig von ihrem Hintergrund oder ihrer sexuellen Orientierung, die freie Wahl und die Sicherheit hat, über ihre Identität selbst bestimmen zu können.«
Vor allem Vertreter der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Tora-Judentum liefen dagegen Sturm.
Genau damit war der Krach im Regierungsbündnis vorprogrammiert. Vor allem Vertreter der ultraorthodoxen Partei Vereinigtes Tora-Judentum liefen dagegen Sturm. Die Gesetzesvorlage würde die »Heiligkeit der Familie« verletzen, wie es ihr Abgeordneter Yitzhak Findrus ausdrückte. Deswegen würde man »jede Form einer Zusammenarbeit mit Blau-Weiß ab jetzt« beenden.
Außerdem revanchierte man sich mit einer Gesetzesvorlage, die es der Knesset erlauben würde, Entscheidungen des Obersten Gerichts außer Kraft zu setzen. Zudem wolle man Chametz zu Pessach in Krankenhäusern verbieten – beides sind Anliegen, die von Blau-Weiß abgelehnt werden.
VOTUM Dass die Initiative trotzdem von einer Mehrheit angenommen wurde, lag daran, dass sowohl Vertreter der Regierungs- als auch der Oppositionsparteien dafür votiert hatten. Die einzige Stimme aus dem Likud für ein Verbot kam von Amir Ohana, Minister für Öffentliche Sicherheit und ebenfalls homosexuell.
Vereinigtes Tora-Judentum, aber auch Likud, reagierten deshalb so verschnupft, weil sie von einer Gesetzesvorlage ausgegangen waren, die deutlich schwächer formuliert war, weshalb es bei der Abstimmung zum verbalen Schlagabtausch zwischen den Koalitionspartnern kam. »Das ist eine Frechheit und Unverschämtheit. Sie bringen uns noch zu Neuwahlen«, rief David Amsalem (Likud), Minister für Cyberspace und Nationale Digitale Angelegenheiten.
Eigentlicher Zankapfel sind ganz andere Themen, etwa der Haushaltsentwurf oder die Machtbefugnisse des Obersten Gerichts.
Damit ist der Streit um die Konversionstherapien zugleich Ausdruck des Umgangs miteinander im Regierungsbündnis. Nachdem Blau-Weiß der Initiative weitestgehend zugestimmt hatte, kündigte der Likud nun an, als Konter seinerseits Gesetzesvorlagen in den Ausschüssen zu blockieren. Auch geht es um ganz andere Themen, nämlich den Haushaltsentwurf und die Machtbefugnisse des Obersten Gerichts. Genau das sind die eigentlichen Zankäpfel zwischen Likud und Blau-Weiß.
Zwar wurde die Entscheidung für ein Verbot der fragwürdigen »Heilung« von Homosexuellen mit reichlich Applaus in der Knesset bedacht. Gleichzeitig aber sprachen die politischen Vertreter der Orthodoxie bereits eine Warnung an die Adresse des Verteidigungsministers aus. »Du wirst niemals Ministerpräsident«, brüllten sie ins Plenum. Die Drohung, die Koalition noch vor Übergabe des Stabs an Gantz im November 2021 platzen zu lassen, nimmt damit immer konkretere Züge an.