Er tue alles, um einen weiteren Lockdown zu vermeiden. Das beteuerte Professor Ronni Gamzu, Generaldirektor im Gesundheitsministerium und Leiter des Projekts »Magen Israel« für den Kampf gegen das Coronavirus, am Dienstag in einer Pressekonferenz.
INFEKTIONSRATEN Die zweite Welle, in der sich Israel momentan befinde, sei durch hohe Infektionsraten bei jüngeren Leuten charakterisiert. »Es gibt eine riesige Verbreitung. Und zwar nicht nur in den sogenannten ›roten Städten‹, sondern im ganzen Land«, erläuterte Gamzu. Zu Beginn des neuen Ausbruchs habe man 16.000 Fälle gezählt, jetzt seien es sechsmal so viele.
»Wenn man es mit anderen Ländern vergleicht, die niedrigere Infektionszahlen haben als wir, ist Israel viel aktiver.«
Chef des Projektes »Magen«, Ronni Gamzu
Der Versuch der Bekämpfung sei dabei allerdings anders als beim ursprünglichen Ausbruch im März. Heute beinhalte es vor allem das Vermeiden von Menschenansammlungen durch die Beschränkung der Zahl von Anwesenden in geschlossenen Räumen und unter freiem Himmel. Dazu gehören beispielsweise Gotteshäuser, Restaurants und Veranstaltungshallen. Gleichzeitig waren die Sommerschulen und Kindergärten bis vor wenigen Tagen in Betrieb, sind Geschäfte derzeit geöffnet. »Wenn man es mit anderen Ländern vergleicht, die niedrigere Infektionszahlen haben als wir, ist Israel viel aktiver.«
BALANCE Denn der Kampf gegen das Virus sei nicht ausschließlich ein medizinischer, sondern ebenso ein sozialer und wirtschaftlicher. »Und dabei müssen wir eine Balance finden.«
Derzeit befinden sich rund 800 Patienten in landesweiten Krankenhäusern. Etwa die Hälfte der Fälle sei ernst bis kritisch. Doch da die Kranken jetzt eher jünger seien, sehe man mehr Schwerkranke, die wieder genesen. »Wir haben immer noch die niedrigste Sterberate in der ganzen Welt«, hebt Gamzu hervor. »Und stehen sogar besser da als Deutschland, wo die Rate als ›Wunder‹ bezeichnet wird.«
Auch die Betreuung der Menschen in den Gemeinden soll ausgeweitet werden.
Um auch die zweite Welle in Griff zu bekommen, hat Gamzu einen Plan für eine Infrastruktur ausgearbeitet, die in den kommenden Monaten mit der Pandemie umgehen soll: Zunächst müssen die Krankenhäuser gestärkt und ihr Betrieb gesichert werden. Auch die Betreuung der Menschen innerhalb der Gemeinden sollte ausgeweitet werden.
Um dies umzusetzen, braucht es Gamzu zufolge drei wesentliche Punkte: Erstens wolle er das Vertrauen der Menschen wiedergewinnen, in dem erklärt wird, wie hoch das Risiko, an Corona zu erkranken, tatsächlich ist und welchen Sinn die Maßnahmen der Regierung haben. Zweitens müsse die Infektionskette durchtrennt werden, indem man umfassend testet, isoliert und Infizierte nach Kontakten befragt. »Und das funktioniert in Israel derzeit nicht«, gibt er zu. Innerhalb weniger Wochen wolle er das in Ordnung bringen.
KOORDINATION Außerdem hält Gamzu ein Management in den Städten oder Gemeinden für absolut notwendig. »Jeder Bürgermeister braucht sein eigenes Corona-Koordinationszentrum, denn er kennt seinen Ort am besten. Im Kampf mithelfen müssen Armee und Polizei.« Vor allem die Armee sei technisch bestens ausgerüstet, um die nötige Unterstützung zu bieten. Die Regierung indes könne keine gezielte lokale Koordination leisten.
Der neue Coronavirus-Beauftragte ist sicher, dass dies der richtige Weg ist, um die Infektionsrate zu verringern. »Ich tue wirklich alles, um Lockdowns zu vermeiden, denn ich sehe natürlich in der ganzen Welt, welches Desaster dies für die Beschäftigung der Menschen mit sich bringt.«
FLUGHAFEN Nach der Veröffentlichung der Liste von »grünen« Ländern, aus denen Israelis jetzt ohne Quarantäne ins Land zurückkehren können, ist der nächste Schritt ein Corona-Testsystem am Flughafen Ben Gurion für ankommende und abgehende Flüge in alle Welt. Eine Ausschreibung dafür ist bereits veröffentlicht worden. Gamzu geht davon aus, dass der Betrieb in rund einem Monat beginnen wird. Dann könnten auch Menschen aus roten Ländern einreisen, nachdem sie einen negativen Coronatest vorlegen. Noch ist allerdings nicht klar, ob mit oder ohne Quarantäne. »Wir müssen erst genau evaluieren, was für Israel passt.«
Eine große Hürde ist der Beginn des bevorstehenden neuen Schuljahres am 1. September. »Die Meinungen darüber, ob es die Öffnung der Schulen war, die für die zweite Welle sorgte, gehen auseinander. Es ist aber eindeutig, dass es eine immense Herausforderung ist.« Er schlägt vor, dass jüngere Kinder in kleineren Gruppen in den Klassenräumen lernen und Schüler ab zwölf Jahren hauptsächlich von zu Hause aus.
Wir brauchen die Mithilfe aller Israelis. Das Tragen von Masken und Abstandhalten sind die richtigen Maßnahmen dafür.
Eine weitere Sorge sind die hohen Feiertage, die mit dem jüdischen Neujahr Rosch Haschana am 18. September beginnen. Im israelischen Fernsehen wurde Anfang der Woche berichtet, Gamzu habe vor, das gesamte Land zu dieser Zeit unter einen Lockdown zu stellen. Doch das stimme so nicht, korrigiert er. »Es ist noch ein Monat Zeit, und wir versuchen, das Virus bis dahin einzudämmen. Dafür brauchen wir die Mithilfe aller Israelis. Das Tragen von Masken und Abstandhalten sind die richtigen Maßnahmen dafür.«
Gamzu weiß, dass sich die Menschen in diesem Jahr besonders auf die Feiertage freuen und sich nach Familienfesten und Zusammenkünften sehnen. »Wir haben noch nichts entschieden. Es kommt wirklich darauf an, was bis dahin passiert.«