Wenn die Nationalhymne erklingt, geht der Griff nicht zur Basecap, um sie abzunehmen, wie bei den anderen Mannschaften. Die israelischen Sportler lassen ihre Baseballkappe auf – und erinnern damit an das Tragen einer Kopfbedeckung an heiligen Orten. So war es auch wieder vor den Spielen bei der Baseball-Europameisterschaft, die vom 7. bis 15. September in Bonn und Solingen stattfand. »Dass wir die Baseballkappe auflassen, ist eine Sache, die wir machen, um uns zu erinnern, dass wir Juden sind«, erklärt Shlomo Lipetz. Der 40-Jährige zählt zu dem blau-weißen Team, das sich für die diesjährige Baseball-EM als zwölftes und letztes Team qualifiziert hatte.
Bonn Capitals Das zweiwöchige Event fand am Spielort der »Bonn Capitals« statt. Die Baseballanlage liegt abseits der Bonner City in den Rheinauen. Durch ruhige Wohnstraßen fährt man Richtung Rhein auf der Suche nach dem Baseballstadion. Die Siedlungshäuser erinnern immer noch an die Zeit, als hier Mitarbeiter der Amerikanischen Botschaft untergebracht waren. Damals entstand auch die Spielstätte in der Martin-Luther-King-Straße.
Die Amerikanische Botschaft ist schon lange in Berlin, aber Baseball ist in den Bonner Rheinauen immer noch ein Anziehungspunkt. Das zeigte sich auch bei der EM. In den Parkbuchten mischten sich Autokennzeichen aus den Niederlanden und Belgien unter deutsche Nummernschilder. Wenn auch die Fahnenfarben auf den Wangen äußerst unterschiedlich waren, so verband einen Großteil der Fans die typische Kopfbedeckung, die sie mit ihren Spielern eint, die Basecap.
Ähnlich wie in Deutschland spielt Baseball in Israel eine eher untergeordnete Rolle.
Zwölf Teams traten gegeneinander an. Den Sieg holte am Ende die niederländische Mannschaft. Im Finale besiegte sie das italienische Team mit 5:1. Angereist als Titelverteidiger und Favorit, verlor sie zwar das allererste Spiel gegen Tschechien, startete dann aber konsequent durch und wurde zum 23. Mal Europameister. Die israelische Nationalmannschaft belegte den vierten Platz – für die Jungs um Cheftrainer Eric Holtz eine starke Leistung.
RANDSPORTART Geboren und aufgewachsen in Tel Aviv, lernte Shlomo Lipetz die in Israel eher unbekannte Sportart Baseball bei einem USA-Besuch im Grundschulalter kennen. Zurück in der Heimat, erzählte er seinen Klassenkameraden und Freunden davon. Shlomo – brauner Bart, freundliche Augen, die längeren Haare gucken unter der blauen Baseballkappe hervor – lächelt bei der Erinnerung daran. Die Liebe zum Pitchen war geweckt. »Ich habe dann mit zehn Jahren angefangen, in Israel Baseball zu spielen.«
Auch Jon Moscots Familie liebt Baseball: Sein Bruder spielte in Kalifornien, der Onkel in New Jersey.
Er erinnert sich auch an den ersten Deutschlandbesuch im Zusammenhang mit Baseball. »Damals war ich in Ramstein bei einem internationalen Turnier für Kinder«, erzählt Lipetz. Ein wenig Aufwind bekam die Randsportart in Israel durch Gründung von Vereinen, doch ähnlich wie in Deutschland spielt Baseball eine eher untergeordnete Rolle. »Baseball hat es nicht leicht in Israel, weil nicht viel Geld dahintersteckt«, sagt Shlomo Lipetz. Derzeit gibt es vier Vereinsmannschaften für erwachsene Spieler, ungefähr 1000 Israelis spielen Baseball im Verein. Nach dem Militärdienst in Israel ging Shlomo Lipetz in die USA, auch, um seiner Baseball-Leidenschaft besser nachgehen zu können.
»Wir haben unser wichtigstes Ziel erreicht«, freut sich Jon Moscot, neben Shlomo ein weiterer Pitcher der Israelis. Dadurch, dass sie bei der EM in Bonn auf den vierten Platz kam, kann die Mannschaft jetzt an der Olympia-Qualifikation in Italien teilnehmen. So ging es für Jon, Shlomo und die anderen »guys«, wie die Sportler sich untereinander nennen, direkt nach Bologna weiter.
DEUTSCHLAND Die deutsche Baseball-Nationalmannschaft belegte den sechsten Platz bei der Heim-Europameisterschaft und verpasste damit knapp die Möglichkeit, an der Qualifikation teilnehmen zu können. Die Gastgeber unterlagen am Sonntag im Spiel um Platz fünf der Tschechischen Republik mit 3:4. Die deutsche Mannschaft verlor auch das Spiel gegen Israel. Im Spiel um den Einzug ins Viertelfinale besiegten die Israelis den Gastgeber nach einem harten Kampf in der Verlängerung im Tie-Break mit 4:2.
»Für einige von uns ist es bedeutsam, auf deutschem Boden zu spielen, und auch, gegen ein deutsches Team zu spielen – und die Möglichkeit zu haben zu gewinnen«, sagt Shlomo Lipetz am Spielfeldrand kurz nach dem Spiel gegen Frankreich. Die meisten Spieler würden vor allem an den Sport denken, aber man könne die Geschichte nicht abspalten.
Ähnlich sieht es sein Teamkollege Jon Moscot. »Es ist etwas Besonderes für uns, in Deutschland zu sein und hier zu spielen – angesichts dessen, was passiert ist in diesem Land.« Der 28-Jährige ist einer der wenigen Profi-Baseballer im Team, die derzeit vom Baseball leben, die meisten haben noch einen anderen Beruf.
Mit vollem Namen heißt er Jonathan Solomon Moscot. Geboren in Amerika, hat er enge Bezüge zu Israel, da ein Großteil seiner Familie dort lebt. »Wir fühlen uns willkommen hier in Deutschland und von den anderen Jungs hier auf dem Platz«, sagt Jon in breitem amerikanischen Englisch. Irgendeine Art von Diskriminierung habe er nicht erlebt – weder auf dem Platz noch sonst irgendwo.
Jon Moscot gehört seit drei Jahren der israelischen Nationalmannschaft an. Seit 2018 hat er einen israelischen Pass.
Jon Moscot gehört seit drei Jahren der israelischen Nationalmannschaft an. Seit 2018 hat er einen israelischen Pass. Wie ein Großteil der Mannschaft hat er Bezüge zu den USA, wo Baseball Kult ist und die Zuschauer gesellschaftsübergreifend über mehr Know-how verfügen als in jedem anderen Land. Jons jüngerer Bruder war Pitcher an der University of California, sein Onkel spielte in New Jersey an der Universität Princeton.
IDOL Gefragt nach seinen Vorbildern im Baseball, nennt der 28-jährige Spieler den 1935 geborenen US-Amerikaner Sandy Koufax. »Er war einer der besten Pitcher jemals.« Koufax war jüdisch, religiös, jemand, von dem sein Vater immer gesprochen habe und der dann auch zu seinem großen Vorbild schon in Kindertagen geworden sei. »Ich habe mir Videos von ihm angeschaut, und ja, er wurde mein Idol.«
»In America baseball is huge«, betont Jon – in Amerika ist Baseball sehr beliebt. Ein Satz, der alles sagt über Amerikas Freizeitbeschäftigung Nummer eins. Auch Jon spielte schon als Kind Baseball, an der Highschool, am College. Jetzt ist es ihm ein Anliegen, dass die Sportart auch in Israel mehr Bedeutung bekommt.
Aufgrund von Verletzungen habe er bislang nicht bei Turnieren mit der Nationalmannschaft spielen können, erzählt er. Nun stand er erstmals bei der EM im blau-weißen Trikot auf dem Platz. »Das erste Mal für das israelische Team zu spielen, war großartig. Ich hatte noch nie so viel Spaß, Baseball zu spielen, wie mit diesem Team, weil alle sich gegenseitig motivieren, es bedeutet alles für das Team, und das Ziel heißt: gewinnen.« Jon ist begeistert: »It has been a really, really good time – es war wirklich eine tolle Zeit.«
Schabbat feierten die »guys« im Hotel – natürlich alle zusammen.
Mit israelischen Teamkollegen zu spielen, habe ihm viel bedeutet. »Es ist eine besondere Erfahrung für jeden von uns«, ist er überzeugt. Für Jon, der in den USA Baseball-Karriere gemacht hat, ist es ein anderes Gefühl, in einem israelischen Team zu spielen. »Ich würde sagen, es ist sehr speziell, weil es unsere Tradition repräsentiert.«
TRIKOTS Diese Erfahrung teilt Shlomo Lipetz, der mittlerweile seit mehr als 25 Jahren für die israelische Nationalmannschaft spielt. Lipetz hat schon an mehreren Europameisterschaften teilgenommen. Seine Teamkollegen nennen den 40-Jährigen liebevoll »Opa«.
»Ich bin immer wieder stolz, in den Farben Israels mit meinem Team zu spielen«, sagt er. »Für einige Spieler ist es das erste Mal, dass sie in einem Team spielen, in dem nur Juden sind.« Etliche von ihnen würden in den USA spielen, dort seien meist nur ein bis zwei jüdische Spieler im Team. Jetzt sei es das erste Mal, dass alle um sie herum jüdisch sind.
»Es ist etwas Besonderes«, sagt Shlomo Lipetz. »Wir tragen nicht nur die gleichen Trikots, sondern wir haben auch den gleichen kulturellen Background. Es ist nicht nur eine Gruppe von Individuen, wir spielen unter der gleichen Flagge, wir teilen Geschichten – ich glaube, das ist ein Grund für unseren Erfolg in diesem Turnier.« Dass alle jüdisch sind, eine das Team auf besondere Weise. Dabei spiele es keine Rolle, ob man religiös sei oder nicht, meint Pitcher Lipetz, der sich selbst als säkular bezeichnet. Einige würden den Schabbat halten, andere weniger.
»Jüdisch zu sein, ist eine Identität – ob du in die Synagoge gehst oder nicht.« Jedes Mannschaftsmitglied hier habe ein unterschiedliches religiöses Level, aber alle hätten den gleichen Hintergrund: »Unsere Eltern haben uns die Verbindung zu Israel vermittelt.« Und nun spielten sie alle im blau-weißen Trikot.
»Wir sind konkurrenzfähig, auf Augenhöhe mit den anderen Mannschaften«, sagt Shlomo Lipetz sichtbar stolz im Rückblick auf das Turnier.
Dabei war es das erste Mal, dass sie an einer A-Pool-Baseball-Europameisterschaft teilnehmen. »Und wir sind konkurrenzfähig, auf Augenhöhe mit den anderen Mannschaften«, sagt Shlomo Lipetz sichtbar stolz im Rückblick auf das Turnier.
RESPEKT Wenn er nicht Baseball spielt, arbeitet der Pitcher als Konzertveranstalter für die »City Winery«, einen großen Veranstaltungsort in Manhattan. Dann bewegt er sich in anderen Welten. Aber dem Baseball bleibt er seit Jahren treu.
Für ihn ist Baseball ein perfekter Mix aus individuellem Sport und Teamsport. Von Diskriminierungen als Jude oder als Vertreter Israels kann er nicht berichten. Eine der besten Dinge beim Sport, auch beim Baseball, sei, dass auf dem Spielfeld jeder sein Spiel spiele und jeder den anderen aus anderen Teams respektiere. Und er ergänzt: »Wir haben uns von den deutschen Organisatoren sehr willkommen gefühlt, auch im Hotel, wir haben keine Diskriminierung empfunden.«
Neben dem sportlichen Einsatz blieb den Spielern der israelischen Mannschaft wenig Zeit. So bekamen sie auch wenig mit vom jüdischen Leben in Deutschland. An einem spielfreien Tag waren sie in Köln. »Einige von uns waren dort in der Synagoge«, erzählt Jon Moscot. Er selbst war bei der Dombesichtigung dabei. Der Dom sei »absolut traumhaft«, schwärmt er von der Kölner Sehenswürdigkeit Nummer eins. Den Schabbat habe man im Hotel gefeiert – natürlich als Team.