Für die einen ist er ein rotes Tuch, für andere dagegen ein potenzieller Hoffnungsträger. Die Rede ist von Mohammed Dahlan, einst Jassir Arafats »Mann fürs Grobe« im Gazastreifen. Neuerdings fällt immer wieder der Name des 1961 in Khan Yunis Geborenen, wenn es um Überlegungen geht, wer aus den Reihen der Palästinenser in der Zeit nach einem Waffenstillstand eine politische Rolle spielen könnte.
Laut »Wall Street Journal« gibt es bereits einen Plan, wonach Dahlan an der Spitze einer rund 2500 Mann starken palästinensischen Sicherheitstruppe stehen könnte, die mit amerikanischer und ägyptischer Rückendeckung, aber nicht im Namen der Palästinensischen Autonomiebehörde nach einem Rückzug Israels die Kontrolle vor Ort übernehmen soll.
»Kein Abbas, keine Hamas«
Es ist nicht der einzige Plan dieser Art, der kursiert. Im Februar hatten sich Vertreter von sechs arabischen Staaten in Saudi-Arabien getroffen, um gleichfalls über die Zukunft der Palästinenser zu sprechen. Eine erfahrene Person müsse die Verantwortung sowohl für den Gazastreifen als auch für jene Teile des Westjordanlands übernehmen, in denen die Autonomiebehörde in Ramallah noch den Ton angibt, so die Idee. Aber »kein Abbas, keine Hamas«, betonte der bei dem Treffen anwesende Dahlan, aus dessen Feder der Plan, der dort diskutiert wurde, stammen dürfte.
In Ramallah wird man über solche Nachrichten nicht sehr erfreut gewesen sein. Gerne würde Palästinenserpräsident Mahmud Abbas selbst ein Wörtchen mitreden, wenn es um die Zukunft des Gazastreifens geht. Darüber hinaus ist Dahlan einer seiner Intimfeinde. Der 88-Jährige Abbas behauptete mehrfach, er hätte seinerzeit Arafat vergiftet und würde auch ihm nach dem Leben trachten.
Bei der Hamas ist Dahlan ebenfalls kaum gelitten. Als Arafats Sicherheitschef im Gazastreifen hatte er in den 90er-Jahren so ziemlich jeden Vertreter der Terrororganisation einmal hinter Gitter gebracht: angefangen von Scheich Ahmed Jassin bis hin zu Mahmoud al-Zahar und Abd al-Aziz ar-Rantisi. Das brachte ihm den Ruf ein, »Kollaborateur mit dem zionistischen Feind« zu sein. Auch Folter soll in »Dahlanistan«, wie der Gazastreifen damals wegen seines brutalen Vorgehens genannt wurde, zum Einsatz gekommen sein. Die Hamas revanchierte sich in der Form, dass man 2007 unmittelbar nach ihrer Machtübernahme Dahlans Villa in Gaza abfackelte, weshalb er ins Westjordanland fliehen musste.
Konkurrent an der Spitze der Autonomiebehörde
Aber auch dort konnte Dahlan nicht lange bleiben, weil Abbas ihn bald schon als Konkurrenten an der Spitze der Autonomiebehörde sah. 2011 verschlug es ihn deshalb nach Abu Dhabi, wo er zum Berater von Kronprinz Mohammed bin Zayed aufstieg und enge Kontakte zu Ägyptens Präsidenten Abd al-Fattah al-Sisi und zum saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman knüpfte.
Dahlan wurde vermögend und sehr einflussreich. Bereits als PLO-Sicherheitschef im Gazastreifen hatte er munter Gelder auf sein Konto umgeleitet. Heute soll der 62-Jährige laut der israelischen Wirtschaftszeitung »Globes« 120 Millionen Dollar schwer sein. Sein guter Draht zu den Amerikanern und Israelis als auch zu den Akteuren am Golf hat ihm zudem politisches Gewicht verliehen. So habe er eine nicht unwesentliche Rolle beim Zustandekommen der Abraham-Abkommen gespielt, heißt es.
Als PLO-Mann leitete er Gelder auf sein Konto um und ist heute 120 Millionen Dollar schwer.
»Er ist der Ansprechpartner des Präsidenten der Vereinigten Arabischen Emirate, wenn es um palästinensische Angelegenheiten geht«, sagte Mouin Rabbani, ein ehemaliger Analyst des Thinktanks International Crisis Group, über Dahlan in der »New York Times«. Andere suchen wohl ebenfalls regelmäßig seinen Rat, ansonsten wäre es stiller um ihn geblieben.
Er habe keine Ambitionen auf ein politisches Amt, heißt es unter anderem auf Dahlans Facebook-Profil. »Immer wieder wurden den Medien verschiedene Szenarien über Nachkriegsvereinbarungen präsentiert oder zugespielt«, schreibt er dort. »Ich bin nur hier, um das zu tun, was wir tun können, um unserem Volk in Gaza zu helfen… Unsere oberste Priorität ist die Beendigung des Krieges, und wir werden keine andere Option unterstützen.«
Ein Umzug nach Ramallah oder Gaza steht jedenfalls nicht auf dem Programm, zumindest im Moment nicht. Denn auch Dahlan weiß: Es macht einen großen Unterschied, ob man mit seinen Plänen für eine Zukunft des Gazastreifens nur mediale Aufmerksamkeit generiert oder tatsächlichen Rückhalt seitens der palästinensischen Bevölkerung genießt. Laut einer Umfrage des Palestinian Center for Policy and Survey Research vom Mai möchten ihn nur acht Prozent der Palästinenser als Nachfolger von Mahmud Abbas haben.
Verantwortung vor Ort
Obwohl Dahlan und der neue Hamas-Chef Yahya Sinwar sich noch aus Kindertagen kennen und er stets mit Personen aus anderen politischen Lagern in Kontakt stand, gehört Dahlan weder der Hamas noch der Autonomiebehörde an. Das reicht offensichtlich nicht aus, um Popularität zu genießen, erst recht nicht, wenn man eine Vergangenheit wie er hat. Es ist nicht das erste Mal, dass sein Name genannt wird, wenn es darum geht, Verantwortung vor Ort zu übernehmen. 2017, als die Hamas finanziell besonders klamm war, hatten die Islamisten ebenfalls auf ihn gesetzt, um so Hilfe von den reichen Golfstaaten zu mobilisieren.
Auch als Nachfolger des greisen Abbas wird Dahlan schon seit Längerem ins Spiel gebracht, weshalb es so wirkt, als ob er sich seit Jahren bereits in einer Art Warteschleife befindet. Ob nun wirklich seine Stunde gekommen ist, muss sich erst noch zeigen. Ausgeschlossen ist es jedenfalls nicht.