Israels Oberstes Gericht hat sich in einer historischen Gerichtsverhandlung mit einem höchst umstrittenen Justizumbau der rechts-religiösen Regierung befasst. Erstmals in der Geschichte des Landes kamen am Dienstag alle 15 Richter zusammen, um über acht Petitionen gegen eine verabschiedete Grundgesetzänderung zu beraten.
Mit einer Entscheidung wird frühestens in einigen Wochen gerechnet. Zum Ende der fast 14-stündigen Sitzung gewährte die Vorsitzende Richterin Esther Chajut eine Frist von 21 Tagen zur Einreichung von Ergänzungen.
Die Regierung von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hatte Ende Juli die Änderung verabschiedet, die dem Obersten Gericht die Möglichkeit nimmt, gegen »unangemessene« Entscheidungen der Regierung, des Ministerpräsidenten oder einzelner Minister vorzugehen. Kritiker befürchten, dass dies Korruption und die willkürliche Besetzung von entscheidenden Posten fördern könnte. Die Regierung argumentiert dagegen, das Oberste Gericht sei zu mächtig.
Politische Fragen Während der Anhörung verteidigte der Vorsitzende des Justizausschusses, Simcha Rothman, die Pläne und warf dem Obersten Gericht vor, sich zu sehr in politische Fragen einzumischen. Allein die Beratung über die Gesetzesänderung sei ein »Versagen«, sagte Rothman, der neben Justizminister Jariv Levin als treibende Kraft hinter dem Vorhaben gilt.
Befürworter des Gesetzesvorhabens argumentieren, den Richtern fehle die Befugnis, über Änderungen von Grundgesetzen zu entscheiden. Sie seien, anders als Abgeordnete oder Minister, nicht direkt vom Volk gewählt worden. »Mit welcher Berechtigung nimmt man dem Staat Israel seine grundlegendste Eigenschaft als demokratischer Staat - die freien Wahlen und die Fähigkeit der Öffentlichkeit, die Gesetze zu ändern, die ihr Leben bestimmen?«, fragte Rothman. Der wichtigste Souverän sei das Volk.
Die Gesetzesänderung ist Teil eines umfassenden Vorhabens der Regierung zur Schwächung der Justiz. Seit Jahresbeginn spalten die Pläne weite Teile der israelischen Gesellschaft. Am Montagabend gingen erneut Zehntausende Menschen dagegen auf die Straßen.
Todesstoß für Demokratie Eliad Schraga von der Bewegung für Qualitätsregierung rief die Richter eindringlich auf, die Gesetzesänderung aufzuheben. Sie versetze »dem Kern der israelischen Demokratie einen Todesstoß«.
Unklar war, wie das Oberste Gericht sich verhalten wird. Bei der Anhörung äußerten sich mehrere Richter bereits kritisch über das Vorhaben der Regierung. Die Vorsitzende Chajut sagte über die Auswirkungen der Gesetzesänderung: »Niemand kann mehr prüfen, ob sie (die Minister) angemessen gehandelt haben oder nicht.«
Richter Izchak Amit sagte, die Judikative müsse eher noch gestärkt und nicht geschwächt werden. »Demokratien sterben nicht auf einmal, sondern in kleinen Schritten.« Eine Abgeordnete der Regierungspartei Likud, Tali Gottlieb, begann daraufhin aus den Zuschauerreihen zu rufen: »Die Knesset (Israels Parlament) schützt die Demokratie.«
Weitreichende Konsequenzen Rechtsanwalt Aner Helman, der die Generalstaatsanwältin vertrat, warnte vor weitreichenden Konsequenzen. »Diese Regierung mag nicht von ihrer Macht Gebrauch machen, aber es besteht kein Zweifel, dass der Tag kommen wird, an dem eine bestimmte Regierung ihre Macht ausüben wird.« Niemand solle etwas anderes denken. »Wenn sie also sagen: »Vertraut uns, die Knesset ist die Aufsicht«, müssen wir alle sehr, sehr vorsichtig sein.«
In Israels Geschichte wurde bisher noch nie ein Grundgesetz oder eine Änderung eines Grundgesetzes aufgehoben. Sollte dies nun geschehen und die Regierung die Entscheidung nicht akzeptieren, droht dem Land eine Staatskrise, da Zuständigkeiten nicht mehr klar geklärt wären. Unterdessen liefen im Hintergrund weiter Bemühungen um einen Kompromiss.
Bei der Sitzung war auch der deutsche Botschafter in Israel, Steffen Seibert, als Zuhörer dabei. In einem Video auf X, ehemals Twitter, sagte er auf Hebräisch: »Ich denke, etwas Wichtiges passiert hier für Israels Demokratie. Wir als Freunde Israels schauen mit großem Interesse auf das Oberste Gericht. Das wollte ich mir ansehen.«