Nahost

Hinter den Kulissen

Propalästinensische Demonstranten verbrennen am 19. Mai in Teheran amerikanische und israelische Fahnen. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

In der jüngsten Zeit konnte Israel zu Recht den Titel eines Impfweltmeisters gewinnen und ein neues Kapitel in der Geschichte der Diplomatie und der internationalen Beziehungen schreiben. So hat Jerusalem mit mehreren arabischen Staaten diplomatische Beziehungen aufgenommen, darüber hinaus mehrere Verträge über die Zusammenarbeit abgeschlossen, und es zeichnete sich eine Annäherung mit der Türkei ab.

Noch am 6. Mai veröffentlichte »Daily Sabah«, der englischsprachige Ableger der türkischen regierungsnahen Tageszeitung »Sabah«, den Artikel eines Bakuer Politologen mit dem Titel »Die Wege der Wiederbelebung des türkisch-aserbaidschanisch-israelischen Dreiecks«. Und bereits einige Tage später begann die Terrororganisation Hamas mit den Raketenangriffen auf Israel.

Dabei gilt es, den Blick zu erweitern und auf die verschiedenen Player hinter den Kulissen und deren Interessen zu werfen – allen voran der Iran.
Der Iran ist der zentrale Player im Nahen und Mittleren Osten, der sich vom Friedensprozess zwischen Israel und den arabischen Staaten der Region herausgefordert sieht. Das Aufflammen der israelisch-palästinensischen Konfrontation birgt in sich langfristig die Gefahr einer Zerreißprobe für den länderübergreifenden Dialog zwischen Jerusalem und den arabischen Staaten und überschattet die türkisch-israelische Annäherung.

BEDROHUNG Auch diese Annäherung betrachtet Teheran als eine Bedrohung für seine Interessen in der Region, denn eine verstärkte türkisch-israelische Kooperation würde Ankaras Beziehungen zu Washington verbessern und dadurch die türkischen wie auch die israelischen Positionen im Nahen Osten synergetisch stärken.

All diese Dynamiken stehen nicht im Einklang mit den Strategien des theokratischen Regimes im wirtschaftlich geschwächten und von der Pandemie geplagten Iran – auch nicht jetzt, trotz der Wiederaufnahme der Nuklearverhandlungen mit Teheran vonseiten der neuen Administration in Washington.

Iran will im Nahostkonflikt das »syrische Modell« anwenden.

Das Problem ist komplex. Zum einen ist die Wirtschaftslage im Gazastreifen wie auch im palästinensischen Westjordanland prekär – und das liegt nicht an der israelischen Politik, sondern größtenteils daran, dass die palästinensischen Behörden korrupt und ineffizient sind. Die exorbitanten Summen im Rahmen der US- und EU-Hilfen, die die Palästinensische Autonomiebehörde in den vergangenen Jahren erreichten, dienten der Bereicherung der lokalen Eliten. Noch korrupter sind die Strukturen der Terrororganisation Hamas, die für sich quasistaatliche Ambitionen erhebt.

finanzhilfen Die Finanzhilfen, die für strukturelle Reformen und die Verbesserung des Soziallebens der arabischen Bevölkerung dienen sollten, wurden für die Anschaffung von Waffen ausgegeben – nicht zuletzt für die Raketen, die nahezu zwei Wochen lang auf Tel Aviv und weitere israelische Städte, zum Teil auch aus dem syrischen Staatsterritorium heraus, abgefeuert wurden.

Ein Viertel der Raketen landete übrigens im Gazastreifen, und die Hamas-Führung scheint sich keine Gedanken über die zivilen Opfer dort zu machen. Leiden und Not sollen der Logik der Hamas zufolge mobilisierend wirken. Zum anderen ist Syrien beinahe vollständig unter russischer und iranischer Kontrolle, und die Dynamiken in den israelisch-arabischen Beziehungen in den letzten Jahren passten nicht nur den geopolitischen Vorstellungen Teherans, sondern auch Moskaus nicht. Zudem stufen Russland und der Iran die Hamas nicht als Terrororganisation ein.

Während jedoch Moskau auch um die Beziehungen zu Israel bemüht ist, lehnt das Teheraner Regime das Existenzrecht des Staates Israel ab, und die staatlichen Nachrichtenagenturen wie auch Spitzenpolitiker bedienen sich auch 2021 des bekannt-berüchtigten Begriffs des »zionistischen Regimes«.

VERFLECHTUNG Vor einigen Tagen veröffentlichte die staatliche iranische Nachrichtenagentur IRNA das Interview mit dem »offiziellen« Hamas-Vertreter in Teheran, Chaled al-Gaddumi, der äußerst polemisch gegen Israel schwadronierte, vom »Palästina vom Meer bis zum Fluss« sprach und keine Alternative zur jüngsten Gewalteskalation vorschlug.

Das Interview, das eine »Entweder-Oder«-Denkweise vertrat, wurde im iranischen Staatsfernsehen übertragen. Der hochrangige iranische Militärangehörige Mohammad Bagheri, dessen Vokabular sich keineswegs von dem des Hamas-»Diplomaten« unterschied, schlug in seinem öffentlichen Interview einen Tag danach die Gründung einer breiteren Koalition vor, die sich gegen das »zionistische Regime« einsetzen müsse.

Kurzfristig wird Teheran versuchen, weiterhin die Gewaltspirale mit möglichst breiter Unterstützung für die Hamas in Gang zu halten.

Irans politische, militärische, nachrichtendienstliche und propagandistische Strukturen sind offensichtlich mit den Hamas-Aktivisten eng verflochten, ermutigen, inspirieren sie vielleicht auch. Was plant die iranische Seite? Nicht ausgeschlossen ist, dass Teheran in Absprachen mit Moskau und ferner auch Ankara bei den Verhandlungen zwischen Israel und der Hamas mitwirken und das »syrische Modell« anwenden möchte. Das wäre fatal für die westlichen und vor allem für die amerikanischen Interessen in der Region. Das könnte ein längerfristiges Ziel sein. Kurzfristig wird Teheran versuchen, weiterhin die Gewaltspirale mit möglichst breiter Unterstützung für die Hamas in Gang zu halten.

Was ist nun zu tun? Es sollte zu einem geschlossenen Druck vonseiten der internationalen Gemeinschaft, vor allem der EU und Deutschlands, auf den Iran und seine Verbündeten wie die Hamas oder auch die Hisbollah kommen. Und Teheran muss klargemacht werden, dass die Wiederaufnahme und die Fortsetzung der Nuklearverhandlungen mit der iranischen Seite nur im Falle der sofortigen Einstellung der Animositäten zwischen Israel und der Hamas möglich wären.

Der Autor ist Politikwissenschaftler an der Universität Bonn.

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