In die Euphorie, dass zumindest ein Teil der Geiseln aus Gaza befreit werden, mischt sich die große Sorge um ihren Gesundheitszustand. Mehrere israelische Krankenhäuser sind darauf vorbereitet, die Menschen zu empfangen, die seit mehr als 460 Tagen in Geiselhaft sind. Viele von ihnen wurden wahrscheinlich ohne Sonnenlicht in katastrophalen Bedingungen in den Tunneln der Hamas gehalten, einige sind chronisch krank oder wurden während des Massakers der Terroristen am 7. Oktober 2023 teils schwer verletzt.
Sieben Krankenhäuser haben sich bereits lange und intensiv darauf eingestellt, die Geiseln aufzunehmen, sollten sie aus Gaza zurückkehren, darunter das Scheba Krankenhaus in Ramat Gan und das Ichilov in Tel Aviv. Andere Medizinzentren befinden sich in Bereitschaft.
Trotz aller Vorbereitungen sind die Mediziner mit großer Unsicherheit über den Zustand der Menschen konfrontiert. Die Besorgnis ist wesentlich größer als vor der Freilassung der 105 Geiseln im Rahmen des Abkommens vom November 2023. Damals kamen hauptsächlich Frauen und Kinder nach rund 50 Tagen in der Gewalt der Hamas nach Hause.
Nicht bekannt, wie Menschen in über einem Jahr behandelt wurden
Denn es ist nicht bekannt, wie und ob die kranken und verletzten Menschen in über einem Jahr der Gefangenschaft behandelt wurden. Das Rote Kreuz hat sie nie besucht, nach Gaza gelieferte Medikamente kamen wahrscheinlich nicht bei ihnen an.
Zu den Gekidnappten gehören junge Menschen mit chronischen Krankheiten, wie Omer Shem Tov, der unter Asthma leidet, oder Omer Wenkert, der die Autoimmunkrankheit Colitis Ulcerosa hat. Darauf haben die Eltern der beiden jungen Männer immer wieder hingewiesen. Die 22-Jährigen stehen auf der Liste der 33 Geiseln, die während der ersten Phase befreit werden sollen.
Auch dabei sind ältere Menschen wie Shlomo Mansour und Gad Moshe Moses, beide über 80 Jahre alt, und Personen, die verletzt wurden. So ist beispielsweise durch Augenzeugen bekannt, dass die 28-jährige Emily Damari angeschossen wurde, als sie aus ihrem Heimatkibbuz Kfar Aza gekidnappt wurde.
»Die Menschen kommen nach mehr als einem Jahr Gefangenschaft zurück. Und das ist eine ganz andere Welt.«
Währenddessen bewegt das Schicksal der einzigen beiden Kinder, die noch immer Geiseln sind, die gesamte Nation. Es ist nicht bekannt, ob die kleinen Jungen Ariel und Kfir Bibas und ihre Mutter Shiri noch am Leben sind. Angehörige bestätigten mehrfach, dass sie »während der ganzen Zeit kein einziges Lebenszeichen von ihnen erhalten haben«. Die Hamas hatte zwar kurz nach Ausbruch des Krieges erklärt, dass Shiri Bibas und ihre beiden Kinder bei einem Angriff der israelischen Armee getötet wurden, doch die IDF bestätigte dies nie.
Ariel war fünf Jahre alt, Kfir erst neun Monate, als sie auf dem Arm ihrer Mutter von Terroristen aus ihrem Haus gezerrt und nach Gaza verschleppt wurden. Auch der Vater der Kinder, Yarden Bibas, wurde brutal von der Hamas entführt und dabei verletzt. Alle vier Familienmitglieder stehen auf der ersten Liste.
Die Leiterin der Abteilung für öffentliche Gesundheit im Gesundheitsministerium, Sharon Alroi-Preis, erklärt, wie sich das Gesundheitssystem im Rahmen des ausgehandelten Deals auf die Rückkehr der Geiseln vorbereitet. Man habe aus der vorherigen Runde der Befreiung viel gelernt, »doch wir müssen verstehen, dass die Bedingungen dieses Mal völlig anders sind. Die Menschen kommen nach mehr als einem Jahr Gefangenschaft zurück nach Hause. Und das ist wirklich eine ganz andere Welt«. Sie geht aber davon aus, dass die Lehren und Protokolle, die damals aufgestellt wurden, »uns gute Dienste leisten werden«.
Protokoll zur Aufnahme aus dem Gesundheitsministerium
Beamte des Gesundheitsministeriums erstellten ein Protokoll, um die Erstversorgung der Geiseln im November 2023 sicherzustellen. Seitdem wurde es mehrfach weiterentwickelt. Dazu gehört beispielsweise die neue Richtlinie, die empfiehlt, Patienten mit ihrer Zustimmung mindestens vier aufeinanderfolgende Tage in einem Krankenhaus zu behandeln. Weiterhin gibt es Anweisungen zur Wahrung der Privatsphäre, der ärztlichen Schweigepflicht, zum Umgang mit den Medien und anderem.
Alroi-Preis betont, wie wichtig es sei, die Rückkehrer ein ganzes Jahr lang zu beobachten, denn in den ersten Tagen des Krankenhausaufenthalts werde mitnichten alles klar werden, was den Gesundheitszustand der ehemaligen Geiseln angeht. »Eine langfristige Beobachtung ist unabdingbar, um zu sehen, was sich im Laufe der Zeit in Bezug auf die physische und psychische Gesundheit sowie das allgemeine Wohlergehen ergibt.« Die Geiseln, die zurückkehren, würden sicherlich unter den extremen psychischen und emotionalen Auswirkungen der Gefangenschaft leiden, »und das sollte in jedem Fall überwacht werden«.
Man habe bei den vorherigen Befreiungen gelernt, dass es sehr wichtig sei, die Menschen »einzuhüllen und vor zu viel Medienandrang und allerlei anderen Leuten zu schützen«, weiß Alroi-Preis. »In erster Linie brauchen sie viel, viel Verständnis und ihre Privatsphäre, die gewährt, dass sie mit ihren Angehörigen und Freunden zusammen sein können.«
Besorgniserregend sind vor allem der Mangel an Sonnenlicht und frischer Luft sowie die oft katastrophalen sanitären Bedingungen in Gaza.
Allerdings müsse man auch darauf achten, dass es dabei Platz für medizinische Untersuchungen gibt. »Wir müssen sicherstellen, dass alle Tests durchgeführt werden, vor allem auf Vitamine, Mineralien und Nährstoffmängel.«
Neben der Angst vor Mangelernährung und Krankheiten gibt es auch die Angst vor anderen körperlichen Auswirkungen durch die extremen Umstände. Besorgniserregend seien vor allem der Mangel an Sonnenlicht und frischer Luft sowie die oft katastrophalen sanitären Bedingungen in Gaza, wodurch sich Infektionskrankheiten verbreiteten. Von großer Bedeutung sei auch, wie Wunden behandelt wurden, die die Geiseln während ihrer Entführung oder in der Geiselhaft erlitten haben.
»Doch ihr Zustand ist völlig unklar«, fasst die Medizinerin abschließend zusammen. »Und Antworten auf die vielen Fragen, die wir haben, werden wir erst bekommen, wenn alle Geiseln nach Israel zurückgekehrt sind.«