Manchmal, da kommt dieses Gefühl auf. Da fragt sich Anshel, warum er das alles eigentlich macht. Tage ohne Schlaf. Den Tod vor Augen. Die Befehle. Das Gehorchen. »Wenn ich dann meinen Freunden hier in Israel davon erzähle, sagen sie, dass ich selbst schuld bin«, sagt Anshel. Er hätte es ja nicht tun müssen. Doch dann verschwindet dieses Gefühl auch wieder. Und Anshel ist froh, dass er es getan hat: als Deutscher nach Israel zu kommen, um in der Armee zu dienen, in der Golani-Brigade, einer Eliteeinheit.
Anshel H. ist heute 20 Jahre alt, er hat noch eineinhalb Jahre vor sich, bereits eineinhalb Jahre hinter sich. Es ist eine schwierige Phase für Soldaten: Die Spannung vom Anfang ist der Routine gewichen, die Aufregung der Müdigkeit. Und dennoch liegt noch die Hälfte der Zeit vor ihnen. Und so freut sich auch Anshel erst einmal auf den Monat Urlaub, den er ab Ende April in Düsseldorf bei seiner Familie und mit seinen Freunden verbringen wird.
Jeschiwa Bis er 15 Jahre alt war, ging Anshel dort noch zur Schule. »Aber meine Mutter wurde nach und nach religiös und wollte dann, dass ich eine Jeschiwa in Israel besuche«, erzählt er heute. Also verließ er vorzeitig die Schule, stieg in den Flieger und zog – ohne bis dahin überhaupt Hebräisch zu sprechen – in die Nähe von Haifa, wo er an einer Jeschiwa die heiligen Schriften lernte. »Ich habe mich halt durchgequält«, sagt er. Mittlerweile spricht er die Sprache fließend, und selbst in seine deutschen Sätze schleicht sich nun ein »kei’lu« ein, was so viel heißt wie »so« oder »halt« – ein Wortfüller.
Die Jeschiwa allerdings war nichts für ihn. Und so blieb er keine zwei Jahre dort, kehrte vorübergehend nach Deutschland zurück. Doch er wusste, dass er wieder nach Israel wollte, um hier Soldat zu werden. »Ich wollte schon immer zur Armee. Ich wusste nur zunächst nicht, in welcher Armee ich dienen möchte.« Er hätte zur Bundeswehr gehen können oder in die amerikanische Armee. Anshel ist in den USA geboren, wohin seine Eltern aus beruflichen Gründen gezogen waren. Nach der Trennung allerdings ging seine Mutter mit ihm und seinen vier Schwestern zurück nach Deutschland.
vorbereitung Nach dem Aufenthalt in Israel stand für ihn fest: Es sollte eine Eliteeinheit sein. Also nahm er zur Vorbereitung an einem Mechina-Programm teil, absolvierte einige Aufnahmeprüfungen und schaffte es in die Golani-Brigade. 1948 in Obergaliläa aufgestellt, haben Soldaten dieser Einheit bisher in allen Konflikten mitgekämpft. Ihr Symbol ist ein grüner Olivenbaum mit Wurzeln auf gelbem Hintergrund.
Vor Beginn der militärischen Ausbildung machte Anshel Alija und musste noch drei Monate lang Hebräisch lernen. »Sprechen war kein Problem, nur lesen und schreiben konnte ich noch nicht so gut.« Also versuchte er, möglichst viel mit israelischen Freunden per WhatsApp auf Hebräisch zu schreiben. »Verstehe ich nicht«, kam dann manchmal zurück. Doch Anshel gab nicht auf, wurde besser und besser.
Als »chayal boded«, also als »einsamer Soldat«, der hier in Israel keine Familie, auch keine entfernten Verwandten hat, lebt er nun im Rahmen des Programms »Garin Tzabar« zusammen mit 30 anderen Soldaten aus verschiedenen Einheiten im Kibbuz Yechiam in der Nähe von Naharia im Norden des Landes. Dort teilt er sich mit zwei Soldaten aus Südafrika und einem Amerikaner eine Wohnung. Das heißt: wenn er frei hat und nicht in seiner Kaserne sein muss. Einmal in drei Wochen ist das nur. Dann sieht er auch seine Gastfamilie, bei der er zum Schabbatessen eingeladen ist. An Pessach musste er allerdings in der Kaserne bleiben, war sogar im Einsatz. Beim Seder war er nicht dabei. »Auch vom Jom Haazmaut, der ja ein wichtiger Tag ist, werde ich nicht viel mitbekommen«, sagte er.
Kulturschock Das Leben in der Armee – auch für viele Israelis ist es zunächst ein Kulturschock. Es ist eine neue Welt mit anderer Kleidung, einer Waffe in der Hand und strengen Regeln, an die man sich halten muss. Und für einen Soldaten in einer Kampfeinheit auch eine, bei der es um die eigene Sicherheit, um das eigene Leben geht. Auch Anshel musste sich erst daran gewöhnen. Nicht selten, so sagt er, musste er Übungen noch einmal machen oder kassierte Strafen, weil er seinen Vorgesetzten widersprochen hat. Heute höre er zu, mache es aber dennoch oft so, wie er es für richtig halte.
Für Deutsche in der israelischen Armee kommt noch hinzu, dass sie sich zwischen zwei Kulturen bewegen, die mit allem Militärischen völlig unterschiedlich umgehen: Für Israelis ist es normal, dass jeder nach der Schule in die Armee geht, eine Waffe bei sich trägt, schießen kann. In Deutschland gehen immer wenige junge Männer zur Bundeswehr, in einigen Kreisen ist es regelrecht verpönt. Und so fehlt in Deutschland oft das Verständnis dafür, warum junge Männer und Frauen in Israel so selbstverständlich dienen.
Anshel hatte da Glück, seine Freunde stellen seine Entscheidung nicht infrage – zumindest nicht alle: Nur einige ehemalige Mitschüler, mit muslimischem Hintergrund, wie er betont, hätten sich deswegen von ihm abgewandt. Wohl aus politischen Gründen. Andere hingegen wollten ihn mal besuchen. Jetzt aber steht für die meisten von ihnen erst einmal das Abitur an.
job Anshel weiß noch nicht, ob er den Abschluss in Deutschland nachholen möchte. Ein Studium, ist er sich derzeit recht sicher, kommt für ihn nicht infrage. Lieber möchte er hier in Israel nach dem Dienst in der Armee im Sicherheitsbereich einen Job finden. Die Offiziersausbildung im Anschluss an die drei Jahre, auf die er anfangs noch ein Auge geworfen hatte, möchte er nun nicht mehr machen. Derzeit will er einfach nur die nächsten eineinhalb Jahre hinter sich bringen. Das Leben als Elitesoldat in Israel – es ist schwer und ermüdend. Doch er bereut seine Entscheidung nicht.
Seine Mutter, glaubt Anshel, die bereue es vielleicht schon ein bisschen, dass sie ihn damals nach Israel geschickt hat. Sie war alles andere als begeistert, dass Anshel sich danach für die Armee entschieden hat. Auch aus Angst. Doch Anshel ist sich sicher: »Sie ist auch ziemlich stolz auf mich.«