Vor einer kritischen Abstimmung im Parlament haben in Israel die Demonstrationen gegen die von der Regierung geplante Justizreform an Fahrt aufgenommen. Am Samstag versammelten sich laut Organisatoren landesweit rund 360.000 Menschen.
Allein in Tel Aviv waren es Medienberichten zufolge mehr als 140.000 Demonstranten. Regierungschef Benjamin Netanjahu hatte im März die Pläne nach massivem Druck zunächst gestoppt, vor drei Wochen jedoch in etwas abgeschwächter Form wieder auf die Agenda gesetzt.
Am Montag soll ein Teil zur Schwächung der Justiz in erster Lesung dem Parlament vorgelegt werden. Dem Höchsten Gericht soll es den Plänen nach künftig nicht mehr möglich sein, eine Entscheidung der Regierung als »unangemessen« zu bewerten. Kritiker befürchten, dass dies Korruption und damit auch die willkürliche Besetzung hochrangiger Posten begünstigen könnte. Die Regierung wirft den Richtern vor, sich zu sehr in politische Entscheidungen einzumischen.
Unangemessen Anfang des Jahres hatte das Höchste Gericht die Ernennung des Vorsitzenden der Schas-Partei, Arie Deri, zum Innenminister wegen dessen krimineller Vergangenheit als »unangemessen« eingestuft. Daraufhin musste Netanjahu seinen Vertrauten entlassen. Beobachter erwarten, dass die Regierung dies wieder rückgängig machen will.
Zur Verabschiedung des Gesetzes sind drei Lesungen notwendig. Da Netanjahus Regierung im Parlament eine Mehrheit hat, wird damit gerechnet, dass das Gesetz bis Ende des Monats gebilligt wird.
Israels Präsident Isaac Herzog rief derweil alle Parteien eindringlich auf, wieder in einen Dialog zu treten. »Eine Einigung ist machbar. Und dennoch ist niemand bereit, sich hinzusetzen und zu reden - jetzt, ohne Vorbedingungen«, sagte Herzog in Jerusalem und ergänzte: »Das ist ein Fehler von historischem Ausmaß«. Eine Einigung, auch im Streit über die sogenannte Angemessenheitsklausel, sei seiner Ansicht nach machbar. »Lassen Sie Ihre Egos beiseite. Kommt und redet.« Herzog hatte Ende März Gespräche zwischen Regierung und Opposition vermittelt. Diese brachten jedoch auch nach monatelangem Ringen keine Einigung.
»De-facto-Diktatur« Der frühere Regierungschef Ehud Barak schrieb in einem »Haaretz«-Gastbeitrag, Israel befinde sich in der schwersten Krise seiner Geschichte und warnte davor, dass das Land kurz davorstehe, zu einer »De-facto-Diktatur« zu werden.
Die Verabschiedung des Gesetzes könnte sich auch auf die Sicherheit Israels auswirken. Hunderte Reservisten des Militärs drohten in dem Fall, ihren Dienst nicht mehr antreten zu wollen. Aus Protest versammelten sich Dutzende in der Nacht zum Sonntag vor dem Haus von Verteidigungsminister Joav Galant und forderten ihn auf, sich gegen die Pläne zu stellen.
Die Organisatoren der Proteste riefen derweil für Dienstag zu einem »Tag der Störung« auf und drohten mit einem »nie dagewesenen Widerstand«. Auch am internationalen Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv soll es am Nachmittag eine Kundgebung geben. Die Protestbewegung ist eine der größten in der Geschichte Israels, einem Land mit rund 9,4 Millionen Einwohnern, und sie umfasst breite Gesellschaftsteile.
Streik Mehrere Unternehmen der Hightech-Branche, die in Israel als treibender Motor der Wirtschaft gilt, kündigten an, ihren Angestellten für die Demonstrationen freizugeben. Die Einkaufzentrums-Kette »Big« drohte damit, dass im Fall der Verabschiedung des Gesetzes alle ihre Zentren in Streik treten würden. Unklar war zunächst, ob sich auch der Dachverband der Gewerkschaften in Israel, Histarut, beteiligen würde.
Histarut mit rund 800.000 Mitgliedern hatte Ende März wegen einer zwischenzeitlichen Entlassung von Galant durch Netanjahu zu einem Generalstreik aufgerufen. Galant hatte zuvor Netanjahus Pläne öffentlich kritisiert. Mehrere Einkaufszentren und Universitäten blieben damals zu. Krankenhäuser arbeiteten im Schichtbetrieb. Am Flughafen Ben-Gurion kam zu erheblichen Beeinträchtigungen des Flugverkehrs. Netanjahu setzte damals die Pläne seiner Regierung aus, Galants Entlassung wurde wenige Wochen später rückgängig gemacht. dpa