Gerhard Conrad

»Hamas ist ein Gegner, der nur in extremer Not einlenkt«

Der langjährige BND-Mann Gerhard Conrad ist überzeugt, dass die Hamas ein Geiselabkommen politisch ausschlachten wird Foto: IMAGO/teutopress

Herr Conrad, wird es Ihrer Einschätzung nach diese Woche ein Abkommen zwischen Israel und der Hamas geben? Oder fällt womöglich in letzter Minute wieder alles auseinander?
Die Chancen für eine Einigung sind jedenfalls besser als jemals zuvor. Der militärische Druck auf Hamas in Gaza hat sich nach dem Zusammenbruch der »Achse des Widerstands«, zu der auch die Hisbollah und der Iran gehören, stetig verschärft. Kurzfristig sind Iran und seine Proxys nicht in der Lage, die schweren Rückschläge zu kompensieren. Die Hamas muss sehen, was aus ihrer Sicht für eine langfristige Perspektive noch zu retten ist.

Hätten Sie nach dem ersten Deal Ende 2023 damit gerechnet, dass es so lange dauern würde bis zum nächsten Abkommen?
Definitiv, daran gab es im Grunde genommen keinen Anlass zu zweifeln. Im November 2023 benötigte die Hamas wegen des harten militärischen Drucks dringend eine Pause - zur Umgruppierung in Gaza und zur Konsolidierung ihrer Positionen in der asymmetrischen Verteidigung. Dieser Spielraum wurde mit dem ersten Deal geschaffen, um dann in die eigentlichen Kernverhandlungen aus einer zunächst einmal gefestigten Position einzutreten. Entscheidend für die Länge des aktuellen Prozesses war die Durchhaltefähigkeit der Hamas und ihres Gegners, Israel.

Warum hat das so lange gedauert?
Solange die Hamas noch flankierende militärische und politische Unterstützung von der Hisbollah, den schiitischen Milizen im Irak und den Huthis im Jemen erhielt, und solange »Information Warfare« und »Lawfare« gegen Israel, vorangetrieben durch Iran und die Türkei, von politischer Relevanz im Westen waren, konnte sie auf Zeit spielen. Letztlich ging es für die Hamas darum, aus der sich abzeichnenden militärischen Niederlage in Gaza das Beste herauszuholen, bis hin zu einer Art Bestands- und Relevanzgarantie für die Nachkriegszeit und einer Option zur operativen und politischen Rehabilitierung. Das sind bis heute die Kernelemente des machtpolitischen Konflikts zwischen Hamas und Israel, die einer Einigung im Wege standen und stehen.

Wie muss man sich die letzten Tage und Stunden der Verhandlungen vorstellen? Welche Punkte werden da genau noch geklärt?
Aus den bisherigen Indiskretionen der verschiedenen Parteien lässt sich kein zuverlässiges Bild ableiten. Offensichtlich scheint zu sein, dass beiden Seiten klar geworden ist, dass ein weiteres Zuwarten keine Positionsverbesserungen mehr ergeben wird, sondern im Gegenteil dann mit schmerzlichen politischen und militärischen Nachteilen und Verlusten zu rechnen wäre, welche nicht mehr durch Erfolge am Verhandlungstisch kompensiert werden können.

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Wie wichtig ist die Tatsache, dass Donald Trump bald ins Weiße Haus einziehen wird, für das Zustandekommen des Deals?
Psychologisch dürfte dies jedenfalls auf Seiten von Hamas und ihrer Unterstützer, vornehmlich also des Iran, eine Rolle gespielt haben. Für alle erkennbar ist, dass mit Trump und seiner Mannschaft die Aktien von Hamas und Iran weiter sinken werden. Der Wahlkampf in den USA ist vorbei. Auf politische Rücksichtnahme durch Republikaner und Demokraten können Hamas & Co. nun nicht mehr setzen.

Ist Trumps Strategie grundsätzlich erfolgversprechender als die Joe Bidens? Oder war die Biden-Regierung bislang zu »lasch« im Umgang mit der Hamas?
Entscheidend ist, dass der Wahlkampf vorbei ist, und jetzt einigermaßen gesicherte Mehrheitsverhältnisse im Kongress bestehen. Hinzu kommt, dass mit diesen bis auf Weiteres auch eine »robuste Außenpolitik« in Washington mehrheitsfähig ist.

Woraus leiten Sie das ab?
Ein signifikantes erstes Beispiel ist in diesem Zusammenhang die Vorbereitung massiver Sanktionen durch den Kongress gegen den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag wegen der Haftbefehle gegen Benjamin Netanjahu und Yoav Gallant. Die »Lawfare«-Strategie der »Achse des Widerstands« und ihrer Unterstützer steht nun vor einer so noch nicht dagewesenen Herausforderung. All das ist Folge der konsolidierten Mehrheitsverhältnisse in den USA.

Kann die Hamas den Deal (soweit wir ihn bislang kennen) als Erfolg verbuchen?
Alles ist relativ. Wenn es zahlenmäßig und auch qualitativ relevante Freilassungen palästinensischer Sicherheitshäftlinge aus israelischen Gefängnissen geben sollte, kann und wird sich die Hamas das auf ihre Fahnen schreiben. Sie wird auf Popularitätszugewinne im Westjordanland spekulieren.

Worauf könnten die basieren?
Der Rückzug der IDF aus Gaza wird als ein »Erfolg« dargestellt werden, gleichermaßen dann der Wiederaufbau. Das ist zwar in der Sache Unsinn, da die Hamas bekanntlich die Ursache für den Krieg und das Elend in Gaza war. Doch das hat in der Region bekanntlich noch nie jemanden gestört. Es ist in diesem Zusammenhang bezeichnend, dass die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) von Mahmud Abbas aktuell propagandistisch über Hamas herfällt und diese zu Recht des Verrats am palästinensischen Volk bezichtigt, welches sie auf dem Altar der eigenen und der iranischen Interessen geopfert habe. Der Kampf der Narrative hat hier gerade erst begonnen, und es wird aller Wahrscheinlichkeit nach die PA sein, die versuchen wird, ja versuchen muss, die Verwaltung von Gaza wieder zu übernehmen, die ihr Hamas 2007 entrissen hatte.

Wie bewerten Sie die Verhandlungsstrategie der Netanjahu-Regierung? Hätte sie nachgiebiger sein müssen, um mehr Geiseln zu retten?
Wir sollten als Außenstehende sehr vorsichtig mit einem Urteil sein. Es ist längst nicht ausgemacht, dass die Hamas bei einer nachgiebigeren Haltung Israels rascher eingelenkt hätte. Um das zu beurteilen, müssten wir die internen Diskussionen in Gaza und in der politischen Führung der Hamas im Ausland zuverlässig kennen. Was wir als Außenstehende bekanntlich nicht können. Ich halte nichts davon, dass wir hier in den Chor anmaßender Besserwisser einstimmen. Die Hamas ist ein extremistischer Gegner, der nur in extremer Not einlenkt.

Angehörige israelischer Geiseln bei einem Protest in Jerusalem am 23. Dezember 2024Foto: IMAGO/ZUMA Press Wire

Wie groß sind die Zugeständnisse, die Israel der Hamas machen muss?
Die Freilassung einer großen Zahl palästinensischer Häftlinge ist immer eine schwierige Konzession, wenngleich weniger im Hinblick auf die von ihnen ausgehende Terrorismusgefahr, sondern vielmehr im Sinne einer politisch instrumentalisierbaren »Niederlage«. Das Narrativ wird sein: Die Geiselnahme durch die Hamas am 7. Oktober 2023 war erfolgreich; Israel musste erneut klein beigeben, da es nicht in der Lage war, die Geiseln aus eigener Kraft zu befreien. Daraus werden die Gegner und Feinde Israel maximale Befriedigung und Motivation ziehen. Das zweite Zugeständnis wird wahrscheinlich die indirekte Tolerierung der Restbestände der Hamas in Gaza sein.

Wie stark ist die Hamas noch?
Die Organisation ist, soweit erkennbar, massiv geschwächt, militärisch zerschlagen und auf Netzwerke im Untergrund reduziert – vorerst zumindest. Diese Netzwerke bleiben jedoch mit Infanteriebewaffnung auf absehbare Zeit bestehen. Sie werden versuchen, sich Schritt für Schritt zu rehabilitieren. Hier wird es entscheidend auf die »Nachkriegszeit« und eine ebenso kluge wie energische Politik des Wiederaufbaus und der Schaffung neuer Loyalitäten gegenüber der PA ankommen, um der Rest-Hamas allmählich den Boden in der Bevölkerung Gazas zu entziehen. Ob das gelingen wird, steht derzeit noch in den Sternen.

Falls es nun einen Waffenstillstand in Gaza geben sollte: Glauben Sie, dass die Hamas ihn nutzen wird, um sich neu zu formieren? Oder ist sie so geschwächt, dass Israel das verhindern kann, ohne wieder Krieg zu führen?
Die Hamas-Kader werden schon allein um des eigenen Überlebens willen, aber auch aus Selbstachtung alles daran setzen, längerfristig wieder an Stärke zu gewinnen. Ob ihnen das gelingt, hängt maßgeblich von den neuen Strukturen im Nachkriegs-Gaza und von den nachrichtendienstlichen Befähigungen ab. Und natürlich auch von der Bereitschaft Israels, dort erneut militärisch zu intervenieren.

Gibt es eine Chance, den Gazastreifen dauerhaft zu befrieden?
Das wird nur gelingen, wenn sich über Jahre hinweg aus den traumatischen Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre ein mehrheitlicher Wille entwickeln sollte, eigene Lebensperspektiven im Hier und Jetzt zu entwickeln und das Glück der eigenen Kinder nicht im Tod, sondern in einem erfüllten Leben zu suchen. Hierzu sollten alle beitragen. Es gilt, die gravierenden Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen und nicht erneut zerstörerische Ideologien zu fördern.

Das Interview mit dem ehemaligen Geiselunterhändler in Gaza und im Libanon, Nahostexperten und langjährigen Mitarbeiter des Bundesnachrichtendienstes sowie Direktor des European Union Intelligence and Situation Centre (INTCEN) führte Michael Thaidigsmann.

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