Er floss in Strömen – der spritzige weiße Gazawein. Und er wurde bereits vor 1500 Jahren »industriell« produziert. Das fanden Archäologen der Antikenbehörde jetzt in Yavne heraus. Hier entdeckten sie die größte Weinfabrik der Welt aus byzantinischer Zeit.
Zwei Jahre lang dauerten die Arbeiten. »Es ist ein riesiges Areal, in dem es viel freizulegen gab«, erklärt Jon Seligman, der leitende Archäologe und Experte für Byzanz, und deutet über die Ausgrabungsstätte: »Sie umfasst einen kompletten Hektar.« Gemeinsam mit Elie Haddad und Liat Nadav-Ziv betreut er die Ausgrabung direkt neben der modernen Stadt Yavne, eine halbe Autostunde südlich von Tel Aviv.
Immer wieder findet man bei sogenannten Rettungsausgrabungen vor geplanten Bauarbeiten Artefakte aus der Antike. Diese Untersuchungen sind per Gesetz angeordnet. Auch hier in Yavne soll ein neues Viertel entstehen. Nicht selten, weiß der Experte, werden die Stätten, nachdem sie ausgegraben wurden, anschließend dem Erdboden gleichgemacht. Wertvolles werde sichergestellt und vielleicht später in Museen zu besichtigen sein, das meiste aber verschwindet unter modernen Gebäuden und Straßen.
BRÜCKE Hier soll das nicht geschehen. Zu außergewöhnlich ist der Fund. »Dies wird eine geschützte Ausgrabungsstätte, das ist sicher.« Die geplante Straße, die ins neue Wohnviertel führen soll, wird als Brücke über die alten Schätze gebaut. Mittlerweile ist das gesamte Areal umzäunt und mit dem orangefarbenen Plastikband der Antikenbehörde abgesperrt. Unter schwarzen Planen, die in der noch immer starken Oktobersonne Schatten bieten, sitzen Arbeiter und frühstücken, daneben Eimer, Spachtel, Schaufeln und Wassercontainer. 300 Menschen sind in der Anlage tätig, dazu beraten etwa 40 Experten.
Hier, an einem der Knotenpunkte der berühmten antiken Route am Meer, der Via Maris, und den Tälern der Ebene, sei es nicht verwunderlich, dass man auf Weinherstellung gestoßen ist. »Schon im Talmud wird vom ›Kerem be Yavne‹, einem Weingarten in Yavne, erzählt. Die Gegend ist mit ausgesprochen fruchtbarer Erde gesegnet, wie geschaffen für die Landwirtschaft«, erläutert Seligman. Allerdings habe die Größe des Fundes die Fachleute völlig überrascht. »Das hier ist keine Boutique-Weinkellerei. Das ist eine echte Weinfabrik.«
Immer wieder findet man bei sogenannten Rettungsausgrabungen vor geplanten Bauarbeiten Artefakte aus der Antike.
Sie sei planmäßig angelegt worden, mit fünf Weinpressen, jede 225 Quadratmeter groß. Die identischen Pressen bestehen aus Bassins für die unterschiedlichen Prozesse, vom Auffangen der ersten Tropfen bis zur Fermentierung. In der Mitte der Anlage gab es zwei zentrale Straßen, über die die Trauben von den umliegenden Weinbergen transportiert wurden, dazwischen das logistische Zentrum, in dem der fertige Wein gelagert wurde. Der Byzanz-Experte ist begeistert: »Fünf große Pressen in einer Anlage aus dieser Zeit – das hat man noch nirgendwo auf der Welt gefunden.«
Eineinhalb bis zwei Millionen Liter seien hier jährlich produziert worden. »Es war ein junger Weißwein, leicht und frisch, wie man aus alten Texten weiß, bekannt in der ganzen Region als Qualitätswein.« Abgefüllt wurde er in tönerne Amphoren, die hier zur selben Zeit hergestellt und gebrannt wurden. Die Archäologen fanden etwa zwei Dutzend intakte Gefäße, Tausende von Scherben und einen Brennofen.
HÄFEN Wein wurde in der Antike übrigens nicht nur von Erwachsenen genossen, sondern bereits von Kindern. Besonders, wenn das Trinkwasser nicht sauber oder genießbar war. Benannt wurde Wein in der Antike nach den Häfen, aus denen er verschifft wurde. Die Fabrik war maximal 200 Jahre in Betrieb, dann sei die Nachfrage nach dem alkoholischen Getränk durch die sich ausbreitenden Muslime in der Region überall immer weiter zurückgegangen.
Am Boden einer Weinpresse hockt ein Wissenschaftler und pinselt Staub neben einer Säule weg. Was er hier zu finden hofft, fragt Seligman den Kollegen vom Weizmann-Institut. »Samen«, erwidert der, »um zu bestimmen, ob die Anlage vom Ende des sechsten oder eher aus dem siebten Jahrhundert stammt.« Im Weizmann-Institut gebe es eine herausragende Radiokarbon-Altersbestimmung. »Und damit hätten wir dann ein ganz genaues Ergebnis.«
In einigen Wochen wird die gesamte Weinfabrik mit Sand zugeschüttet. Auf diese Weise werden die archäologische Stätten vor dem Winterwetter mit seinen Niederschlägen und vor den kommenden Bauarbeiten geschützt.
Die Experten sind sicher, dass in ganz Israel noch immer unermessliche Schätze im Boden liegen. Viele werden vielleicht nie ans Tageslicht geholt. »Arbeiten dieser Art kosten eine Menge Zeit und Ressourcen«, weiß Seligman. »Vor allem Geld ist ein Problem.« Der Hügel von Yavne, Tel Yavne, der unmittelbar neben der Ausgrabungsstätte liegt, werde daher in naher Zukunft wohl nicht erforscht. Oft sind in derartigen Hügeln Schichten von Bevölkerungsüberresten aus Tausenden von Jahren verborgen. Seligman hofft, dass er eines Tages doch noch hier graben darf. »Es ist klar, dass es darunter noch viel mehr zu entdecken gibt.«