Deutschlands Fernsehmacher können von diesen Zahlen nur träumen. 30 Prozent Einschaltquote und mehr. Die israelische Version von Big Brother, »Ha’ach Ha’gadol«, ist in der dritten Runde und die Zuschauer kleben noch immer förmlich jede Woche an der Mattscheibe. Die Show um die in einem Haus mit Kameras und Mikrofonen eingesperrten jungen Menschen, von denen nach und nach einer von den Zuschauern rausgewählt wird, hatte ihren Beginn im Jahr 2000 und ist ein kulturelles Phänomen in der gesamten westlichen Welt. Doch in den meisten Ländern sind die Sendungen mittlerweile abgesetzt oder laufen auf irgendwelchen drittklassigen Privatsendern unter ferner liefen. Nicht so im jüdischen Staat. Zwar kam der große Bruder hier mit acht Jahren Verspätung an, wurde dafür aber gleich zum ganz großen Hit.
Ethno-Streit 2008 zogen die ersten Bewohner in ihre schicke Container-Villa samt Swimmingpool und Dauerüberwachung ein. In Szene gesetzt von der Produktionsfirma Kuperman. Anders als in Deutschland, wo es von Anfang an lediglich darum ging, wer am blondesten ist und die dicksten Muckis hat, waren die israelischen Kandidaten schnell in ethnische Grabenkämpfe verwickelt. Die Aschkenasim, abfällig als »Friedmans« bezeichnet, bezogen Stellung gegen die Sefardim, nach einem der Teilnehmer »Bublils« genannt. Dazu noch ein bisschen Spannung zwischen Juden und dem einzigen Araber, einem Religiösen und einem bekennenden Homosexuellen, und schnell hatte man den ganzen Wahnsinn der israelischen Stereotype auf wenigen Quadratmetern. Bei der Entscheidungsshow der ersten Staffel gaben mehr als zwei Millionen Menschen ihr Votum ab, in einem Land mit etwa acht Millionen Einwohnern. Damit stimmten mehr Leute für den Big-Brother-Kandidaten als für die Knessetwahl im selben Monat. Die Quote dieser Sendung erreichte nach Auskunft der Sprecherin des Senders Keschet 39,1 Prozent. »Das ist die höchste, die eine Fernsehshow in Israel jemals eingebracht hat«, sagt sie stolz. Erfolg für den Sender, traurig für die Gesellschaft: Im Dezember zeigte Kanal 10 eine einzigartige Dokumentation über die Familie des entführten Soldaten Gilad Schalit. Der Film erreichte eine Einschaltquote von 10,6 Prozent. Zur selben Zeit gab es ein paar Knöpfe auf der Fernbedienung weiter gehaltloses Blabla aus dem Container, was sich partout 26,1 Prozent nicht entgehen lassen wollten.
sex Anders in Deutschland: Hier läuft jetzt die zehnte Staffel an, die nur noch eine eingefleischte Fan-Gemeinde verfolgt. RTL 2 musste bereits bei der neunten Staffel um das Fortbestehen der Reality-Show bangen, die Quoten waren unter desaströse fünf Prozent gerutscht. Um die Bewohner nicht für immer vor die Tür zu setzen, ließ der Privatsender einen Pornostar in die WG einziehen, was schnell den gewünschten Erfolg brachte. In Israel liegt kaum eine Sendung unter der 30er-Marke, und das gänzlich ohne Sex. Zwar fliegen hier und da ein paar Funken zwischen den männlichen und weiblichen Kandidaten, doch über ein paar unschuldige Blicke geht es bislang nicht hinaus.
Dagegen wird es regelmäßig politisch. Auch die dritte Staffel, die derzeit über die Bildschirme flimmert, polarisiert wieder. Gerade erst haben zwei rechtsgerichtete Politiker gegen eine Teilnehmerin Strafanzeige erhoben. Edna Kanti, Mitglied der Menschenrechtsorganisation »Machsom Watch«, die an den Übergängen zwischen den palästinensischen Gebieten und Israel tätig ist, hatte ihren Bewohnern von den Vorfällen an den Übergängen erzählt und gesagt, dass ihrer Meinung nach die »Besatzung vorüber sei, wenn die Palästinenser aufbegehren und aufhören zu tun, was die israelischen Soldaten von ihnen verlangen«. Für Knessetmitglied Michael Ben Ari von der Nationalen Union und Schlomo Dov Wolpo von Eretz Israel Schelanu ein Aufruf zur Rebellion und damit Grund genug, strafrechtlich gegen Kanti vorzugehen. Der Sender ignorierte bislang das Anliegen der Politiker.
Diskussion Doch auch ohne solch extreme Aussagen ist die Show heiß diskutiertes Thema überall. Nicht nur zwischen Teenagern an den Oberschulen, sondern sogar auf den Fluren der Universitäten und der Knesset. Die nach Big Brother zweiterfolgreichste Sendung im Land, die Comedyshow »Eretz Nehederet«, hat Anspruch und Qualität, doch auch sie kommt nicht umhin, jede Woche erneut die Teilnehmer des Hauses auf die Schippe zu nehmen. In einer Reihe mit Parodierten wie Benjamin Netanjahu, Ehud Barak oder Zipi Livni.
Sogar in der dritten Klasse steht Big Brother bereits auf dem Stundenplan. Einmal wöchentlich wird im Fach »Dialog« an der Itzchak-Rabin-Grundschule von Pardes Channa Aktuelles besprochen. Thema diesmal: Dürfen Neunjährige die Show sehen? Die Lehrerin meint kategorisch »Nein«, er-klärt den Mädchen das Für und Wider einer solchen Sendung. Die Umfrage jedoch macht deutlich, dass die meisten El-tern das nicht so sehen. Von 35 befragten Kindern haben lediglich acht ein Big-Brother-Verbot.
Keine Frage, er bricht Rekorde, polarisiert und wird diskutiert. Dennoch ist auch der israelische große Bruder vor allem eins: Triviales von Leuten, die offenbar allesamt unter einer Profilneurose im fortgeschrittenen Stadium leiden, nicht viel zu sagen haben und denen dabei viel zu viele Leute zuhören.