Wenn es um Kosenamen geht, gilt bei den Israelis die Devise: »mehr ist mehr«. Und so flog ein ganzer Schwall zuckersüßer Worte durch den Nachthimmel, als das Finale des ESC im Eurovision-Dorf ausgestrahlt wurde. »Ha’Matok, Ha’Mehamemet, Ha’Muschlam – der Süße, die Wundervolle, der Perfekte.«
Besonders reich prasselten die Komplimente im Gleichklang mit dem Fähnchenwedeln beim Auftritt von Kobi Marimi nieder. Mit seiner Ballade »Home« kam er zwar nur auf den 23. Platz, der Sänger der Herzen war er auf heimatlichem Territorium trotzdem allemal.
Im ESC-Dorf hörte man über die S!sters aus Deutschland und ihre Schlappe ein mitleidvolles »Ohhhhh«.
PARTY Vor allem, als er nach seiner Darbietung die Hände vors Gesicht schlug und in Tränen der Rührung ausbrach. Ein kollektives »Ahhhhhh« raunte durch die Menge. Israelis wie Gäste aus dem Ausland waren faire Zuschauer, die gemeinschaftlich Party machten. Sie feuerten vor den drei überdimensionalen Leinwänden jeden Act aus vollem Halse an. Niemand wurde ausgebuht, niemand niedergepfiffen. Die S!sters aus Deutschland gelangten auf Platz 24. Doch sie waren die einzigen, die bei dem öffentlichen Voting Null Punkte erhielten. Im Dorf hörte man dazu ein mitleidvolles »Ohhhhh«.
Margit Müller aus Deutschland hatte gleich alle Wimpel der teilnehmenden Länder dabei und jubelte mit dem jeweils passenden: für die Niederlande mit Rot, Weiß, Blau, für Deutschland mit Schwarz, Rot, Gold und für Israel mit dem blauen Davidstern. »Ich habe mir schon vor Wochen alle im Internet bestellt und im Koffer mitgenommen«, erzählte sie, bereits heiser vom Dauerfeiern. Ihr Favorit, der Niederländer Duncan Laurence mit seinem Schmuselied »Arcade«, kam dann auch auf den ersten Platz. »Und das völlig verdient«, wie sie meint.
Die Gruppe des schwulen Fußballclubs aus Schweden, die mit ihren blau-gelben Blumenketten und Gesichtsbemalung in Landesfarben alle Teilnehmer gleich frenetisch anfeuerten, hatte beim Finale »die Zeit ihres Lebens«. Andere Gäste kamen besonders herausgeputzt: Eine fünfköpfige Gruppe aus Großbritannien hatte sich in Glitzerfummel geworfen und bühnentaugliches Make-Up aufgelegt. Fans aus Edinburgh hatten sich in den Union Jack gehüllt, bei einem blitzte ein Schottenrock hervor. Zwei finnische Damen mit ihrem Begleiter schimmerten von Kopf bis Fuß in Paillettenkleidern.
ORGANISATION Friedlich und fröhlich feierten alle Nationen neben- und miteinander – auch dank der perfekt organisierten Sicherheit der Stadtverwaltung. Weder an den Eingängen noch vor den Leinwänden gab es bedrohliches Gedränge. Auch geklatscht wurde im Einklang – vor allem bei Italiens Darbietung des Zweitplatzierten Mahmood und seinem hitverdächtigen »Soldi«.
»Madonna war völlig lustlos und hat nicht einmal die Töne getroffen«, sagte eine junge Israelin hinterher genervt über die Queen of Pop.
Während viele zuvor den Auftritt der Queen of Pop als Höhepunkt der Show angepriesen hatten, enttäuschte Madonna viele Fans. »Sie war völlig lustlos und hat nicht einmal die Töne getroffen«, meinte eine junge Israelin im Anschluss genervt. »Und was sollte dieses politische Statement am Ende? Überflüssig!« Bei ihrem Song »Future« hatte ein Tänzer die israelische und ein anderer die palästinensische Flagge auf dem Rücken geheftet. Sie hielten einander an den Händen. Es sollte wohl ein Aufruf zur Koexistenz sein. »Warum auch nicht«, sagte ein Fan aus England dazu. »Es ist illusorisch zu glauben, dass eine derart internationale Veranstaltung in Israel nicht einen einzigen politischen Kommentar nach sich zieht.«
Den gab auch die isländische Band »Hatari« ab. Als sie bei der Vergabe der Punkte für die öffentliche Abstimmung eingeblendet wurde, hielten die Künstler Schals mit dem Aufdruck »Palestine« ins Bild. Die Geschäftsleitung der Eurovision will nun beraten, ob es dafür für Island Konsequenzen geben wird. Die Mitglieder von Hatari hatten mehrfach deutlich gemacht, dass sie etwas zu Israels »konfliktreicher und absurder Politik« sagen wollen.
Zu Madonnas Auftritt erklärte eine offizielle Stellungnahme der Eurovision, dass die Flaggen nicht Teil der Proben gewesen seien. »Der Eurovision Song Contest ist kein politisches Event, und Madonna wurde dies mitgeteilt.«
Besonders begeistert waren die Fans von Netta Barzilais Auftritt und ihrem neuen Song »Nana Banana«.
NETTA Während die Darbietung des US-Superstars vielen missfiel, traf die israelische Show in der Messe die richtigen Töne. Die vier Moderatoren Lucy Ayoub, Bar Refaeli, Assi Azar und Erez Tal waren charmant, schlagfertig und machten Scherze, die nicht allzu platt waren, wie so oft bei derartigen Shows. Besonders begeisterten die Fans im Eurovision-Dorf die Tausch-Gesänge mit Gewinnern und Zweiten der Eurovision-Vorjahre und der Auftritt der Vorjahressiegerin Netta Barzilai mit ihrem neuen Song, »Nana Banana«, bei dem man einfach mitwippen muss.
Und als Gali Atari, ESC-Gewinnerin von 1979, ihren Siegertitel gemeinsam mit den anderen Künstlern auf der Bühne anstimmte, war es völlig egal, woher jemand kam. Sie alle sangen, reckten die Arme in die Höhe und wiegten im Takt, während der Vollmond von oben herabschaute.
»Halleluja LeOlam«. Halleluja, Israel!