Viele halten an, um nach dem Weg zu fragen. »Erst unterschreiben«, ruft Nofar Salman lachend, »dann erkläre ich dir, wie du da hinkommst.« Es regnet in Strömen in Tel Aviv, und die jungen Aktivisten im Protestzelt ihrer Partei Jesch Atid wärmen sich an heißem Tee. Sie sitzen nur wenige Meter von der Kiria entfernt, dem Hauptquartier der Armee, und sammeln Unterschriften für ihre Petition, mit der sie verhindern wollen, dass das erst von der vergangenen Regierung beschlossene Armeegesetz wieder geändert wird und ultraorthodoxe Jeschiwastudenten doch nicht eingezogen werden.
»Viele wissen gar nicht, dass es Teil des offiziellen Koalitionsvertrages ist, die Armeereform einzufrieren«, erläutert Yorai Lahav vom Jugendflügel der Jesch Atid. Die ultraorthodoxen Parteien hätten das zur Bedingung gemacht, bevor sie in die Regierung einstiegen. Aus der Reform, die schrittweise junge ultraorthodoxe Männer in die Armee einbinden sollte, werde durch die geplanten »Anpassungen« ein wertloses Papier, das in irgendwelchen Knessetschubladen verschwindet, ist er sich sicher. Vor 2023 soll niemand aus den streng religiösen Gemeinden zum Militärdienst gezwungen werden, und Sanktionen gegen Verweigerer gibt es auch keine mehr.
Religiös Der ehemalige Finanzminister Yair Lapid hatte die Reform mit seiner Zentrumspartei Jesch Atid in der letzten Koalition, an der keine streng religiösen Parteien beteiligt waren, vorangetrieben und schließlich durchgedrückt. Im Sinne der Gleichheit aller Israelis, wie er stets betonte und wie es zuvor der Oberste Gerichtshof entschieden hatte. »Unterschrieben hatten damals alle, das Jüdische Haus von Naftali Bennett und die Leute vom Likud«, erzählt Schai Bar-Gil, »und jetzt stimmen sie dagegen, haben es in den ersten Lesungen schon getan.« Der junge Mann verdient sein Geld eigentlich in der Hightech-Industrie. Doch im Zelt sitzt er in der olivgrünen Uniform: Schai ist jetzt einen Monat lang Reservist.
Er ist entrüstet und wütend: »Ich habe bei der Militäroperation vom vergangenen Sommer einen Monat lang in einem Zelt in der Nähe vom Gazastreifen gelebt. Wir alle haben unsere Familien verlassen, einer meiner Freunde ist selbstständig und hat 300.000 Schekel in seinem Geschäft verloren, weil er nicht da war. Das ist die Last des Staates, in dem wir leben. Und wir tragen sie. Aber es ist nicht fair, dass sich ein Teil weigert, dieselbe Last zu tragen. Keine Frage, wir werden betrogen.«
Vor allem wolle man mit dem Protestzelt Bewusstsein in der Bevölkerung schaffen. »Viele wissen überhaupt nicht, was in der Knesset genau vor sich geht und wie sehr die jetzigen Parteien schachern, um sich aus der Verantwortung zu ziehen. Wir sagen ihnen die Wahrheit. Denn schließlich geht es nicht um irgendetwas. Es geht um die Armee, eine Säule, auf die das gesamte zionistische Unternehmen hier aufgebaut ist. Und die jetzige Regierung zerstört das hemmungslos«, meint Schai.
Außerdem wolle man ein gewisses Vertrauen in die Politiker wiederherstellen. »Jesch Atid ist eine Partei, die sich wirklich um die Belange der Menschen in Israel kümmert – nicht nur um die eigenen«, versichern die jungen Frauen und Männer einhellig.
Proteste Mittlerweile haben sich viele Organisationen und andere Parteien der Aktion von Jesch Atid angeschlossen: die Union der Studenten, Vereinigungen von Drusen und Muslimen, das Forum für gleichen Militärdienst, Reservistenverbände, Absolventen der charedischen Militäreinheiten, die Arbeitspartei und Israel Beiteinu. Auch landesweite Demonstrationen sind geplant. Am Mittwoch etwa unterbrach die komplette Tel Aviver Universität für eine Stunde ihren Lehrbetrieb, um gegen die Änderungen zu demonstrieren. »Die meisten Reservisten in der Armee sind schließlich Studenten«, erklärt Koral Wexler, die selbst an der Bar-Ilan-Universität studiert und ihre Kommilitonen über »die geplante Ungerechtigkeit« informiert.
Das Zelt ist rund um die Uhr besetzt, an jedem Wochentag. »Die Leute können immer kommen, um mit uns zu sprechen«, sagt Yorai Lahav. Und sie kommen. Nachts seien es meist jugendliche Charedim. »Sie fragen uns Löcher in den Bauch und lassen uns nicht schlafen«, erzählt er und schmunzelt. Doch die Aktivisten schlagen sich dafür gern die Nächte um die Ohren. Für das, woran sie glauben: Gleichheit für alle.
»Die meisten der jungen Ultraorthodoxen würden gern vollständig zur Gesellschaft gehören«, weiß Yorai durch die Gespräche, »sie wissen nur nicht, wie sie das anstellen sollen. Natürlich sagen wir, dass ihnen die Armee dazu die beste Gelegenheit gibt«. Und dann unterschreiben sie die Petition? »Ja, das tun sie wirklich«, sagt Nofar begeistert. Überhaupt kämen die Unterstützer aus allen Gesellschaftsgruppen und -schichten. Auch viele Leute vom Likud seien dabei: »Militärdienst ist ein Thema, das in Israel jeden angeht.« Mehr als 6000 Unterschriften sind in fünf Tagen zusammengekommen. Eine stolze Zahl, finden die Aktivisten.
Fakten Ihr Ziel sind aber nicht nur volle Unterschriftslisten, sondern handfeste Fakten. Die Aktivisten wollen mit ihrer Präsenz im Herzen von Tel Aviv dafür sorgen, dass alle Politiker, die in der letzten Regierung für die Reform gestimmt haben und jetzt in der Knesset ihre Hand dagegen heben, wissen: Sie werden beobachtet.
»Der Verteidigungsminister Mosche Yaalon stimmt gegen seine eigenen Soldaten? Das ist unglaublich und schockierend«, findet Yorai. »Es ist ein schmutziges Spiel um Geld und Macht. Und es muss ein Ende finden. Jetzt!«