Die deutschen Klassiker kommen nach Jerusalem. An der Hebräischen Universität (HU) startete am Mittwoch vergangener Woche eine Vorlesungsreihe von Goethe über Thomas Mann bis zu Herta Müller, die der »Germanistik an der israelischen Hochschule neue Impulse geben soll«. Die Vorlesungen in englischer Sprache finden in enger Zusammenarbeit mit der Freien Universität Berlin (FU) statt. Gefördert wird die »Lecture Series on German Literature« von der Axel Springer Stiftung.
Mit ihrer Förderung der Reihe will die Springer Stiftung auch 60 Jahre nach ihrer Gründung weiter zur deutsch-israelischen Verständigung beitragen. Zwei Semester lang werden in Jerusalem insgesamt 25 Veranstaltungen zur deutschen Literatur vom Mittelalter bis zum 21. Jahrhundert abgehalten. Sie beschäftigen sich mit dem Werk der wichtigsten deutschsprachigen Autoren, vorgetragen von renommierten Germanisten der Freien Universität Berlin sowie anderer deutscher und internationaler Hochschulen.
Abstimmung Konzipiert und koordiniert wird die Reihe von den Berliner Professoren Susanne Zepp, Anne Flieg und Joachim Kümper in enger Abstimmung mit den Kollegen in Jerusalem. Sie soll langfristig dazu beitragen, die Germanistik als Universitätsfach an der israelischen Hochschule weiter auszubauen. »Denn es gibt bei den Studenten ein großes Interesse, Deutsch zu lernen und sich mit der deutschen Kultur zu befassen«, weiß Susanne Zepp.
Dass die dritte Generation von Holocaust-Überlebenden zusehends ein wachsendes Interesse und sogar eine gewisse Faszination für deutsche Kultur und Sprache entwickele, bestätigt Gabriele Hermani, zuständig für wissenschaftliche Beziehungen an der deutschen Botschaft in Tel Aviv. Sowohl das Goethe-Institut wie auch der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) berichten gleichermaßen von der steigenden Beteiligung an ihren Deutschkursen. Auf der Website des Goethe-Institutes schrieb beispielsweise ein junger Mann: »Ich liebe die deutsche Kultur und wollte schon immer Thomas Manns Doktor Faustus und Goethes Faust in der Originalsprache lesen.«
»Dennoch ist es natürlich noch immer etwas Besonderes, wenn eine israelische Hochschule eine ganze Reihe zu deutscher Literatur anbietet«, so Hermani.
Austausch Yoav Rinon, Leiter der School of Literatures, und Reuven Amitai, Dekan der geisteswissenschaftlichen Fakultät in Jerusalem, sind von dem Projekt angetan. »Die Ringvorlesung stellt eine einmalige Gelegenheit dar, unseren Studierenden die deutsche Literatur, Kultur und Geschichte in neuer Weise näherzubringen«, betont Amitai. »Sie ist ein wichtiger Baustein der engen wissenschaftlichen Zusammenarbeit zwischen Berlin und Jerusalem.«
Beteiligt sind auch das interdisziplinäre DAAD Center for German Studies und das Franz Rosenzweig Minerva Center für deutsch-jüdische Literatur und Kulturgeschichte an der Hebräischen Universität.
Dies ist nicht das erste Projekt der Hochschulen HU und FU. Sie kooperieren im Rahmen einer strategischen Partnerschaft, die zahlreiche Austauschprogramme und gemeinsame Forschungsprojekte sowohl in den Geistes- als auch in den Naturwissenschaften umfasst. Bei der feierlichen Eröffnung auf dem Skopusberg sprachen die Präsidenten der Universitäten, Professor Menachem Ben-Sasson (Jerusalem) und Professor Peter-André Alt (Berlin), von der Bedeutung der neuen Initiative: Sie demonstriere die große Dynamik dieser Partnerschaft und zeuge davon, was gemeinsam erreicht werden könne.
Der deutsche Botschafter in Israel, Andreas Michaelis, machte deutlich, es sei ein Schlüsselelement des Literaturstudiums, was andere Kulturen lesen und wie sie es lesen. »Wir sind glücklich darüber, dass es deutsche Autoren gibt, die in Israel und bei uns sehr geschätzt werden und ins Hebräische übersetzt wurden.«
Auftakt Den Auftakt zur Reihe an der Hebräischen Universität machte Hans-Jürgen Schings, Experte für die Literatur der Aufklärung und Klassik der FU Berlin, mit Goethes Faust. Auf dem weiteren Programm stehen im Sommersemester Vorträge zu Thomas Mann, Franz Kafka sowie zu Autorinnen und Autoren der Gegenwart, etwa Christa Wolf oder Herta Müller. Nach jedem Vortrag findet ein Kompaktseminar für die Studierenden statt. Das Wintersemester bezieht Texte früherer Epochen ein, es beginnt mit der Literatur des Minnesangs.
»Die Tatsache, dass unsere Beziehung einen Punkt erreicht hat, der uns über deutsche Literatur reden lässt, berührt mich persönlich sehr. Als ich vor 20 Jahren zum ersten Mal in Israel arbeitete, bekam ich ein mulmiges Gefühl, wenn ich mit meinen Kindern in Supermarkt Deutsch sprach«, erzählte der Botschafter. »Und nur dank vieler Freundschaften in diesem Land konnte ich das Gefühl langsam überwinden. Heute finde ich, dass Israelis Deutschen mit spontanem Interesse, Wärme und Höflichkeit begegnen. In Anbetracht des Horrors der Vergangenheit lehrt dieses Verhalten uns Deutsche Demut und Dankbarkeit.«