Noch immer ist der Eklat mit Polen nicht beigelegt. Am Wochenbeginn gab das Bildungsministerium in Jerusalem bekannt, dass es auch für den Herbst alle Holocaust-Bildungsreisen für israelische Oberschüler nach Polen absagen werde. Man habe sich mit der polnischen Regierung weder auf den Bildungsinhalt noch die Sicherheitsvorkehrungen einigen können.
Bereits im Juni hatte Außenminister Yair Lapid erklärt, dass die für den Sommer geplanten Reisen gestrichen werden. Der Grund war schon damals, dass sich Warschau in die bei diesen Fahrten vermittelten Lehrinhalte einmischen wollte. »Sie wollen uns sagen, was erlaubt ist und was nicht, wenn israelische Kinder nach Polen reisen«, erläuterte Lapid, der jetzt Ministerpräsident ist. »Dem können wir nicht zustimmen.«
entscheidung In einem Schreiben wurden rund 7000 Schülerinnen und Schüler an Oberschulen im ganzen Land über die Entscheidung informiert, dass ihre Fahrten nicht stattfinden werden.
»Wir sind bereit, die Verhandlungen jederzeit wiederaufzunehmen, solange es Verständnis für die israelische Position gibt.«
bildungsministerium jerusalem
Zuvor hatte sich Warschau geweigert, es Beamten des Inlandgeheimdienstes Schin Bet, die für die Sicherheit während der Reisen sorgen, zu erlauben, Waffen in Polen zu tragen. Bis zu diesem Zeitpunkt war dies regelmäßig gestattet worden. Doch hinter der vordergründigen Erklärung stand etwas Tiefergehendes.
Aus dem polnischen Außenministerium hieß es, Polen wolle, dass Israel seiner Jugend den Holocaust »aus einer breiteren historischen Perspektive« beibringe, die keine »negativen Klischees über Polen« beinhalte. »Unsere Erfahrung ist, dass israelische Jugendliche mit negativen Gefühlen gegenüber Polen und dem polnischen Volk von diesen Reisen zurückkehren.«
delegation Eine Delegation aus Vertretern der Ressorts Außenpolitik und Bildung sowie des Sicherheitsdienstes Schin Bet wurde jüngst nach Warschau entsandt, um Gespräche über »entscheidende Fragen« zu führen und den Streit beizulegen. Allerdings kehrte sie ohne Ergebnis zurück nach Israel. Die Ministerien seien aber bereit, die Verhandlungen wiederaufzunehmen, »um eine geeignete Lösung zu finden, solange es Verständnis für die israelische Position gibt«, hieß es anschließend aus dem Bildungsministerium.
In 2018 hatte Polen das umstrittene Gesetz zum »Nationalen Gedenken« erlassen. Es stellt öffentliche Äußerungen unter Strafe, die Polen oder der polnischen Nation die Verantwortung oder Mitverantwortung für den Holocaust zuschreiben. Die Gesetzgebung wurde weltweit - aber vor allem in Israel - scharf kritisiert. Sie wird als Angriff auf die akademische Meinungsfreiheit sowie als Versuch gesehen, die Geschichte zu beschönigen und Polen ausschließlich als Opfer und Helden darzustellen.
Im Februar 2021 veröffentlichte die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem eine Erklärung zu dem Urteil eines polnischen Gerichts, das gegen Holocaust-Forscher gefällt worden war. Man erkenne das Urteil zwar an, sei aber zutiefst beunruhigt über dessen Auswirkungen. »Jeder Versuch, den akademischen und öffentlichen Diskurs durch politischen oder rechtlichen Druck einzuschränken, ist inakzeptabel und stellt einen materiellen Schlag gegen die akademische Freiheit dar.«
»Historische Forschung muss die komplexe Realität widerspiegeln, die in einem Zeitraum existierte.«
holocaust-gedenkstätte yad vashem
»Historische Forschung muss die komplexe Realität widerspiegeln, die in einem bestimmten Zeitraum existierte, basierend auf der gewissenhaften Analyse der vorhandenen Dokumentation.« Vielfältige Dokumentation sowie Jahrzehnte historischer Forschung zeigten, so Yad Vashem weiter, »dass es unter der drakonischen nationalsozialistischen deutschen Besetzung Polens und trotz des weit verbreiteten Leidens des polnischen Volkes unter dieser Besetzung Polen gab, die aktiv an der Verfolgung der Juden und ihrer Ermordung beteiligt waren«.
DISKUSSION »Die strafrechtliche Verfolgung von Forschern und Journalisten, die sich mit diesen Themen befassen, anstatt die weltweit übliche akademische Diskussion zu führen, stellt eine reale Bedrohung der Wissenschafts- und Pressefreiheit dar«, fasste die Gedenkstätte zusammen.
Im Mai dieses Jahres waren bereits die Polen-Reisen zur Schoa-Bildung von Offizieren und Anwärtern der israelischen Armee gestrichen worden. Stattdessen geht es jetzt nach Litauen.