Bekanntlich wollte der Münchner Aloisius im Himmel weder Manna trinken noch frohlocken. Deshalb schickte Gott den grantigen Engel zurück, um der bayerischen Regierung eine göttliche Botschaft zu überbringen. Alois Hingerl begab sich jedoch ins Hofbräuhaus, vergaß seine Mission und trank stattdessen ein Bier nach dem anderen.
Hätte Ludwig Thoma seine Satire Ein Münchner im Himmel nicht 1911, sondern dieser Tage geschrieben, hätte Aloisius vielleicht sogar in Tel Aviv ein Bier getrunken: Dort kann man im ersten bayerischen Restaurant Israels nicht nur eine zünftige Maß zu sich nehmen, sondern auch Schweinshaxe, Obazda und Schnitzel essen.
Zwei Holzfässer zieren den Eingang, das bayerische Wappen mit dem Löwen prangt über der blau umrahmten Tür, »Bayern« ist auf Hebräisch zu lesen. Der Gastraum ist strahlend weiß-blau, und Plüschbären in Lederhosen wachen über die Gäste an den kleinen Tischen, die ziemlich beschäftigt sind. Zum einen damit, zu verstehen, was genau sich etwa hinter den Begriffen Brotzeit, Kässpätzle, Landliebe und Kaiserschmarrn auf der Speisekarte – die auch schwäbische und österreichische Gerichte enthält – verbirgt. Zum anderen damit, die großen Schnitzel mit Kartoffelsalat und anderen Beilagen auf ihren Tellern zu bewältigen.
Unkoscher Die Mehrheit hat sich für die Variante aus Schweinefleisch entschieden: »Das ist wirklich gut«, sagt eine junge Frau, und ihre beiden Freunde nicken. Koscheres Essen ist in Tel Aviv kein Muss, selbst wenn – wie in diesem Fall – die Synagoge gegenüberliegt. »Da gibt es keine Schwierigkeiten«, sagt der Chefkoch Sagi Ben-Or. Vergangenen Schabbat hätten drüben die Gläubigen gebetet, und hier habe man in Ruhe Schweinshaxe mit Bierkruste gegessen.
Es war die Idee des 65-Jährigen, diese ungewöhnliche Gastronomie in Israel aufzuziehen. Der aus Argentinien stammende Jude ist mit seinen Eltern im Alter von zwölf Jahren nach Berlin gezogen, machte sein Abitur an der Jesuitenschule und wurde Koch. Gelernt hat Sagi im Hotel Kempinski, dann arbeitete er unter anderem im KaDeWe und später in Bad Reichenhall.
Ambiente Irgendwann zog er mit seiner Familie nach Jerusalem, wo seine Frau herstammt, und kochte in verschiedenen Hotels. Nun wollte sich Ben-Or eigentlich zur Ruhe setzen, aber sein Sohn Ofer – ebenfalls gelernter Koch – machte ihm einen Strich durch die Rechnung. »Er wollte unbedingt ein Restaurant eröffnen«, erzählt Sagi.
Aber die Konkurrenz ist in Tel Aviv riesig. Es musste also etwas Besonderes sein. Die erste Idee war ein Schnitzelhaus. Schnitzel – meist aus Huhn – sind in Israel sehr beliebt. Sagi und sein Sohn kreierten verschiedene Varianten. »Mit Paprikaschoten, mit Knoblauch und Petersilie, mit Parmesankruste, ein Cordon Bleu mit Käse und ein Cordon Rouge mit Speck«, zählt er auf. Dann wurde die Speisekarte mit Gerichten aus dem süddeutschen Raum und Österreich ergänzt, und schließlich fehlte nur noch das passende Ambiente.
Dass das Lokal jetzt ausgerechnet das deutscheste aller deutschen Bundesländer repräsentiert, ist Sagis Begeisterung für Bayern geschuldet. »Ein bisschen Bammel hatten wir schon«, räumt der 65-Jährige ein. Aber Deutschland sei ja in Israel inzwischen regelrecht in, daher gebe es kein Problem. »Wir haben dann in einem Bayernshop angerufen und die ganzen Accessoires bestellt.« Etwa steinerne Krüge, Weizenbiergläser, Schürzen für die Bedienung, bayerische Wappen. »Die freuen sich jetzt, dass Bayern in Israel repräsentiert wird.«
Oktoberfest Die Biere werden von einem Importeur geliefert, die Zutaten für den Kartoffelsalat etwa kaufen die Ben-Ors vor Ort. Auch das Schweinefleisch kommt von einem russischen Metzger in Tel Aviv – »inzwischen wissen die genau, was ich brauche«. Ein Problem gibt es allerdings schon: Auf Weißwurst und Brezen müssen echte Liebhaber in Tel Aviv verzichten. »Selbst mithilfe des Rezeptes kann das hier niemand zubereiten«, bedauert Sagi.
Der Koch will das Feld bald seinem Sohn überlassen. »Ich war nur für die Starthilfe zuständig, habe ihm die Zubereitung der deutschen Gerichte beigebracht.« Inzwischen schmeckt Ofer Kraut- und Kartoffelsalat selbst ab, rührt Obazda an und klopft Schnitzel weich. Ende September will der 25-Jährige ein zünftiges Oktoberfest in Tel Aviv veranstalten. »Ich warte noch auf die Genehmigung der Stadt«, sagt er.
Dann sollen Holzbänke aufgestellt werden, es gibt Oktoberfestbier, und er engagiert original Blasmusiker und Schuhplattler aus Bayern. Bei so viel weiß-blauer Tradition würde womöglich selbst dem Aloisius ein anerkennendes »Sacklzementhalleluja« entfahren.