Israels Streitkräfte (IDF) sind in Richtung der südlichen Stadt Rafah im Gazastreifen vorgerückt – offenbar in Vorbereitung der erwarteten Offensive gegen den palästinensischen Terror vor Ort. Die letzten Hamas-Batallione verschanzen sich in Rafah. Auch die weiterhin von der Terrororganisation festgehaltenen Geiseln werden dort vermutet.
Israels Verteidigungsminister Joav Galant sprach von einer mehrstufigen Invasion, die gestoppt werden könne, wenn sich die Hamas zu einer vernünftigen Verhandlungslösung zum Austausch der Geiseln entscheide.
Im November hatte massiver militärischer Druck die Terroristen dazu bewogen, einer Vereinbarung über eine Waffenruhe in Kombination mit einem Austausch von Geiseln gegen palästinensische Häftlinge zuzustimmen, bevor sie auch dieses Abkommen brachen.
Die Hamas hatte am Montagabend ihre Zustimmung zu einem Verhandlungsvorschlag über eine Waffenruhe erklärt. Dieser Vorschlag entsprach allerdings nicht den Forderungen Israels. Am Dienstag soll es in der ägyptischen Hauptstadt Kairo ein weiteres Treffen von Unterhändlern geben, um eine Waffenruhe sowie die Freilassung von Geiseln und Häftlingen, wie das Golfemirat Katar in der Nacht mitteilte.
Katar, Ägypten und die USA agieren als Vermittler zwischen den palästinensischen Terroristen und Israel, die aus Prinzip keine direkten Verhandlungen miteinander führen.
Erste Phase
Am späten Montagabend griffen die IDF Terror-Ziele im Osten von Rafah an. Das israelische Kriegskabinett hatte zuvor entschieden, den Militäreinsatz in Rafah fortzusetzen, um den militärischen Druck auf die Hamas zu erhöhen und die Kriegsziele durchzusetzen. Dazu gehören eine Zerschlagung der Hamas – zur Sicherheit der israelischen Bevölkerung. Die Terrorgruppe hatte bereits weitere Massaker im Stil des 7. Oktober angekündigt. Auch eine Befreiung der Geiseln gehört zu den Zielen Israels.
Das Nachrichtenportal »Axios« berichtete unter Berufung auf israelische Regierungsbeamte, der Einsatz von Panzern und Bodeneinheiten östlich von Rafah sei als erste Phase der Offensive zu verstehen. Die Übernahme des Grenzübergangs Rafah solle nicht nur den Machtverlust der Hamas im Gazastreifen demonstrieren. Anschließend sollten Palästinenser ohne Verbindung zu den Islamisten an der Verteilung von Hilfsgütern beteiligt werden, die aus Ägypten in das abgeschottete Küstengebiet gebracht würden.
UN-Generalsekretär António Guterres rief die Konfliktparteien – also die mordende Terrororganisation Hamas, die Gaza bisher kontrollierte, und den demokratischen Staat Israel – auf, alles dafür zu tun, um endlich ein Abkommen zu erreichen. »Eine Bodenoffensive in Rafah wäre nicht hinnehmbar aufgrund der verheerenden humanitären Folgen und wegen der destabilisierenden Folgen für die Region.« Allerdings hatte Israel mehrfach angekündigt, die palästinensischen Zivilisten in Rafah vor der Offensive zu evakuieren und zu versorgen.
Schrittweiser Teilabzug
Auch US-Präsident Joe Biden appellierte nach einem Treffen mit dem jordanischen König Abdullah II. in Washington, die Freilassung aller Geiseln, eine dauerhafte Waffenruhe sowie humanitäre Hilfe seien dringend nötig. Der Kommunikationsdirektor des Nationalen Sicherheitsrats, John Kirby, bekräftigte mit Blick auf Rafah, die US-Regierung unterstütze keinen Einsatz, der mehr als eine Million Menschen einem großen Risiko aussetze.
Zwar hatte Hamas-Auslandschef Ismail Hanija den katarischen Ministerpräsidenten und den ägyptischen Geheimdienstchef nach eigenen Angaben per Telefon über die Entscheidung der Terrororganisation informiert, einen Kompromissvorschlag der Vermittler anzunehmen. Und das katarische Außenministerium ließ wissen, die Antwort der Hamas könne »als positiv beschrieben werden«. Doch über den Inhalt dieser Vorschläge ist offiziell bisher wenig bekannt.
CNN berichtete, die von der Hamas akzeptierte Fassung enthalte drei jeweils 42-tägige Phasen. Die erste sehe unter anderem die Freilassung von 33 Geiseln im Austausch für hunderte palästinensische Häftlinge, einen schrittweisen Teilabzug israelischer Truppen aus dem Gazastreifen und Bewegungsfreiheit für unbewaffnete Palästinenser in dem Küstengebiet vor.
Weit entfernt
Die zweite Phase sei nicht detailliert ausgearbeitet, laufe aber auf die Freilassung aller restlichen Geiseln, den Komplettabzug der israelischen Armee aus Gaza und eine dauerhafte Kampfpause hinaus. In der dritten Phase soll demnach ein auf drei bis fünf Jahre angelegter Prozess zum Wiederaufbau Gazas beginnen. Während die Hamas Gaza nach dem Krieg weiterhin kontrollieren will, schließt Israel genau dies aus.
Die Ankündigung der Hamas, sie habe ihre Zustimmung signalisiert, löste im Gazastreifen Jubelszenen auf den Straßen aus. In Rafah, Gaza-Stadt und anderen Orten strömten Menschen auf die Straßen, um zu feiern. Die Reaktion der israelischen Seite und die folgenden Ereignisse nährten jedoch Zweifel, ob wirklich ein Durchbruch erzielt wurde.
Aus dem Büro des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu hieß es, der Vorschlag der Hamas sei weit entfernt von dem, was Israel verlange. Das Kriegskabinett habe denn auch zugestimmt, an der geplanten Offensive in Rafah festzuhalten.
Eingefügte Klauseln
Bei dem Vermittler-Vorschlag handele es sich nicht mehr um den gleichen, auf den sich Israel und Ägypten vor zehn Tagen geeinigt hätten und der die Grundlage indirekter Verhandlungen gewesen sei, hieß es von israelischer Seite. Es seien »alle möglichen Klauseln« eingefügt worden, berichtete der Fernsehsender Channel 12.
Der israelische Polizeiminister Itamar Ben-Gvir bezeichnete die Zustimmung der Hamas als taktischen Kniff. »Es gibt nur eine Antwort auf die Tricks und Spiele der Hamas: einen sofortigen Befehl, Rafah zu erobern, den militärischen Druck zu erhöhen und die Hamas weiter bis zur vollständigen Niederlage zu bedrängen«, zitierten israelische Medien den Rechtsaußen-Politiker.
In einer Stellungnahme der Angehörigen der von der Hamas verschleppten Geiseln hieß es am Montagabend, die Ankündigung der Terroristen müsse den Weg für die Rückkehr der Verschleppten ebnen. Vertreter der Angehörigen begrüßten die Ankündigung der Regierung Netanjahus, eine Verhandlungsdelegation zu Gesprächen mit den Vermittlern zu entsenden.
In mehreren Städten Israels kam es am Montagabend zu Demonstrationen für eine Verhandlungslösung zur Freilassung der Geiseln. Wie auch die vergangenen Wochen zeigten, gestalten sich Verhandlungen mit Terroristen jedoch schwierig. dpa/ja