Die Drohung ist eindeutig: »Jedem, der nach unseren Schätzen greift, wird die Hand abgehackt.« Hassan Nasrallah, Chef der schiitischen Hisbollah im Libanon, äußert sich in gewohnt brutaler Weise in Richtung Israel. Sollten die Forderungen des Libanons nicht erfüllt werden, werde angegriffen, warnt der Terror-Chef. Um wertvolles Gut geht es tatsächlich: Erdgas. Doch auf das erhebt nicht nur Nasrallah Anspruch, sondern auch Israel.
Am Wochenbeginn wurde die israelische Armee in der Nähe der nördlichen Grenze in höchste Alarmbereitschaft versetzt, da befürchtet wird, dass die Hisbollah versuchen könnte, einen Angriff durchzuführen, während die von den USA vermittelten Gespräche um die strittigen Seegrenzen stattfinden. Dabei heißt es, Jerusalem und Beirut stünden kurz vor einer Einigung. Doch die vom Iran gesponserte Gruppe Nasrallahs will nicht mitspielen.
Die jüngsten Spannungen zwischen den Nachbarn schwelen seit zehn Jahren und drehen sich um rund 860 Quadratkilometer Mittelmeer, die entlang der Grenze beider Länder verlaufen. Als die Vereinigten Staaten und die Vereinten Nationen halfen, indirekte Gespräche über eine Einigung über die maritimen Grenzen zu vermitteln, erweiterte der Libanon seine Ansprüche um ein zusätzliches Gebiet von 1420 Quadratkilometern, das von Israel beansprucht wird. Darin liegt das Karisch-Feld, in dem ein großes Vorkommen an Erdgas vermutet wird. Es gibt noch ein zweites Gasfeld mit Namen Qana, das in dem umstrittenen Gebiet liegt.
erschließung 2017 bereits hatte das israelische Energieministerium einen Plan zur Erschließung von Karisch genehmigt, der Offshore-Bohrungen durch die griechische Ölgesellschaft Energean und den Transport von Gas auf israelisches Land über eine Pipeline umfasste. Israelische Satellitenbilder zeigen, dass die Energean-Gasbohrinsel knapp zehn Kilometer südlich des vom Libanon beanspruchten Gewässers liegt.
Doch mit der planmäßigen Ankunft der Gasplattform am 5. Juni spitzte sich der Streit zu. Beirut kochte vor Wut. Als Antwort forderte Israel eine Rückkehr an den Verhandlungstisch und versprach, in den umstrittenen 860 Quadratkilometern Gewässer nicht nach Gas zu bohren. Doch dann gab das israelische Militär an, es habe vier Hisbollah-Drohnen abgeschossen, die auf Karisch zuflogen. Nasrallah erläuterte anschließend seine Sicht der Dinge: »Die Schiffe, die das Gas fördern, sind israelisch, auch wenn sie unter griechischer Flagge fahren. Wenn die Förderung von Gas aus Karisch im September beginnt, bevor der Libanon seine Rechte erhält, haben wir ein Problem.«
Am Montag äußerte sich Verteidigungsminister Benny Gantz und warnte die Hisbollah, dass jeder Angriff auf israelische Gasanlagen einen Krieg auslösen kann. »Es könnte eine Reaktion nach sich ziehen, die zu einer Militärkampagne führt. Wir sind stark und auf dieses Szenario vorbereitet«, führte der Minister aus, schränkte jedoch ein, dass Jerusalem dies nicht wolle. Im Hinblick auf Karisch machte er klar, dass das Fördern aus dem Gasfeld beginnen werde, wenn es produzieren kann. »Der Staat Israel ist sowohl bereit, sein Vermögen zu schützen, als auch, über amerikanische Vermittlung eine Einigung mit der libanesischen Regierung zu erzielen.«
plattformen Der Libanon und Israel waren zuletzt im Jahr 2006 in eine kriegerische Auseinandersetzung verwickelt. Heute sind sie durch eine von der UNO überwachte Waffenstillstandslinie getrennt, sie unterhalten keinerlei diplomatische Beziehungen.
Die USA vermitteln mit ihrem Gesandten Amos Hochstein, den Nasrallah wegen seines jüdisch klingenden Nachnamens verhöhnt. »Wenn sie weiter verhandeln wollen, sollen sie es. Aber nicht mit einem Hochstein, Frankenstein oder sonst irgendeinem Stein, der in den Libanon kommt.« Hochstein indes gibt sich optimistisch ob der Fortschritte bei den Gesprächen.
»Die Terrorgruppe läuft Gefahr, ihr Spiel zu übertreiben.«
Amos Yadlin, ehemaliger Mossad-chef
Die Aussage von Nasrallah steht in Widerspruch zum Willen der libanesischen Regierung, die den amerikanischen Gesandten ins Land eingeladen hatte, um die Spannungen abzumildern. So sagte auch der Außenminister Abdallah Bou Habib in Beirut, er sei »sehr zuversichtlich«, dass ein Durchbruch bei den Gesprächen nahe sei.
Und gerade dies könnte das Problem sein. Israelische Sicherheitsexperten befürchten nun, dass Nasrallah die Gespräche sabotieren will oder versuchen könnte, Israel noch einmal zu provozieren.
Der einstige Chef des israelischen Geheimdienstes Mossad, Amos Yadlin, warnte, dass die Hisbollah in ihren Provokationen zu selbstbewusst werde. »Die Terrorgruppe läuft Gefahr, ihr Spiel zu übertreiben und einen Konflikt mit Israel auszulösen«, erklärte er. So ähnlich habe die Eskalation vor dem letzten Krieg zwischen Israel und der Hisbollah auch begonnen.
Europa Die Entwicklungen in dem Disput werden auch in Europa zunehmend mit großer Sorge verfolgt. Denn im Juni unterzeichneten Israel, Ägypten und die Europäische Union in Kairo eine gemeinsame Absichtserklärung, wonach Israel erstmals sein Erdgas über den Nachbarn im Süden nach Europa exportieren wird. Damit soll die dortige Energiekrise abgeschwächt werden, die durch Russlands Angriff auf die Ukraine ausgelöst worden war.
Bei der Unterzeichnung in Ägypten war auch die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dabei, die sich davor in Jerusalem für israelische Lieferungen ausgesprochen hatte. Im vergangenen Jahr importierte die EU noch rund 40 Prozent ihres Gases aus Russland.
Doch auch der Libanon will dringend ein Abkommen über die Seegrenze im Mittelmeer. Die dortige Regierung, von Zersplitterung und Korruption geplagt, hofft, die Gasvorkommen schnell auszubeuten, um zu versuchen, die lähmende Brennstoffknappheit und Wirtschaftskrise des Levantestaates zu lindern, die das Land seit 2019 im Griff hat.