Für die einen sind sie Helden, für die anderen Verräter. Die Rede ist von »Breaking the Silence«, zu Deutsch »Das Schweigen brechen«, Israels derzeit wohl prominentester Nichtregierungsorganisation (NGO). Sie gehörte zu den zwei regierungskritischen Gruppen, mit deren Vertretern Bundesaußenminister Sigmar Gabriel vergangene Woche bei seinem Besuch im jüdischen Staat unbedingt sprechen wollte, weshalb es dann auch zum Eklat kam und die geplante Begegnung mit Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ins Wasser fiel.
»Es ist unsere Politik, keine ausländischen Gäste zu empfangen, die sich auf ihren Reisen nach Israel mit Gruppen treffen, welche Soldaten der israelischen Streitkräfte als Kriegsverbrecher verleumden«, hieß es dazu aus dessen Büro. »Selbstverständlich ist jeder Diplomat willkommen, der Vertreter der Zivilgesellschaft zu sehen wünscht. Aber Ministerpräsident Netanjahu trifft niemanden, der Organisationen Legitimität verleiht, die die Kriminalisierung israelischer Soldaten betreiben.«
Zweifellos ist die 2004 von Yehuda Shaul sowie anderen ehemaligen Soldaten gegründete Veteranenorganisation, die Aussagen und Dokumente von israelischen Soldaten über problematische Vorfälle während ihres Dienstes in den besetzten Gebieten sammelt und veröffentlicht, ein rotes Tuch für Israels politische Rechte.
Wohl keine andere NGO wird mehr gehasst. Aber die Tatsache, dass kaum jemand aus der Opposition die Gelegenheit nutzen wollte, Netanjahus Vorgehen im Fall Sigmar Gabriel als desaströs für die Beziehungen mit einem wichtigen Verbündeten zu brandmarken, spricht Bände. Denn von wenigen Ausnahmen abgesehen, stehen auch Liberale und viele Linke in Israel »Breaking the Silence« mehr als kritisch gegenüber – selbst wenn sie erklärte Gegner der Besatzungspolitik sind.
anonymität Gründe dafür gibt es reichlich. Zum einen stößt fast allen die Vorgehensweise der NGO unangenehm auf. Mit dem Hinweis auf den Schutz ihrer Informanten anonymisiert »Breaking the Silence« alle Aussagen, sodass eine Verifizierung der Behauptungen so gut wie unmöglich ist. Genau das war erst vor einem Jahr Gegenstand einer Gerichtsverhandlung in Petach Tikwa.
Denn wie ein Rechercheteam des israelischen Fernsehsenders Arutz 2 herausfand, hatte die Organisation für ihren Bericht über vermeintliche Kriegsverbrechen während der Militäroperationen in Gaza im Sommer 2014 ganz offensichtlich sicherheitsrelevantes Material benutzt. »Wenn dabei Dinge verwendet wurden, die operative Geheimnisse des Militärs beinhalten, und diese auch noch im Ausland gezeigt wurden, dann ist das eine verdammt ernste Angelegenheit«, kommentierte der damalige Verteidigungsminister Mosche Yaalon den Vorfall. Deshalb forderte man eine Aufhebung der Anonymität der Informanten.
Michael Sfard, Anwalt der NGO, argumentierte, dass dieser Schritt alle weiteren Aktivitäten unmöglich machen würde, und plädierte für einen Schutz der Informanten, wie man ihn auch Pressevertretern gewährt. »Schließlich leisten sie journalistische Arbeit.« Diese Logik verschloss sich vielen Israelis, da »Breaking the Silence« ausschließlich politische Ziele verfolgt, nämlich die Beendigung der Besatzung, und nicht als Medienunternehmen firmiert.
Zum anderen finden Israelis die Radikalität der Kritik unerträglich – sogar jene, für die die Zahal alles andere als eine heilige Kuh und keineswegs »die moralischste aller Armeen« ist. Immerhin sichern die Streitkräfte das Überleben des jüdischen Staates. Auch wirken die von »Breaking the Silence« genannten Zahlen bei genauerer Betrachtung reichlich aufgebläht. So verfügt die Organisation nach eigenen Angaben über 60 Augenzeugenberichte zu israelischen Gräueltaten aus dem GazaKrieg im Sommer 2014.
Angesichts der mehr als 30.000 während der Militäroperation eingesetzten Soldaten klingt schon das bereits marginal. Und Raviv Drucker, ein investigativer TV-Journalist, der alles andere als ein Freund Netanjahus ist, hat zehn davon näher unter die Lupe genommen. Am Ende ließen sich gerade einmal zwei bestätigen. Ferner erwies sich die Behauptung von »Breaking the Silence«, dass jeder von ihnen berichtete Fall vor der Veröffentlichung von mindestens zwei voneinander unabhängigen Quellen bestätigt werden muss, als Schimäre.
Finanzspritzen Und da bleibt die leidige Frage der Geldgeber. »Wieso bezeichnet sich ›Breaking the Silence‹ überhaupt noch als eine Nichtregierungsorganisation?«, fragt sich beispielsweise Dany Averbuch. »Letztendlich erhalten sie ja reichlich Finanzspritzen von ausländischen Regierungen«, so der von der NGO genervte Vater zweier Kinder, die beide derzeit ihren Wehrdienst ableisten. Mehr als 60 Prozent ihres Etats sind Zuwendungen aus Europa – sowohl direkt von Regierungen, wie der norwegischen und der Schweizer, oder aber von Organisationen, die oft an staatlichen Fördertöpfen hängen.
Genau diese Verquickung von ausländischen Interessen und einer innerisraelischen Debatte finden Kritiker problematisch. Aber sie scheint von den Initiatoren von Anfang an gewollt gewesen zu sein. Bereits 2004 bemühten sie sich um nichtjüdische Geldgeber im Ausland. Das Argument der NGO dafür lautet: »Die Besatzung ist eben keine interne israelische Angelegenheit, sondern sollte weltweit diskutiert werden.« Für die Pflege ihrer Kontakte mit dem Ausland beschäftigt »Breaking the Silence«, deren Aufgabe nach eigenen Angaben doch ist, »die israelische Öffentlichkeit mit der Realität des täglichen Lebens in den besetzten Gebieten zu konfrontieren«, immerhin vier Personen.
Überhaupt findet rund die Hälfte aller Aktivitäten mit Nicht-Israelis statt, wie die TV-Sendung HaMakor auf Arutz 10 nachwies – darunter mit Personen wie der irischen EU-Abgeordneten Martina Anderson, die Israelis auch schon einmal mit einem Hautausschlag verglich und die antisemitische BDS-Bewegung unterstützt. Deshalb wird »Breaking the Silence« in Israel nach der Devise bewertet: Sag mir, mit wem du umgehst, und ich sage dir, wer du bist.