Das Desaster von Beirut könnte Bündnisse im Nahen Osten nachhaltig verändern. Denn die Hisbollah ist mit dem Vorwurf konfrontiert, als Kontrolleurin des Hafens für die Explosionen verantwortlich zu sein, die mindestens 165 Todesopfer gefordert haben, bei denen 6000 Menschen verletzt und 300.000 Menschen obdachlos wurden.
Beirut hat in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Tragödien erlebt. Stets waren es aber ausländische Akteure, die dafür verantwortlich waren. Doch in der vergangenen Woche wurde Beirut nicht von außen angegriffen. Es waren weder regionale Großmächte noch Terrorgruppen, die ihre Konflikte im Libanon austrugen. Die üblichen Verdächtigen – zum Beispiel die PLO, Syrien, der Iran oder Israel – sind diesmal unschuldig.
desaster Das jüngste Desaster ist »made in Lebanon«. Es geht auf das Konto der regierenden Elite des Landes. Sie ist nicht nur korrupt und wirtschaftet in die eigene Tasche. Sie hat, um an der Macht zu bleiben, ihr Land verraten und sich zur Marionette eines anderen Staates degradiert.
Der Hafen steht unter der Kontrolle der Terrormiliz Hisbollah.
Die Hisbollah würde einen »großen Fehler« machen, sollte sie durch einen Angriff auf Israel von der Situation im Libanon ablenken wollen, warnt Premier Benjamin Netanjahu. In einem Gespräch mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron forderte er die »Beschlagnahmung der Sprengstoffe und Raketen, die die Hisbollah in Bevölkerungszentren des Libanon versteckt«.
Die Explosion zeige wieder einmal, dass die Hisbollah Zivilisten und Städte benutze, »um ihre terroristischen Aktivitäten zu verstecken«, meinte am Dienstag auch Außenminister Gabi Ashkenazi.
Im Vorfeld der Diskussion im UN-Sicherheitsrat über die Verlängerung des UNIFIL-Mandats warnte er die Hisbollah davor, Israels Souveränität zu verletzen, und sprach sich für eine Verlängerung der Präsenz der UN-Interimstruppe im Libanon aus. Auch wiederholte er das Angebot der humanitären Hilfe, auf das Beirut bisher nicht eingegangen ist.
WARNUNG Dass das hochexplosive Ammoniumnitrat im Hafen in der Nähe des Stadtzentrums gelagert wurde, war seit Jahren bekannt. Noch im Juli soll die Regierung von libanesischen Sicherheitsexperten gewarnt worden sein, wie die Nachrichtenagentur Reuters recherchiert hat. Der Bericht sei an den damaligen Ministerpräsidenten Hassan Diab und Präsident Michel Aoun gegangen.
Doch es folgten keine Taten. Denn der Hafen steht unter Kontrolle der Hisbollah, die im Libanon ein Staat im Staat ist. Die Regierung, die am Montag zurückgetreten ist, war im Januar mit Unterstützung der Hisbollah eingesetzt worden. Die Wut der Bürger über die Katastrophe könnte den Pakt der Elite mit der Terrormiliz beenden. Demonstranten führen Galgen mit, an denen sie Puppen aufhängen, die an Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah erinnern.
Der 60-Jährige hat in einer Fernsehansprache zwar jede Schuld an dem Desaster von sich gewiesen. »Wir haben nichts mit dem Hafen zu tun«, behauptete er. Doch der Libanon-Kenner David Daoud hält es für »kaum plausibel«, dass die Gruppe von der Präsenz des tödlichen Stoffs nichts gewusst habe. Zumal der Manager des Hafens ein Schwager von Nasrallah ist.
waffen Die Hisbollah hatte bisher den Staat fest im Griff. Statt sich für libanesische Interessen einzusetzen, realisierte Nasrallah iranische Ambitionen. Denn Teheran finanziert die Hisbollah zu einem großen Teil und versorgt sie mit Waffen – eine Speerspitze gegen Israel, den Erzfeind der Ayatollahs.
Doch jetzt schwächelt die Achse Iran–Hisbollah. Teheran, berichtet der iranische Journalist Ahmad Parhizi, sehe mit Sorge, dass Frankreichs Präsident Macron bei seinem jüngsten Besuch in Beirut Reformen gefordert hat.
Dieser Forderung haben sich in der Folge auch andere westliche Vertreter angeschlossen, unter anderem Bundesaußenminister Heiko Maas. Das iranische Regime interpretiere die Forderung nach Reformen als Versuch, israelische Interessen zu fördern, meint Parhizi.
HILFE Aus iranischer Sicht ist die Sorge verständlich, dass sich der Stellvertreter Teherans mäßigt. Denn erstens würde es im Libanon der Popularität der Hisbollah schaden, sollte sie wie in der Vergangenheit Israel provozieren oder angreifen und damit einen Krieg riskieren. Der Libanon kann sich das derzeit schlicht nicht leisten. Die Hisbollah dürfte deshalb wenig Interesse zeigen, sich künftig als Stellvertreterin Teherans verwenden zu lassen.
Doch die Hisbollah bleibt gefährlich. Allein in Beirut seien in bewohnten Gegenden 28 Raketenbasen versteckt, sagt die Libanon-Expertin Sarit Zehavi vom Forschungszentrum Alma im Norden Israels. 2016 hatte Nasrallah Israel gedroht, dass eine Explosion von Ammoniumnitrat in Haifa dieselbe explosive Wirkung haben würde wie eine Atombombe.
Die Hisbollah hat ihren Radius über den Nahen Osten ausgedehnt. So gab es in Deutschland nach Angaben des Verfassungsschutzes Lager mit Ammoniumnitrat. Die Sicherheitsbehörden seien bei ihren Ermittlungen gegen die Hisbollah in der Vergangenheit auf eine Lagerung von sogenannten Cold-Packs gestoßen, die unter anderem Ammoniumnitrat enthielten. Im Jahr 2015 soll laut einem Bericht des »Daily Telegraph« auch in London Ammoniumnitrat gefunden worden sein.
Versorgungsnot könnte zu einer Kooperation mit Israel zwingen.
Die Zerstörung der Hafenanlagen von Beirut könnte indes einen Effekt haben, den die Hisbollah mit Sicherheit nicht beabsichtigt hat. Ohne die 3000 Schiffe, die pro Jahr in Beirut gelöscht werden, könnte es zu Engpässen kommen. Der Weizenvorrat des Libanon für die nächsten 18 Monate, der in der Nähe des Hafens gelagert wurde, ist vernichtet. Die UNO will deshalb mithilfe einer Luftbrücke 50.000 Tonnen Weizen in den Libanon liefern, um eine Nahrungsmittelkrise zu verhindern.
importgüter Für den Rest der Importgüter kommt als Alternative für die zerstörten Anlagen von Beirut der Hafen von Tyros infrage. Doch seine Kapazität reicht nicht, um den Ausfall von Beirut voll zu kompensieren, und syrische Häfen sind zu riskant. Vielleicht, spekulierte deshalb neulich der Nahostexperte Ehud Yaari im israelischen TV-Sender Channel 2, »werden die Libanesen jemanden im Norden des Landes anfragen«.
Vielleicht wird der Libanon durch die Versorgungsnot, die nach der Explosion am Hafen von Beirut entsteht, zum Frieden mit Israel gedrängt. Und sei es nur, damit der Libanon seine Waren über den Hafen von Haifa einführen kann. Dann müsste nur noch die Grenze zwischen dem Libanon und Israel geöffnet werden – zumindest für Lkws.