Nicht einmal Mitglieder der eigenen Fraktion wollten dafür stimmen. Nur wenige Stunden vor dem Termin hat Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Abstimmung über das höchst umstrittene »Rabbi-Gesetz« von der Tagesordnung genommen. Stimmen aus der ultraorthodoxen Koalitionspartei Schas sagen nun, dass die Regierung bald fallen werde.
Schas-Mitglieder, die sich dazu äußerten, meinen, der »Zusammenbruch der Regierung sei unvermeidlich«. Im öffentlich-rechtlichen Rundfunksender Kan sagte ein Schas-Abgeordneter, der anonym bleiben wollte: »Es gibt keine Koalition, keine Disziplin, und das Frustrierendste ist, dass der Likud eine Partei ist, die aus 35 verschiedenen Fraktionen besteht. Jeder tut, was er will.« Für ihn sei klar, dass »die vollständige Auflösung der Koalition nur eine Frage der Zeit ist.« Auch Schas-Parteichef Arie Deri warf Netanjahu nach dessen Entscheidung vor, »die Kontrolle über die Regierung verloren« zu haben.
Arbeitsplätze für Parteifreunde
Der Gesetzesvorschlag, der von den Abgeordneten Simcha Rothman (Religiöser Zionismus) und Erez Malul (Shas) eingebracht wurde, würde Hunderte neuer staatlich finanzierter Stellen für kommunale und bezirkliche Rabbiner schaffen. Diese Stellen sollen von einem Ausschuss besetzt werden, in dem die Vertreter des Ministeriums für religiöse Dienste eine Mehrheit hätten. Kritiker des Gesetzes, das den Steuerzahler jährlich Dutzende Millionen Schekel an Gehältern für Hunderte neuer Rabbiner in den verschiedenen Städten des Landes kosten würde, behaupten, es sei ausschließlich dazu gedacht, Arbeitsplätze für Parteifreunde zu schaffen.
Der Verfassungsausschuss der Knesset hatte die Arbeit an der Einbringung bereits im März eingefroren. »Es ist zum jetzigen Zeitpunkt im Krieg nicht richtig, ein umstrittenes Gesetz voranzutreiben«, hieß es damals.
»Warum um alles in der Welt bringen wir einen umstrittenen Gesetzentwurf zur Sprache, der in Kriegszeiten Zwietracht sät?«
likud-abgeordnete Tally Gotliv
Der Gesetzentwurf ist weiterhin umstritten – auch in den Parteikreisen der Koalition. Die Abgeordnete Tally Gotliv (Likud) fragte: »Warum um alles in der Welt bringen wir wieder einen umstrittenen Gesetzentwurf zur Sprache, der in Kriegszeiten Zwietracht sät? Haben wir denn nichts gelernt?« Es gebe ausreichend kriegsbezogene Gesetzentwürfe vorzubereiten, fügte sie hinzu.
Auch der Likud-Parlamentarier Moshe Saada machte klar, dass er mit »Nein« stimmen würde. Der Versuch, »einen Gesetzentwurf zu fördern, der während des Krieges bereits in große Kontroversen verstrickt war, nur um Ernennungen zu ermöglichen, die Politiker anstreben, ist eine Schande für diejenigen, die ihn jetzt aus einem unerklärlichen Gefühl der Dringlichkeit heraus fördern«, fuhr er fort.
Abstimmung über Wehrpflicht nächster Test
Das Bündnis Nationale Einheit unter dem Vorsitz von Benny Gantz, das den Vorschlag ebenfalls ablehnt, gab eine Erklärung heraus: »Netanjahu und seine Koalition haben wieder einmal bewiesen, dass für sie Politik über allem steht. Wichtig ist nur ihr politisches Überleben. Ausgerechnet jetzt, wo der Norden brennt und der Süden im Krieg ist, hat die Koalition beschlossen, mit verzerrten Gesetzen voranzuschreiten, um die Kluft in der Nation zu vertiefen.«
Oppositionsführer Yair Lapid (Jesch Atid) schrieb nach Netanjahus Absage an das Gesetz in den sozialen Netzwerken, der »Ministerpräsident beginne zu verstehen, dass es in Likud Leute gibt, die die Schande nicht länger mittragen wollen«. Seiner Meinung nach werde »der nächste Test das Wehrpflichtgesetz sein«. Damit bezieht sich Lapid auf eine Abstimmung über einen Gesetzentwurf zur Senkung des Alters, ab dem strengreligiöse Jeschiwa-Studenten vom Militärdienst befreit werden. Dieser ist noch umstrittener als das Rabbi-Gesetz. Und Lapid will wissen: »Was ist wichtiger, das politische Überleben oder das Überleben der Truppen?«