Mit gespreizten Fingern sitzt Noa Levy im Salon »Jafeh Lach« in Herzliya und rutscht ungeduldig auf dem Stuhl hin und her. »Sitz still!«, mahnt die Kosmetikerin und trägt auf die Fingernägel des Mädchens eine weitere Schicht vom pinkfarbenen Lack auf. Noa lacht, ihre Zahnspange blitzt. Als die Farbe trocken ist, schubst die Dame im hautengen T-Shirt Noa sanft auf den Nachbarstuhl. »Zeit für den Fenn.« Der wuschelige Lockenkopf der Zwölfjährigen wird glatt geföhnt, obendrauf kommt ein Krönchen aus silberfarbenem Plastik. Alles, was Noa will. Heute ist ihr Tag. Sie ist eine Batmizwa.
Wörtlich übersetzt bedeutet der Begriff »Tochter des Gebotes«. Im Leben eines jüdischen Mädchens spielt der zwölfte, bei Jungs der 13. Geburtstag eine große Rolle. Aus den Kindern sind junge Erwachsene geworden, sie sind religionsmündig, vollständiger Teil der jüdischen Gemeinschaft und verantwortlich, die Gebote des Judentums einzuhalten. In streng religiösen Kreisen werden ausschließlich die Jungs aufgerufen, zum ersten Mal aus der Tora zu lesen. In reformierten Gemeinden dürfen auch die Batmizwa-Mädchen aktiv am Gottesdienst teilnehmen.
Wirtschaftszweig Bei säkularen Israelis jedoch gerät die eigentliche Bedeutung dieses Tages zusehends in den Hintergrund. An den Schulen wird nur selten Wissenswertes dazu vermittelt, alles dreht sich um die Party. Und den Tratsch danach, wenn auf dem Schulhof die Köpfe zusammengesteckt werden: Wer hatte den besten DJ? Wo gab es den meisten Spaß?
Mittlerweile ist ein kompletter Wirtschaftszweig entstanden, um den steigenden Bedürfnissen feierwütiger Zwölfjähriger gerecht zu werden. Spezielle Veranstaltungshallen, Cateringunternehmen, DJs mit eigens kreiertem Batmizwa-Diplom, Limousinenfahrer, Schönheitssalons und Mädchenausstatter bieten in jedem lokalen Blättchen ihren Service an. Meist zum horrenden Preis. Unter einer Rechnung für eine Feier mit 100 Gästen inklusive Musik, Hamburgern und Pommes Frites und ein, zwei Attraktionen wie Tatoomalern oder Fotografen können locker 20.000 Schekel stehen – runde 4.000 Euro.
Werte Diese Summe haben die Levys ausgegeben. Noas Mutter Efrat verzieht das Gesicht. »Ich weiß, es ist verrückt. Aber ich wusste, dass ich meine Tochter verletzen würde, hätten wir die Feier mit ihren Freunden verboten.« Party allein war den Levys allerdings nicht genug der Wertevermittlung.
Die Eltern schrieben ein Buch für ihre Tochter, in dem zwölf Mizwot aufgeführt waren, die im Judentum eine Rolle spielen. Darunter die Verbesserung der Welt, »Tikkun Olam«, und Spenden für Bedürftige. Noa musste alle erfüllen, bevor sie sich dem Partyrausch hingeben durfte. »Dieses Buch hat uns über Wochen begleitet, wir haben als Familie zusammengesessen, geredet und jede Menge Spaß gehabt«, so Efrat Levy. »Das war unsere besondere Erfahrung zur Batmizwa, die Feier nur ein Kompromiss.«
Gehaltvolles ist auch, was Daria Mussari möchte. Doch der Gruppenzwang ist enorm. »Es ist so ätzend, anders zu sein als die anderen«, jammert Tochter Gaja. »Wie peinlich, wenn man die Einzige ist, die nicht zur großen Batmizwa einlädt.« Auch sie wird in diesem Jahr zwölf, auch sie will ihren besonderen Geburtstag so feiern, wie es in ist: mit Prunk und Pomp, Disko und DJ. Gajas Eltern jedoch haben dem von vornherein einen Riegel vorgeschoben. »Die eigentliche Bedeutung, den Schritt von der Kindheit zum Erwachsensein, mit einer Zeremonie zu begehen, geht dadurch unter.«
Obwohl Gaja ausdrücklich darum gebeten hatte, kommt es für die Mussaris nicht infrage, eine Party für die gesamte Klasse auszurichten. Um niemanden auszuschließen, geben Lehrer und Schulleiter fast überall vor, sämtliche Klassenkameraden einzuladen. In manchen Gegenden sind das mehr als 40. Manche setzen gleich die gesamte Jahrgangsstufe auf die Gästeliste. »Abgesehen von der Oberflächlichkeit dieser Feiern à la Hollywood bringt es viele in finanzielle Schwierigkeiten«, so Mussari. »Wir können es uns mit drei Kindern nicht leisten.«
Bargeld Denn neben den eigenen Feiern sind die Jugendlichen bei ihren Freunden eingeladen, und dann wechselt Bargeld die jungen Hände. Standardsumme pro Kind sind 20 Euro. Man muss kein Mathegenie sein, um auszurechnen, welcher Betrag bei durchschnittlich 35 Klassenkameraden und Freunden für Eltern in einer Saison zusammenkommt.
Obwohl immer mehr Familien, Rabbiner und Lehrer Kritik an dem Trend äußern, machen die meisten mit. Auf der großen Einkaufsstraße des schicken Tel Aviver Vorortes Ramat Hascharon gibt es allein fünf Läden, die sich komplett auf das Einkleiden von Batmizwa spezialisiert haben. Im »Banatusch« weiß Verkäuferin Orit Cohen, was die jungen Kundinnen wünschen. »Die meisten möchten weiß oder silber.« Minis oder knielange Kleider gibt es ab etwa 50 Euro, die Variante in lang kostet das Doppelte. Auch die passenden Schuhe dürfen nicht fehlen. »Viele wünschen sich ihre ersten Highheels – und wir haben sie.«
Und natürlich muss das Gesamtbild im neuen Glitzerkleidchen stimmen. Deshalb steckt Cohen gleich drei Visitenkarten für Schönheits- und Friseursalons in die Einkaufstasche, bevor sie die Mädchen mit strahlendem Lächeln verabschiedet und ruft: »Jom Huledet sameach!« – »Einen schönen Geburtstag!«