Es sollte ein romantisches Wochenende werden. Nur wir zwei. Eine Geburtstagsüberraschung für meinen Liebsten. Freitagmorgen steigen wir in den Flieger nach Athen, nur zwei Stunden entfernt. Lachend bummeln wir durch die Gassen und fallen glücklich und etwas beschwipst vom griechischen Wein ins Bett.
Das Klingeln meines Telefons weckte mich früh am nächsten Morgen. Eine gute Freundin schreit: »Wissen deine Kinder, dass sie nicht vor die Tür dürfen?« Ich bin sofort wach. «Raketen?”, frage ich. «Hamas”, flüstert sie mit einer Stimme, die versucht, die Tränen zu verstecken.
horror Zwei Wörter reichen aus, um eine ganze Welt zu beschreiben. Eine, die aus Horror, Angst, Tod und Schmerz gemacht ist. Eine Welt, die manchmal auch meine ist.
Das Ausmaß des wahr gewordenen Albtraums wird in mehr als 200 WhatsApp-Texten und Online-Nachrichten deutlich. Wenn auch noch nicht ganz, mein Verstand nimmt es auf, mein Herz sagt, dass das nicht wahr sein darf. Hunderte tote Israelis, entführte Frauen, Männer und Kinder.
Alles im Kopf rast: Raketen auf Tel Aviv, meine Kinder dort. Hunderte Terroristen in Israel, junge Leute auf einer Party, die um ihr Leben rennen. Vergebens.
schutzraum Meine kleine Tochter ist neun. Sie ist bei Saba und Safta. Aber die haben keinen Schutzraum in ihrem wunderschönen alten Haus. Ich rufe die Mutter ihrer besten Freundin an. Ihre Schlafzimmer sind alle unterirdisch. »Kann sie zu euch kommen?« Zehn Minuten später bringt ihr Großvater sie zu den Freunden. »Macht euch keine Sorgen. Sie ist mit uns. In Sicherheit. So lange wie nötig«, kommt eine Nachricht von ihr. Drei rote Herzen schicke ich als Antwort. Die sagen an Tagen wie diesen mehr als viele Worte.
Mein 14-jähriger Sohn ist mit Familienangehörigen für ein paar Tage nach Eilat gefahren. Es sind noch immer Sukkotferien. »Bitte, bitte bleib da«, beschwöre ich ihn am Telefon. Doch es folgen Stunden der Angst, sie sind schon losgefahren. Mit dem Auto durch die Wüste, vorbei am Toten Meer und Jericho im palästinensischen Westjordanland. Das ist der normale Weg. Dann Jerusalem und nach Tel Aviv, wo noch immer Raketen fliegen.
»Alles okay, Mami”, sagt er endlich mit einer Stimme, die manchmal noch Kind und manchmal schon so erwachsen ist. Ich frage ihn nicht, ob er Angst gehabt hat, ich bin zu weit weg von ihm. Ich kenne die Antwort ohnehin. Ich will ihn in den Arm nehmen.
Die nächsten zwei Tage vergehen damit, dass mein Liebster und ich nebeneinander sitzen und auf unsere Telefone schauen. Je länger, desto grausamer werden die Nachrichten.
schoa-überlebende Ich bin mir sicher, Athen ist wunderschön und dass die Griechen extrem gastfreundlich sind. Doch ich kann nichts sehen und spüren. Meine Schwiegermutter schreibt mir: »Genießt eure Zeit, geht gut essen und trinken. Ihr könnt jetzt nichts machen.« Sie ist Schoa-Überlebende, und immer wieder bewundere ich ihren unzerstörbaren Lebensmut.
Wir versuchen, nach Israel zurückzufliegen. Am Sonntag sind wir fast den ganzen Tag am Telefon. Doch alle Flüge sind abgesagt oder ausgebucht. Dutzende Male spreche ich mit meinen Kindern. Meine kleine Tochter singt ein Geburtstagsständchen mit ihrer Freundin für ihren Aba. Wir lachen ein paar Minuten. Ein klein wenig Normalität.
Ich rede mit meiner großen Tochter. Sie ist für ein Austauschjahr in den USA. Sie weint am Telefon. «Mami, jemand aus der Klasse in Ramat Hascharon ist tot.” Die Klasse ihrer besten Freundin, seit dem Kindergarten bis heute. Sie sind 22 und 23.
flughafen Auf dem Weg zum Flughafen schaut der Taxifahrer auf einmal in den Rückspiegel und sagt: »Es tut mir so leid, was in Israel geschieht.« Wir hatten gar nicht gesprochen. Hat uns unser Gesichtsausdruck verraten? »Sie sind aus Israel, oder?« Nachdem er die Koffer ausgeladen hat, sagt er noch einmal: »Es tut mir so unsagbar leid.«
Ich sitze am Gate. Auf dem Bildschirm steht Tel Aviv in griechischen und lateinischen Buchstaben. Ich atme auf. Noch eine Stunde, und ich fliege zurück nach Hause – und in die größte Katastrophe, die Israel jemals erlebte. Ich kann es nicht abwarten, meine Kinder in den Arm zu nehmen. Und kann mich nicht erinnern, jemals solche Angst gehabt zu haben vor dem, was kommen mag.