Politik

Historischer Fall

Spitzenkandidat: Avi Gabbai ist seit 2017 Vorsitzender der israelischen Arbeitspartei. Foto: Flash90

Am 9. April wird in Israel gewählt. Es sieht im Moment danach aus, dass die arabischen Parteien mehr Abgeordnete ins Parlament schicken werden als die sich im freien Fall befindliche Arbeitspartei. Die Avoda wird wohl eine weitere Minderheitspartei einer verschwindenden politischen Formation in Israel werden.

Eine historische Zäsur, denn es gab Zeiten, da konnte man durchaus behaupten, dass der Staat Israel integraler Teil der Arbeitspartei war. Was ist geschehen?

Man kann es sich dabei sehr einfach machen und über die globale Krise der europäischen Sozialdemokratie räsonieren, die auch vor der israelischen Arbeitspartei nicht Halt macht. Der SPD und ihren Schwesterparteien in Europa geht es ja auch nicht besser. Aber die israelische Arbeitspartei war nie eine europäische sozialdemokratische Partei, eher eine osteuropäische bolschewistische Version. Sie hat in den verschiedensten historischen Variationen seit 1930, also 18 Jahre vor der Staatsgründung, nie eine »Klasse«, sondern die »Nation« vertreten. Sie war die Partei der Nationenbildung, ohne die der Staat Israel wohl nicht gegründet worden wäre.

INTEGRATION Nach dem Unabhängigkeitskrieg von 1948 machten Ben Gurion und seine Partei es sich zur Aufgabe, die nationale Integration durch das Militär und das Bildungssystem zu erreichen. Aber die neueren Einwanderer aus dem Nahen Osten wurden in diesen Prozess nicht wirklich einbezogen. Sie wurden nur schwer in das Bildungssystem integriert und waren im Allgemeinen Opfer von gefühlter Diskriminierung. Die Arbeitspartei musste sich auf nationale Ziele konzentrieren. Sie konnte die verschiedensten Diskriminierungen nicht bekämpfen, weil sie selbst Teil davon war.

Die Gefahren des Sechstagekrieges von 1967 und, stärker noch, der Jom-Kippur-Krieg von 1973 waren nur die letzte Stufe der wachsenden Entfremdung der Wählerschaft von ihr, die 1977 schließlich Menachem Begin und seine rechte Partei Likud ins Amt brachte.

Bei den Wahlen von 1977 kam es zur politischen Verbrüderung zwischen dem rechten Likud-Block und den orientalischen Juden gegen das aschkenasische Establishment. Die Arbeitspartei hat sich bis heute nicht von dem Schock der verlorenen Wahl von 1977 erholt. Später gab es eine kurze politische Renaissance, die wegen der Zersplitterung innerhalb der Rechten die politischen Siege von Jitzchak Rabin 1992 und Ehud Barak 1999 ermöglichte.

Die Avoda wird wohl eine Minderheitspartei in Israel werden.

Die Argumente der von Menachem Begin für den Likud geführten Wahlkämpfe in diesen Jahren finden bis heute Gehör; sie sind auch die Argumente Netanjahus und seiner Verbündeten: Das aschkenasische Establishment, politisch angeführt durch die Arbeitspartei, verachtet die orientalischen Juden, nimmt deren kulturelle Praktiken nicht nur nicht ernst, sondern sieht sie als primitiv und abergläubisch an. Dabei spielt es natürlich keine Rolle, aus welcher ethnischen Gruppe die Politiker des Likud oder der Arbeitspartei stammen.

REVOLUTION Aber das allein genügt nicht, um den Zusammenbruch der israelischen Arbeitspartei zu erklären. Auch in Israel wollten viele Menschen an der in den 70er-Jahren beginnenden neoliberalen Revolution teilnehmen. Die Expansion des Konsums wurde auch in Israel als ein wichtiger Schritt zur Integration in die westliche Welt gefeiert, und das verstärkt seit den späten 70er-Jahren, als die Arbeitspartei nicht mehr regierte.

Aber auch wenn die neoliberale Politik das Versprechen des Wohlstands für alle nicht halten konnte, wollte man sich doch nicht als Klasse definieren. Auch wenn es Angst vor dem sozialen Abstieg gab, wurde er nicht »sozialdemokratisch« konnotiert. Auch wenn es in Israel soziale Protestbewegungen – wie im Sommer 2011 – gab, wurden sie am Ende von der regionalen Konfliktsituation überdeckt.

Die lange hegemonial herrschende Sozialdemokratie in Israel hatte es immer verstanden, die israelische Gesellschaft als einen auf Gleichheit beruhenden Sozialstaat zu vermitteln. Sie war es, die auch die Gleichsetzung von Staat und Gesellschaft vollzogen hat. Das war sowohl für die Staatsgründung als auch für die Staatserhaltung in den ersten Jahrzehnten ein mehr als wichtiger Mythos. Der real existierende Sozialismus in Israel, der schon vor der Staatsgründung existierte und sich in den Institutionen wie den Parteien, dem Gewerkschaftsbund und im kollektiven Landbesitz festmachte, war immer Teil der praktischen Konstitution der Nation.

GLEICHHEIT Aber der Mythos der Gleichheit lebte weiter und rettete sich auch in die Zeit des Umbruchs, der Privatisierung und Liberalisierung, der in Israel in den späten 70er-Jahren begann. Nur können rechte Parteien dieses Bedürfnis nach Gleichheit besser auffangen. Denn es geht um Gleichheit innerhalb der Nation, nicht um Gleichheit als universeller Begriff, der auch eng mit dem nicht mehr existierenden Friedensprozess zusammenhängt. Diese Universalität wurde als »links« diskreditiert, und in den vergangenen zehn Jahren gilt auch in Israel »links« als Schimpfwort – ein Synonym für »unpatriotisch« und »vaterlandslos«.

In diesem Sinne will auch die Arbeitspartei nicht mehr als »links« gelten. Sie gibt daher für eine an den Friedensprozess glaubende Minderheit keine politische Heimat her. Damit hat sie ihre historische Rolle im Land ausgereizt. Sie ist in der Tat überflüssig geworden.

Der Autor ist Soziologe in Tel Aviv. In Kürze erscheint der von ihm mitherausgegebene Sammelband »Neuer Antisemitismus? Fortsetzung einer globalen Debatte«.

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