Im Januar war ich auf einem Geburtstag. Orangefarbene Luftballons, Kinderlieder, eine große Torte. Doch es war der traurigste Geburtstag der Welt, die Menschen weinten und trugen T-Shirts mit dem Porträt des Geburtstagskindes und seines Bruders Ariel – beide kleine Rotschöpfe.
Kfir Bibas wäre an diesem Tag zwei Jahre alt geworden. Ein Jahr zuvor war ich schon auf seinem ersten Geburtstag auf dem Platz der Geiseln. Heute, an diesem traurigen Freitagmorgen weiß man, dass der kleine Junge schon da nicht mehr am Leben war.
Am Donnerstag kamen vier Särge aus Gaza in Israel an. Darin sollten neben Oded Lifshitz, einem 83-jährigen Israeli, der aus seinem Kibbuz Nir Oz verschleppt worden war, auch die drei vermissten Familienmitglieder Bibas sein. Am nächsten Tag dann die grausame Bestätigung, die niemand jemals erhalten wollte: Es sind tatsächlich die Leichen von Kfir und Ariel Bibas. Sie waren bereits etwa zwei Monate nach ihrer Entführung am 7. Oktober 2023 »brutal ermordet worden«, wie die Mediziner des forensischen Institutes schrieben.
Welle des Entsetzens
Doch dann ein weiterer Schock: Die Frauenleiche ist nicht die von Shiri Bibas. Es handele sich auch um keine andere Geisel. Die israelische Gesellschaft durchzieht danach eine Welle des Entsetzens. »Wie abgrundtief böse muss man sein, dass man die getöteten Kleinkinder in Särgen ohne ihre Mutter zurückschickt?« Für viele gibt es keinen Zweifel: »Das hat die Terrororganisation Hamas absichtlich getan, um noch mehr Schmerz zu erzeugen.«
Die junge Mutter und ihre beiden rothaarigen Jungen waren zum allertraurigsten Symbol des israelischen Geiseldramas geworden. Shiri war 32, Ariel vier Jahre und Kfir gerade einmal neun Monate alt, als sie nach Gaza entführt wurden. Das angstverzerrte Gesicht von Shiri ging um die ganze Welt, als ihre eigene Welt auf grausame Weise zusammenbrach. Ein Video der Hamas zeigte, wie sie an jenem verfluchten Schabbatmorgen verzweifelt ihre zwei Söhne an sich drückte, um sie in diesem Wahnsinn zu schützen, als Scharen von schwerbewaffneten Terroristen, sie in die Hölle verschleppten. Fern von ihrer Welt, ihrem Kibbuz, ihrem Leben, ihren Liebsten.
Berichten zufolge habe die Familie vor dem Blutbad der Hamas erwogen, ihren Heimatkibbuz Nir Oz im Süden Israels zu verlassen und auf die Golanhöhen zu ziehen, da sie die ständige Angst, die Nähe zum Gazastreifen und die nicht aufhören wollenden Raketen der Hamas nicht mehr ertragen konnten.
Yarden wurde unter der Erde in einem Käfig gefangen gehalten
Auch Shiris Mann Yarden, der Vater der beiden Kinder, wurde an jenem grauenvollen Tag nach Gaza entführt. Hamas-Männer beschimpften und bespuckten ihn, schlugen ihm mit einem Hammer den Kopf blutig. Später berichtete eine zurückgekehrte Geisel, dass Yarden unter der Erde in einem Käfig gefangen gehalten wurde.
Das waren die Bilder, an die ich in dem einen Jahr und vier Monaten des Grauens oft dachte. Als ich an den Postern der Familie vorbeiging, die an vielen Plätzen im Land hängen, Graffitis ihrer lachenden Gesichter sah, ihre Angehörigen interviewte. Wieder und wieder sprachen die von »Hoffnung, dass es doch noch ein Wunder gibt und wir sie in die Arme schließen können«.
Bis zum Ende hatte das ganze Land mitgehofft, mitgebangt, mitgebetet, dass diese tragische Geschichte doch noch irgendwie ein Happy End haben würde. Und dann ein Lichtblick: Yarden Bibas, der Familienvater, kommt aus der Geiselhaft der Hamas in Gaza frei, geht aufrecht und hat sogar ein zögerliches Lächeln auf den Lippen. Einen Tag später fleht er: »Bitte, bitte holt meine Familie und Freunde zurück. Solange sie dort sind, herrscht für mich hier nur Dunkelheit.«
Am Freitagmorgen bringe ich meine Tochter zur Schule. Der Weg führt uns durch einen Park, an dessen umliegenden Gebäudewänden sich gern Graffitikünstler versuchen. In knalligem Rot steht an einer Wand: »Bring the Bibas Back!« Doch die ganze Bibas-Familie kommt nicht mehr zurück.
Ariel war vier Jahre alt, als er brutal aus seinem Leben gerissen wurde, Kfir noch ein Baby. Ariel liebte den Superhelden Batman über alles, spielte für sein Leben gern mit den Figuren. Die ganze Familie, Baby inklusive, verkleidete sich als Retter der Welt. Doch in der grausamen Wirklichkeit des Nahen Ostens gibt es weder Superhelden noch Wunder.