Fernseh- und Radiostationen im ganzen Land unterbrachen ihr Programm gestern Abend gegen 19 Uhr. Israelis hielten den Atem an, als sie die Nachricht vernahmen. Viele konnten kaum glauben, was sie da hörten. Gilad Schalit sei auf dem Weg nach Hause, sagten die Kommentatoren mit zittriger Stimme. Just in diesem Moment beriet das Kabinett über ein Abkommen zur Freilassung des von der Hamas festgehaltenen israelischen Soldaten. Und dann die Ankündigung von Premierminister Benjamin Netanjahu in die Kameras: »Wir bringen Gilad nach Hause zurück.«
Mehr als fünf Jahre ist es her, dass der IDF-Soldat von der Hamas in den Gazastreifen verschleppt worden war. Einzige Lebenszeichen waren einige wenige Briefe an seine Familie sowie ein Video, das vor zwei Jahren zeigte, dass der junge Israeli noch am Leben ist. Sechs Geburtstage verbrachte er in Gefangenschaft. Die Konditionen, unter denen Schalit festgehalten wurde, sind unbekannt. Die Hamas verweigerte jegliche Besuche, nicht einmal Ärzte oder das Rote Kreuz wurden zu ihm gelassen.
Gefangenenaustausch In den frühen Morgenstunden des Mittwoch dann die endgültige Entscheidung: Das Kabinett beschloss in der Knesset, einen Deal mit der Hamas zum Gefangenenaustausch zu befürworten. 26 Minister stimmten dafür, Außenminister Avigdor Lieberman, Infrastrukturminister Uzi Landau und der stellvertretende Premier, Mosche Yaalon, dagegen.
Die Verhandlungen hatten in den vergangenen Wochen unter äußerster Geheimhaltung in Kairo stattgefunden. Als israelische Offizielle nach Ägypten reisten, hieß es, sie wollten sich über die Situation der Grenze zwischen den beiden Ländern abstimmen. Auch der deutsche Vermittler, der sich seit Jahren für die Freilassung engagierte, hatte wohl einen großen Anteil am Zustandekommen des Deals. Am Ende zeigten sowohl Israel als auch die Hamas Flexibilität, berichtet das Armeeradio.
Entsprechend des Abkommens werden insgesamt mehr als 1.000 palästinensische Gefangene freigelassen. Zunächst kommen 450 aus israelischen Gefängnissen frei, 280 von ihnen hätten eine lebenslange Haftstrafe verbüßen müssen. 55 gehören der Hamas an, die restlichen der Fatah oder anderen Organisationen. Sobald sich Schalit auf israelischem Boden befindet, wird Jerusalem weitere 550 Häftlinge in die Westbank und nach Gaza überführen. Unter den Freigelassenen werden auch solche »mit Blut an den Händen« sein.
Gazastreifen Der Geheimdienst teilte auf Nachfrage mit, dass auch prominente Hamasangehörige aus der Westbank zum Deal gehören, darunter Abdullah Barghouti, Ibrahim Hamed und Abbas Sayed. Der Fatah-Mann und verurteilte Terrorist Marwan Barghuti indes soll weiter in Haft bleiben. Einige Hundert sollen aus dem Jordanvorland ausgewiesen und entweder in den Gazastreifen oder ins Ausland deportiert werden.
»Es ist kein guter Deal«, kommentierte Inlandsgeheimdienst-Chef Yoram Cohen, »aber es ist der einzige Weg, Gilad nach Hause zu bringen. Deshalb unterstützen wir ihn.« Orna Schimoni, eine der führenden Aktivistinnen zur Freilassung des Soldaten, zeigte sich überwältigt von den Nachrichten. »Ich glaube an Verhandlungen, habe immer daran geglaubt.« Doch nach fünf Jahren der Enttäuschungen gehörten auch gemischte Gefühle zur Stimmung des gestrigen Abends: »In dem Moment, in dem Aviva und Noam ihren Sohn umarmen, werden wir es wirklich glauben.«
Die Schalit-Familie im Protestzelt vor der Residenz des Premierministers in Jerusalem zeigte sich zum ersten Mal in fünf Jahren mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Noam Schalit, Vater des Entführten, dankte der Regierung für die mutige Zustimmung zu einer Vereinbarung und sagte, das Zelt werde umgehend abgebaut, die Familie kehre in ihr Haus in Mitzpe Hila zurück. »Nach 1.935 langen Tagen und Nächten bringt die Regierung unseren Sohn zurück. Doch erst, wenn Gilad wirklich die Treppen unseres Hauses hochläuft, wissen wir, dass es zu Ende ist«, so Noam Schalit, »erst dann schließt sich der Kreis.«