Ob es um Wirtschaft, Soziales oder Bildung geht – die vergangenen eineinhalb Jahre standen ganz im Schatten von Covid-19. Jetzt stellte das Taub Center an der Wirtschaftsfakultät der Bar-Ilan-Universität seine Studie »Ein Bild der Nation« vor. Die dreht sich ganz um die Auswirkungen, die die Pandemie für Israel hatte – »und die unser Leben in dieser Zeit dominieren«, so Avi Weiss, der Präsident des Zentrums. »Es könnte schon bald wieder aussehen wie die alte Normalität. Doch hoffentlich wird es Verbesserungen geben, die von der Pandemie ausgelöst wurden.«
Die offensichtlichsten Auswirkungen gab es im Gesundheitsbereich. Während Israel in einigen Bereichen gut mit der Pandemie umgegangen sei, habe es in anderen versagt. »Die Pandemie hob die bestehenden sozialen und wirtschaftlichen Strukturen und Ungleichheiten besonders hervor.«
VERGLEICH Israel habe im Vergleich zu den OECD-Staaten bei den Covid-19-Infektionen am schlechtesten abgeschnitten. Im September 2020 gab es die höchsten Infektionszahlen pro Kopf im Vergleich zu jedem anderen entwickelten Land der Welt. Zugleich schaffte die Regierung es, eine schnelle und erfolgreiche Impfkampagne auf die Beine zu stellen.
Die Pandemie hob die bestehenden sozialen Ungleichheiten besonders hervor.
Charakterisiert waren die Infektionen dadurch, dass sie in den verschiedenen Gemeinschaften unterschiedliche Verläufe zeigten. Am 3. März 2021 beispielsweise reichten die Ansteckungsraten von fünf Prozent in der beduinischen Gemeinde bis zu 24 Prozent in den charedischen Orten. Die Krankenhauseinweisungen verliefen indes nicht entsprechend. Hier gab es die höchste Rate im arabischen Sektor, die niedrigste im charedischen.
In den vergangenen 20 Jahren war die Sterblichkeit in Israel stets gesunken. Ab Sommer 2020 aber war die Auswirkung der Pandemie zu sehen, als das Niveau auf das von 2005 stieg. Ende Oktober zeigte es sich wie in den 90er-Jahren. Im März dieses Jahres sank die Sterblichkeit auf normales Niveau.
Dennoch war die Sterberate durch Covid-19 in Israel wesentlich geringer, als bei den hohen Infektionszahlen eigentlich hätte angenommen werden müssen. Hierfür gebe es zwei hauptsächliche Gründe, so das Taub Center. Erstens gibt es in Israel weniger ältere Menschen, die ein viel höheres Risiko haben, an Corona zu sterben. Die über 70-Jährigen stellen in Israel 8,2 Prozent der Einwohner – im Vergleich zu 12,7 Prozent im Durchschnitt der OECD. Zweitens erfasste die zweite Corona-Welle von Juni 2020 bis zum Ende des Jahres hauptsächlich die 20- bis 55-Jährigen. Hier tendiert das Risiko, an der Erkrankung zu sterben, gegen null.
GESUNDHEIT Zur selben Zeit müsse die Frage gestellt werden, meint das Taub Center, wie viele Menschen gestorben wären, wenn die Regierung sich mehr darum bemüht hätte, die Infektionsraten niedrig zu halten. Dazu verglich das Zentrum Israels altersbezogene Infektionsraten und Todesfälle mit denen anderer entwickelter Länder. »Und dies zeigt, wie schwerwiegend Israel dabei versagt hat, die Ansteckungsraten einzuschränken«.
Hätte man Infektionsraten wie in Neuseeland oder Australien gehalten, wären 2020 nicht mehr als 80 Israelis den Folgen von Covid-19 erlegen. Doch auch, wenn man Israel mit Ländern wie Italien oder Großbritannien vergleicht, zeige sich im jüdischen Staat kein besonders gutes Bild. »Selbst dann hätten 600 bis 900 Leben gerettet werden können.«
Auch die Arbeitsmärkte sind durch die Pandemie stark geschädigt. Wellen von Kündigungen, Schließungen, Beurlaubungen, verminderten Einkommen und Pleiten rasten durch die ganze Welt. Israel startete in die Pandemie 2019 mit einem einwandfreien Arbeitsmarkt. Es gab mit 3,8 Prozent eine historisch niedrige Arbeitslosenrate. All dies änderte sich über Nacht. Der Weg, den Israel für den Arbeitsmarkt wählte, war von Beurlaubungen mit »Ganz-oder-gar-nicht-Charakter« geprägt. Angestellte, die beurlaubt wurden, erhielten Arbeitslosenbezüge, allerdings nur dann, wenn sie gar nicht arbeiteten.
2019 lag die Arbeitslosigkeit bei 3,8 Prozent, Ende 2020 bei 16,2 Prozent.
So geschah es auch Schulamit Levi, einer Tanzlehrerin aus Tel Aviv. »In den ersten Monaten der Pandemie gab ich Onlinestunden, die recht beliebt waren. Zwar verdiente ich nur einen Teil meines alten Einkommens, aber immerhin.« Doch dann erhielt sie die Nachricht vom Arbeitsministerium. »Mir wurde gesagt, ich hätte keinen Anspruch auf irgendeine Unterstützung, wenn ich etwas verdiene. Sogar, wenn es nur ganz wenig ist.« Also hörte sie komplett mit dem Unterrichten auf und hat bis heute nicht wieder angefangen.
Für viele sei dadurch auch die emotionale Bindung an den Arbeitsplatz geschwächt worden, argumentiert die Studie. Der Eigentümer einer kleinen Firma für medizinische Geräte habe während der Pandemie händeringend nach Angestellten gesucht, aber kaum welche gefunden. »Die meisten wollten ihr Arbeitslosengeld behalten, das bis zum Juni 2021 garantiert war«, sagt Nir David. »Mancher sagte mir ins Gesicht: ›Ich gehe lieber an den Strand als jeden Tag zur Arbeit. Das Geld ist ja dasselbe.‹«
HOMEOFFICE Eine der wesentlichsten Änderungen während der Pandemie ist die Möglichkeit, in einigen Industriezweigen von zu Hause aus zu arbeiten. Vor Corona war es in einigen Ländern üblicher als in anderen, Israel gehörte mit 4,4 Prozent der Angestellten zu jenen, in denen es nicht die Regel war. Diese Zahlen erhöhten sich während der Lockdowns auf 25 bis 27 Prozent. In den Zeiten zwischen den Lockdowns waren es immerhin noch 13 Prozent. Besonders hoch war die Zahl mit rund der Hälfte der Beschäftigten im Informations- und Kommunikationssektor. Heimarbeit ist Trend für diesen Bereich, auch nach dem Ende der Pandemie.
Die Arbeitslosenrate Ende 2020 lag bei 16,2 Prozent. »Sie wird im laufenden Jahr weiter fallen«, prognostiziert das Taub Center. Je eher die Wirtschaft zur vollen Normalität zurückkehrt, desto schneller werde es gehen. »Doch es wird noch lange dauern, bis wir uns dem Stand von 2019 auch nur annähern.«