Die Hamas ließ sich Zeit: Erst 24 Stunden nachdem ihr Anführer in Gaza, Yahya Sinwar, bei einem israelischen Angriff in Rafah ums Leben gekommen war, bestätigte Sinwar-Vize Khalil al-Hayya den Tod des 62-Jährigen. Er sei »schmerzlich und erschütternd«, einen »geliebten Menschen« zu verlieren, aber die Hamas werde »von Menschen geführt, die nach Freiheit und Würde« streben, fügte Basem Naim, ein Mitglied des Hamas-Politbüros, laut Presseerklärung an. Die Hamas werde mit jedem Tod eines ihrer Anführer noch »stärker und beliebter«, und die Getöteten seien Vorbilder für künftige Generationen.
Schon in der Nacht auf Freitag hatte die iranische Regierung auf den Tod ihres Verbündeten reagiert. Auf der Plattform X veröffentlichte die Vertretung der Islamischen Republik bei den Vereinten Nationen ein Drohnenbild von Sinwar, wie er vermummt auf einem Sessel sitzt.
Dazu postete die Mission folgenden Kommentar: »Als die US-Truppen (2003; Anmerkung der Redaktion) einen zerzausten Saddam Hussein aus einem unterirdischen Loch zerrten, flehte er sie an, ihn nicht zu töten, obwohl er bewaffnet war. Diejenigen, die Saddam als ihr Vorbild für Widerstand betrachteten, brachen schließlich zusammen. Wenn Muslime jedoch zum Märtyrer Sinwar aufblicken, wie er auf dem Schlachtfeld steht – in Kampfkleidung und im Freien, nicht in einem Versteck, dem Feind gegenüber –, wird der Geist des Widerstands gestärkt.« Der Hamas-Chef sei damit »zu einem Vorbild für die Jugend und die Kinder« geworden, die »seinen Weg zur Befreiung Palästinas weiterführen« würden.
Beileid aus Ankara
In Ramallah traf sich am Donnerstag die Palästinenserführung von Mahmud Abbas zu einer Sondersitzung. Entgegen israelischer Berichte hätten sich die Anwesenden aber nicht für den Verstorbenen zu einer Gedenkminute erhoben, stellten Offizielle klar. Man habe lediglich wie auch schon in den letzten Wochen der getöteten Zivilisten in Gaza gedacht. In Israel und im Westen überwog hingegen die Freude über das Ende Sinwars. Auf den Straßen kam es zu spontanten Freudenausbrüchen.
Die Türkei übermittelte der Hamas ihr Beileid. Außenminister Hakan Fidan kondolierte bei einem Treffen mit Vertretern des sogenannten Schura-Rates und des Politbüros der Hamas.
In den westlichen Hauptstädten wird der Tod des Terroristenführers vor allem auch als Chance gesehen.
Während Bundeskanzler Olaf Scholz auf Sinwars Verantwortuung für den »furchtbaren, brutalen, menschenverachtenden Angriff der Hamas auf israelische Bürgerinnen und Bürger, die getötet, vergewaltigt und auf schlimmste Weise menschlich erniedrigt worden sind«, hinwies, nannte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock den Hamas-Chef einen »brutalen Mörder und Terroristen, der Israel und seine Menschen vernichten wollte«. Als Drahtzieher der Massaker vom 7. Oktober 2023 habe Sinwar Tausenden Menschen den Tod und unermessliches Leid über eine ganze Region gebracht, so Baerbock laut dem X-Kanal des Auswärtigen Amtes. Sie forderte die Hamas erneut auf, sofort alle Geiseln freizulassen und ihre Waffen niederzulegen. »Das Leid der Menschen in Gaza muss endlich aufhören«, schrieb Baerbock – das Leid der Israelis erwähnte sie nicht, was ihr Kritik einiger Nutzer des Social-Media-Plattform einbrachte.
Glückwunsch vom US-Präsidenten
US-Präsident Joe Biden sagte am Freitag bei seiner Ankunft am Flughafen in Berlin-Schönefeld: »Ich habe Bibi Netanjahu angerufen, um ihm zu gratulieren, dass er Sinwar erwischt hat.« Der Hamas-Führer habe »viel Blut an seinen Händen« gehabt, so Biden. Er habe Israels Ministerpräsidenten versichert, dass er »mit seinen Handlungen wirklich zufrieden« sei. Nun sei es aber an der Zeit ist, auf einen Waffenstillstand in Gaza hinzuarbeiten, damit sichergestellt werde, dass sich »die Dinge in der ganzen Welt verbessern«.
Auch der US-Präsident forderte die Rückkehr der israelischen Geiseln. Biden kündigte an, seinen Außenminister Antony Blinken in den nächsten Tagen nach Israel zu schicken, um die weiteren Schritte zu besprechen. Gefragt, ob er nun im Hinblick auf einen Waffenstillstand hoffnungsfroher sei, antwortete der Präsident mit einem Ja.
US-Vizepräsidentin und Präsidentschaftskandidatin Kamala Harris sieht in Sinwars Tod eine Chance. »Dieser Moment ermöglicht uns, den Krieg in Gaza endlich zu beenden. Und er muss so enden, dass Israel sicher ist: Die Geiseln werden freigelassen. Das Leiden in Gaza hat ein Ende, und das palästinensische Volk kann sein Recht auf Würde, Sicherheit, Freiheit und Selbstbestimmung wahrnehmen«.
Der französische Präsident Emmanuel Macron erklärte, er sei mit seinen Gedanken »mit großer Betroffenheit bei den Opfern, darunter 48 unserer Landsleute, und ihren Angehörigen«.
Macron weiter: »Wir sollten diese Gelegenheit nutzen, um die Geiseln zu befreien und den Krieg zu beenden (...) und eine glaubwürdige politische Perspektive für Israelis und Palästinenser eröffnen.« Dem schloss sich Großbritanniens Premier an: »Ich denke, dass der Tod von Sinwar die Gelegenheit bietet, einen Schritt in Richtung des von uns seit langem geforderten Waffenstillstands zu tun«, so Sir Keir Starmer. »Großbritannien wird seinen Tod nicht betrauern.« Stattdessen seien seine Gedanken bei den Familien der Opfer.
UN-Generalsekretär verliert keine Silbe über Sinwars Tod
Eher pflichtschuldig äußerten sich auch der Außenbeauftragte der EU, Josep Borrell, und andere europäische Spitzenpolitiker. Einer hielt sich aber vornehm zurück: UN-Generalsekretär António Guterres. Auf seinem X-Account postete er am Donnerstagabend zwar mehrere Statements, auch zur Lage in Gaza und im Süd-Libanon. So verurteilte er die jüngsten Angriffe auf die UNIFIL-Friedenstruppe und die Lage der Zivilbevölkerung in der palästinensischen Küstenenklave. Doch Sinwars Tod erwähnte Guterres mit keiner Silbe.
Das brachte dem Portugiesen, den Israel zuletzt zur Persona non grata erklärt und mit einer Einreisesperre belegt hatte, umgehend Kritik ein. Gilad Erdan, Israels Botschafter bei den Vereinten Nationen, Gutteres und nannte ihn »die irrelevanteste und distanzierteste Persönlichkeit des öffentlichen Lebens auf der ganzen Welt.« Auch Erdans Chef, Außenminister Israel Katz, zeigte erneut mit dem Finger auf den UN-Chef: Guterres verfolge »eine extrem antiisraelische und antijüdische Agenda«, schrieb Katz auf X. Er sei weiter in Israel unerwünscht.