Er redet – und doch sagt er nichts. So oder ähnlich lautet die Kritik am Likud-Vorsitzenden Benjamin Netanjahu bereits seit Wochen. Fast 40 Tage sind ins Land gegangen, seit die Israelis an den Wahlurnen waren. Und noch immer steht keine regierungsfähige Koalition. Präsident Schimon Peres hatte den Auftrag zur Regierungsbildung an Netanjahu mit den Worten übergeben: »Bilde eine Koalition, die sich dem Frieden verschreibt«. Dem wiedergewählten Premier bleibt noch Zeit bis zum Wochenende. Dann läuft die Frist ab. In der Zwischenzeit bilden sich politische Unionen, mit denen wohl kaum jemand gerechnet hat.
Zwar könnte Netanjahu den Präsidenten um eine Verlängerung von 14 Tagen bitten, doch Politikinsider munkeln bereits, dass es stattdessen Neuwahlen in Israel geben könnte. Sogar innerhalb seiner eigenen Partei werden die Mitglieder ungeduldig. »Er sagt nichts von Substanz, das Einzige, was er tut, ist Leuten Portfolios anzubieten.«
Ressortverteilung Die erste Zusage bekam jetzt Zipi Livni. Mit ihrer neu gegründeten Partei Hatnua (Die Bewegung) hatte sie bei den Wahlen sechs Mandate geholt. Livni, einst Kadima-Vorsitzende und Außenministerin, wird das Ressort Justiz übernehmen. Zudem wird sie Vermittlerin in Palästinenserangelegenheiten. Ein Bereich, der ihr am Herzen liegt, wie sie nach Unterzeichnung des Koalitionsabkommens zwischen Hatnua und dem Ministerpräsidenten deutlich machte: »Es ist ein strategisch wie moralischer Imperativ, keinen Stein auf dem anderen zu lassen und jegliche Möglichkeit auszuschöpfen, um Frieden zu bringen.«
Dass gerade Livni, die mit Kritik gegen Netanjahus Regierung selten hinter dem Berg gehalten hatte, die Erste in der Koalitionsriege ist, verwundert viele in Israel. Netanjahu betonte jedoch, die Vereinigung mit Hatnua sei der Beginn einer »breiten und stabilen Regierung, die die Bevölkerung vereint«. Vor den Wahlen hatten die wenigsten es für möglich gehalten, doch der Likud lud sogar die linke Arbeitspartei (15 Mandate) ein, der Koalition beizutreten. Angeblich hat Netanjahu der Vorsitzenden Schelly Jachimowitsch sogar das Finanzministerium angeboten.
Ultraorthodoxe Will er um jeden Preis die ultraorthodoxen Parteien, allen voran Schas, außen vor lassen, um seinen neuen Haushalt durchzubringen, an dem die alte Regierung gescheitert war? Vertreter von Schas meinen, wenn sie nicht an der Regierung beteiligt werden, würde Netanjahu es bereuen und Israel wäre sozial noch kälter und ärmer.
Frieden Vielleicht meint es Netanjahu nach Jahren des diplomatischen Stillstandes aber tatsächlich ernst mit einem Frieden mit den Palästinensern? Oder sollte die Arbeitspartei vielleicht der Garant sein, das von Netanjahu ungeliebte Jüdische Haus, das zwölf Sitze geholt hatte, in den Koalitionsgesprächen zu ignorieren? Der Premier bleibt die Antwort schuldig.
Schelly Jachimowitsch indes äußerte sich recht deutlich. Sie wolle bei Netanjahus Ränkespielen nicht dabei sein, erklärte sie am Wochenende: »Der Aufruf, den Frieden voranzubringen, ist nichts als ein Manöver vor dem Besuch von US-Präsident Barack Obama. Stattdessen wird der Status der Stagnation und Isolation beibehalten. Wir werden die Opposition anführen, denn wir gehen einen anderen Weg als der, der die Regierung zusammenstellt: Netanjahu.«
JESCH ATID Harsche Worte hatte die Awoda-Frau auch für einen, auf den sie vor der Wahl große Stücke gehalten hatte: Yair Lapid. Der ehemalige Journalist und politische Überflieger hatte aus dem Nichts mit seiner Partei Jesch Atid 19 Sitze geholt. Versprochen hat er die Gleichverteilung der Last des Militärdienstes, also die Einberufung frommer Juden, die heute größtenteils nicht in der Armee dienen. Ebenfalls ganz oben auf der Agenda von Jesch Atid standen die Verhandlungen mit den Palästinensern. Doch die scheinen dem charismatischen Neu-Politiker momentan offenbar nicht mehr so wichtig.
Stattdessen entschied er sich für eine äußerst ungewöhnliche Union: die mit dem Jüdischen Haus von Naftali Bennett. Livni watschte Lapid verbal für seinen Deal ab: »Das Jüdische Haus steht für all das, wofür der Mitte-Links-Block nicht steht.« Auch Jachimowitsch stimmte ein: »Meinen die beiden ›neuen Brüder‹, dass die Einberufung der Charedim in die Armee alle Probleme Israels löst? Das ist lächerlich!« Tatsächlich dreht sich seit Lapids Pakt mit den Nationalreligiösen alles um den Militärdienst für Religiöse.
Bei Lapid scheint die Kritik auf taube Ohren zu stoßen. Er machte sogar klar, dass er ohne seinen neuen Verbündeten Bennett keiner Regierung beitreten werde. Mit diesem Schachzug hat es Lapid für Netanjahu unmöglich gemacht, überhaupt eine funktionierende Koalition auf die Beine zu stellen. Ohne die 31 Mandate der beiden kann er keine Mehrheit erreichen.
Umfragen Das hat der Ministerpräsident nun wohl eingesehen: Am Wochenbeginn änderte er seine Taktik um 180 Grad und lud sowohl Bennett wie auch Lapid zu Gesprächen ein. Ergebnisse gibt es bislang noch keine, doch für Netanjahu drängt die Zeit. Wie sehr, gestand er selbst ein und drohte, sollte keine Koalition zustande kommen, gäbe es Neuwahlen. 76 Prozent der Israelis wollen das nicht, zeigen jüngste Umfragen.
Und dass Netanjahu sich das tatsächlich wünscht, ist höchst unwahrscheinlich. Schließlich war er ganz und gar beleidigt, als Lapid kurz nach der Wahl tönte, beim nächsten Urnengang würde er selbst der neue Regierungschef werden. Dabei geben Prognosen dem Neu-Politiker sogar recht. Würden die Israelis heute eine neue Knesset wählen, Lapid könnte den Likud mit Leichtigkeit einholen und sich um die 30 Sitze sichern. Vorausgesetzt, es bliebe alles, wie es jetzt ist.
Doch über allem schwebt plötzlich Faktor X. Der heißt Ehud Olmert und hat angeblich verkündet, solle es Neuwahlen geben, »bin ich dabei«.