Jerusalem will »auf der richtigen Seite der Geschichte stehen«. Das unterstrich der israelische Außenminister Yair Lapid am Montag. Daher wolle man ein UN-Votum unterstützen, um Russland für den Einmarsch in die Ukraine zu verurteilen: »Denn das sind unsere Werte.« Man prüfe sogar »mögliche Auswirkungen von Sanktionen gegen Russland«.
Am Freitag zuvor hatte die amerikanische Delegation bei den Vereinten Nationen alle Gesandten von Staaten, die nicht im Sicherheitsrat vertreten sind – einschließlich Israel –, gebeten, die angestrebte Verurteilung Russlands zu unterstützen. Jerusalem beriet stundenlang und wies Botschafter Gilad Erdan dann an, sich dem Vorschlag nicht anzuschließen.
vorsicht Anschließend erläuterte Lapid: »Die Vereinigten Staaten erkennen, dass es Probleme gibt, die unserer Vorsicht bedürfen.« Denn durch den Kooperationsmechanismus mit Moskau in Bezug auf Syrien werde der »entschlossene Kampf gegen die iranische Verschanzung an unserer Nordgrenze unterstützt«.
Der Außenminister sagte auch, dass Israel drei Flugzeuge mit einem großen Vorrat an humanitärer Hilfe in die Ukraine geschickt hat. »Wir werden alles tun, um sicherzustellen, dass kein Israeli oder Jude zurückgelassen wird, aber es ist nicht einfach. Das Außenministerium leitet eine der kompliziertesten Operationen in der Geschichte des Landes.«
Er stellte fest, dass 180.000 Ukrainer nach dem Rückkehrgesetz des Landes berechtigt sind, nach Israel einzuwandern. Lapid schloss mit den Worten: »Unser Organisationsprinzip ist klar: Wir kümmern uns um Israelis, wir kümmern uns um Juden, und unsere Herzen sind bei den Bürgern der Ukraine.«
180.000 Ukrainer sind nach dem Rückkehrgesetz des Landes berechtigt, nach Israel einzuwandern.
Am Dienstag verurteilte Lapid den russichen Raketenangriff auf Kiew, infolgedessen nach Angaben ukrainischer Behörden und der Gedenkstätte Babyn Jar Schäden auf deren Gelände entstanden sind – allerdings, ohne Russland namentlich zu nennen: »Wir rufen dazu auf, die Heiligkeit des Ortes zu bewahren und zu respektieren.«
FLÜCHTLNGE Nachman Shai, Minister für Diaspora-Angelegenheiten, fordert, dass Israel seine Türen für ukrainische Flüchtlinge öffnet. »Hunderttausende ukrainische Flüchtlinge sind bereits in Nachbarländer eingereist oder außerhalb ihres Landes gestrandet und können nicht zurück. Wir erinnern uns heute an die jüdischen Flüchtlinge vor 80 Jahren, die Kontinente und Meere überquerten, aber zurückgewiesen wurden«, sagte Shai. »Der Staat Israel, der Staat des jüdischen Volkes, muss seine Tore für diese Flüchtlinge öffnen. Das ist unsere grundlegende humanitäre Verpflichtung.«
Allerdings werde Israel keine Waffen für die Verteidigung der Ukraine senden, habe Jerusalem einem Bericht des öffentlich-rechtlichen Senders Kan zufolge deutlich gemacht. Premierminister Bennett habe gezögert, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj während eines Telefonats am Freitag darum gebeten haben soll. Die Anfrage habe keine Einzelheiten zu bestimmten Waffen oder Ausrüstung enthalten, sondern sei ein allgemeiner Aufruf zur militärischen Hilfe gewesen, heißt es in dem Bericht. Israel habe mit »diplomatischer Höflichkeit« abgelehnt.
Die israelische Regierung habe es bisher versäumt, die Erwartungen des ukrainischen Präsidenten zu erfüllen, sagte der Botschafter der Ukraine in Israel, Yevgen Korniychuk, am Montag. »Wir wissen alles zu schätzen, was Israel für uns getan hat, aber es ist schwierig für mich, hier Botschafter zu sein, wenn mein Präsident Jude ist – weil er viel höhere Erwartungen an Israel hat.«
vermittler Nur einen Tag vorher hatte der Kreml bekannt gegeben, dass Bennett Israels Dienste als Vermittler angeboten hatte, um den Konflikt zu beenden. Die Ukraine hatte Israel immer wieder aufgefordert, bei der Aushandlung einer Lösung mit den Russen zu helfen. Korniychuk sagte, Selenskyj »glaubt, dass Jerusalem einer der besten Verhandlungsorte sein könnte«.
Derweil gehen Tausende von Israelis auf die Straße, um gegen die russische Invasion zu protestieren. Sie tragen blau-gelbe Flaggen und haben sich die Gesichter angemalt, um ihre Solidarität mit der attackierten Nation zu zeigen. Die verlangen sie auch von ihrer Regierung. »Ich finde, jetzt muss Schluss sein mit dem Herumlavieren in Jerusalem«, machte der Demonstrant Oren Yaacov bei der Kundgebung in Tel Aviv klar.
Der Computerspezialist meint, die Grenze sei überschritten. »Bevor Russland einmarschierte, habe ich verstanden, dass man in unserer Lage im Nahen Osten vorsichtig sein muss. Doch der Beschuss unschuldiger Menschen in einem souveränen Staat muss eindeutig verurteilt werden.«
Israel lehnte eine Bitte um militärische Hilfe offenbar »mit diplomatischer Höflichkeit« ab.
Auch andere legen ihre Worte nicht auf die Goldwaage. Für die in der Ukraine geborene Anna Zharova steht dies nicht zur Debatte: »Israel muss aufhören, neutral zu sein, und stattdessen Stellung beziehen.«
sanktionen Die Leiterin der israelisch-ukrainischen Allianz meint, dass sich der jüdische Staat sowohl der westlichen Welt in seiner Position anschließen als auch Sanktionen gegen Russland verhängen müsse. »Humanitäre Hilfe ist nicht genug. Es sollte politische und sicherheitspolitische Hilfe für die Ukraine von Israel geben.«
Während sich der russische Angriff fortsetzt und immer mehr Opfer fordert, haben einige Israelis ukrainischer Herkunft sogar entschieden, dass sie die Situation nicht mehr aus der Ferne beobachten können. Sie bereiten sich darauf vor, sich dem Land im Kampf gegen die Invasion anzuschließen.
Einer davon ist der 38-jährige Sergei Nowitzki, israelischer Staatsbürger und ehemaliger IDF-Soldat. »Die ganze Welt hat Angst vor Putin, der Soldaten entsendet, um Kinder und Zivilisten zu töten. Das bringt mich dazu, mich freiwillig der ukrainischen Seite anzuschließen.«
RESERVISTen »Ich liebe Israel, und wenn hier etwas passiert, bin ich sofort bei den Reservisten dabei. Aber jetzt gibt es Krieg in der Ukraine, und ich, zusammen mit anderen, bitte die Welt, einschließlich Israel, um Hilfe.« Nowitzki weiß, dass es verschiedene Gruppen von Israelis gibt, die bereit seien, gegen die Russen zu kämpfen. Derzeit warteten sie auf Genehmigungen, um Verteidigungsausrüstung außer Landes zu bringen. »Wir werden von Israel nach Polen fliegen und von dort mit dem Bus oder zu Fuß die Grenze überqueren.«
Zwei Freunde wollen Nowitzki begleiten. »Ich habe einen ukrainischen Pass, damit ich gehen kann, ohne Israel darin zu verwickeln«, erklärt er. »Ich hoffe wirklich, dass wir nicht kämpfen müssen und dass es ein Friedensabkommen gibt. Aber wenn nicht, werde ich alles tun, um meine Verwandten zu schützen.«