Vergangene Woche schaute die Fußballwelt auf ein kleines ungarisches Dorf: Die israelische Fußballnationalmannschaft empfing die Schweiz und Rumänien in der Pancho Arena im verschlafenen Felcsút, etwa 40 Kilometer westlich von Budapest.
Auch andere Länder, unter anderem Deutschland und Polen, hatten sich angeboten, doch schließlich wählten die UEFA und der israelische Fußballverband Ungarn als Austragungsort für die letzten zwei »Heimspiele« der EM-Qualifikation aus.
Das Land galt auch schon früher als eines der sichersten Länder für Juden. Während in mehreren europäischen Ländern Aufmärsche in Gewalt mündeten, wurden propalästinensische Kundgebungen hier bisher untersagt, und es kam auch nicht zu anti-israelischen Demonstrationen.
Eigentlich wäre Budapest als Spielort ideal gewesen, wurde aber letztlich ausgeschlossen, da die UEFA die Donaumetropole bereits für das Spiel Belarus gegen Andorra ausgewählt hatte. Der Polizei sei es unmöglich gewesen, zwei Orte gleichzeitig zu sichern. Als Alternative wurde zuerst die ostungarische Stadt Debrecen vorgeschlagen, was der israelischen Mannschaft nicht gefiel, weil die jüdische Gemeinde dort viel kleiner ist als in der Hauptstadt. So hatte man sich schließlich auf die Pancho Arena geeinigt.
Mannschaftskapitän Eli Dasa verließ mit Tränen in den Augen den Saal.
Das Heimatstadion des Erstligisten Puskás Akadémia trägt den Beinamen des legendären ungarischen Stürmers von Real Madrid, Ferenc Puskás, genannt »Pancho«. Das 2014 eingeweihte Stadion mit einem Zuschauervermögen von nur 3500 Plätzen ist nicht unumstritten: Es wurde zum größten Teil aus Steuergeldern finanziert und im Heimatdorf des Regierungschefs Viktor Orbán errichtet, der bekanntlich Fußballfanatiker ist.
Die Mannschaft Israels, derzeit Nummer 71 der FIFA-Weltrangliste, war am Dienstag eingetroffen und gab eine bewegende Pressekonferenz. Normalerweise geht es bei solchen Presseterminen ausschließlich um Fußball. Dieses Mal war es anders. Mannschaftskapitän Eli Dasa hatte einen Fußballschuh des von Hamas-Terroristen entführten achtjährigen Jungen Naveh Shoham mit nach Felcsút gebracht. Das Kind und sieben weitere Mitglieder seiner Familie werden als Geiseln gefangen gehalten.
»Das ist alles, was von ihm übrig geblieben ist, sein linker Schuh. Wir erwarten dich zurück!«, rief Dasa, stand plötzlich auf und verließ mit Tränen in den Augen den Saal. Auch das Einlaufen der Teams auf dem Spielfeld war ungewöhnlich. Zum Gedenken an die entführten Mädchen und Jungen wurden die Fußballer in Blau-Weiß nicht – wie sonst üblich – von Kindern begleitet. Sie hielten nur die leeren Hände ausgestreckt, dorthin, wo normalerweise die Kinder laufen.
Enorme Sicherheitsvorkehrungen
Die Sicherheitsvorkehrungen waren enorm. Neben ungarischen Fans und im Lande lebenden Israelis war eine Gruppe Fans direkt aus Israel eingeflogen. Auch Fußballfans aus Wien und sogar aus Warschau waren angereist. Die Erwartungen waren groß, denn die Mannschaft war zum ersten Mal bei einer Europameisterschaft dabei und hatte gute Chancen, sich zu qualifizieren.
Die Atmosphäre war schrill und emotional zugleich. Fans sangen die Hatikwa mit unglaublicher Leidenschaft und feuerten anschließend ihre Favoriten mit ohrenbetäubendem Jubel an. Sie schwenkten die Nationalfahne, hielten Poster mit den Porträts der Entführten hoch und ließen blaue und weiße Luftballons aufsteigen. Und damit nicht genug. In der siebten Spielminute gegen die Schweiz fingen sie an »Bring them home!« und »Am Israel Chai!« zu skandieren. In der Pause sprachen zudem einige Zuschauer das Maariw und beteten für die Freilassung der Geiseln.
In der Pause sprachen Zuschauer das Maariw und beteten für die Freilassung der Geiseln.
Für die israelische Auswahl war es eine sehr anstrengende Woche, denn sie musste in dieser kurzen Zeit drei Pflichtspiele bestreiten. Am 12. November trat sie unter strengsten Vorsichtsmaßnahmen im größtenteils muslimischen Kosovo an, wo sie 1:0 verlor. Die Begegnung sollte ursprünglich am 15. Oktober stattfinden, musste wegen des Krieges jedoch verschoben werden. Am Mittwoch sowie Samstag wurde in Ungarn angepfiffen. Eigentlich verbietet das Judentum Arbeit am Schabbat, aber Fußballspiele werden in Israel seit jeher an diesem heiligen Tag ausgetragen. Dies ist sogar gesetzlich erlaubt.
Gegen die Schweiz erreichte Israel ein 1:1 unentschieden. Gegen Rumänien unterlag die Mannschaft schließlich mit 1:2. Damit hat sich Israel vorerst nicht qualifiziert. »Ich bin enttäuscht, wir sind alle enttäuscht«, räumte Nationaltrainer Alon Hazan nach dem Samstagsspiel ein. »Wir waren nicht konzentriert und nicht verantwortungsbewusst genug – wir hatten es einfach nicht drauf. Die Fans, die hierhergekommen sind, waren unglaublich, und wir sind sehr betrübt, denn wir wollten sie und die Fans zu Hause glücklich machen.«
Am Dienstag gewann die Mannschaft gegen Andorra ihr letztes Spiel mit 2:0 und ist damit Dritter der Gruppe I. Jetzt wird sie sich darauf konzentrieren, über die Playoffs im März 2024 durch zwei Siege in der UEFA Nations League vielleicht doch noch einen Weg zur Europameisterschaft 2024 in Deutschland zu finden.