Israel bekommt eine neue Regierung unter Führung von Naftali Bennett. Ein Bündnis aus acht Parteien erhielt bei der Abstimmung am Sonntagabend in der Knesset eine hauchdünne Mehrheit von 60 Stimmen der insgesamt 120 Abgeordneten.
Damit ist Bennett Ministerpräsident. Er und seine Ministerinnen und Minister wurden am Sonntag vereidigt. Dies bedeutet das vorläufige Ende der Ära des rechtskonservativen Langzeit-Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu, der seinem Nachfolger in der Knesset kurz die Hand schüttelte. Bereits am selben Abend gratulierte US-Präsident Joe Biden der neuen Regierung zu ihrer Wahl.
60 Knesset-Mitglieder votierten nach stürmischen Debatten für das Bündnis unter Führung von Naftali Bennett von der rechten Jamina-Partei und Yair Lapid von der Zukunftspartei. 59 Abgeordnete stimmten dagegen, es gab eine Enthaltung.
ROTATION Im Zuge einer Rotationsvereinbarung soll erst Naftali Bennett (49) Ministerpräsident werden und nach zwei Jahren von Yair Lapid (57) von der moderaten Zukunftspartei abgelöst werden. Der neuen Regierung sollen 27 Minister angehören. Mickey Levy von der Zukunftspartei wurde zum Parlamentspräsidenten gewählt.
Bennetts Eröffnungsrede wurde durch wiederholte wütende Zwischenrufe von Mitgliedern des Netanjahu-Lagers massiv gestört. Bennnett sprach sich darin gegen eine Rückkehr zum internationalen Atomabkommen mit dem Iran aus. Er warnte die im Gazastreifen herrschende islamistische Hamas vor einer »eisernen Mauer«, sollte sie erneut Ziele in Israel angreifen. Israel werde sich unter seiner Führung für eine Annäherung an weitere arabische Staaten einsetzen. Die Hamas kündigte derweil eine Fortsetzung des bewaffneten Kampfes gegen Israel an.
SEPKTRUM Die neue israelische Regierung besteht aus acht Parteien vom rechten bis zum linken Spektrum, darunter auch die konservativ-islamistische Raam. Es ist das erste Mal in Israels Geschichte, dass eine arabische Partei Teil der Regierung wird. Bennetts Jamina-Partei gilt dagegen als siedlerfreundlich, dies könnte die künftige Zusammenarbeit erschweren. Bennett ist auch der erste israelische Regierungschef, der dem nationalreligiösen Lager angehört und eine Kippa trägt.
Erstmals seit zwölf Jahren wurde nun in Israel eine Regierung ohne Netanjahu gebildet. Seine Likud-Partei ist größte Fraktion im Parlament, bleibt aber außen vor.
Am Streit um ein Gesetz, das schrittweise mehr strengreligiöse Männer zum Wehrdienst verpflichten sollte, war Ende 2018 Netanjahus rechts-religiöse Koalition zerbrochen. Vier Parlamentswahlen endeten danach immer wieder mit einer Pattsituation. Es konnte seither auch kein neuer Haushalt verabschiedet werden.
AUFTRAG Ex-Finanzminister Lapid von der Zukunftspartei hatte schließlich den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten, nachdem Netanjahu damit gescheitert war. Lapid ließ aber Bennett den Vortritt im Amt des Ministerpräsidenten, um die Koalition zu ermöglichen. Der 71-jährige Netanjahu hatte bis zuletzt versucht, die Bildung der Regierung seiner politischen Gegner zu verhindern. Er warf Bennett vor, seine Wähler betrogen zu haben.
Netanjahu sagte in der Sitzung: »Wenn wir in die Opposition gehen müssen, dann tun wir das – bis wir diese gefährliche Regierung stürzen.« Der 71-Jährige betonte, er sei schon in der Vergangenheit aus der Opposition zurückgekehrt. »We will be back soon« (»Wir kommen bald wieder«), sagte er auf Englisch, auch in Richtung Teherans. Netanjahu gilt als einer der schärfsten Kritiker des Atomabkommens.
KORRUPTIONSPROZESS Er war von 1996 bis 1999 Ministerpräsident, seit 2009 ist er durchgängig Regierungschef. Länger als Netanjahu hat niemand seit Israels Staatsgründung 1948 regiert. Im Laufe seiner Amtszeit hat er sich mit vielen Politikern tief zerstritten und deren Vertrauen verloren. Viele Spitzenpolitiker auch aus Netanjahus rechtem Lager versagten ihm daher die Unterstützung. In der Kritik steht Netanjahu aber auch, weil ein Korruptionsprozess gegen ihn läuft.
Sollte die neue Regierung Bestand haben, könnte dies die politische Dauerkrise beenden, in der Israel sich seit zweieinhalb Jahren befindet.
In der Küstenstadt Tel Aviv feierten mit Beginn der Vereidigung viele Menschen den Abstimmungserfolg der neuen Regierung. Auf dem Rabin-Platz schwenkten sie Israel-Flaggen, hupende Autos fuhren durch die Straßen. Das Gebäude der Stadtverwaltung wurde in den Fahnen der israelischen Flagge angestrahlt. In Jerusalem demonstrierten mehrere Hundert Anhänger von Benjamin Netanjahu. dpa/ag