»Damit sie auch morgen noch kraftvoll zubeißen können …», heißt es in einem alten Werbespot. Nach neuesten Erkenntnissen aber scheint jeder Biss in einen knackig-grünen Apfel aus Israel der Gesundheit eher zu schaden. Das zentrale Statistikamt des Landes gab jetzt bekannt, dass Israel mehr Pestizide für den Obst- und Gemüseanbau verwendet als jedes andere westliche Land. 3,5 Tonnen Schädlingsvernichtungsmittel landen pro Quadratkilometer auf den Tomaten-, Gurken-, Apfel- oder Orangenplantagen. Jetzt droht das Rabbinat mit dem Entzug der Kaschrut-Zertifikate.
Israel liegt auf Platz eins der Chemikalienbenutzer unter den Nationen der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung). Mit weniger als der Hälfte an Gift folgt Japan mit 1,55 Tonnen. Schweden benutzt am wenigsten Insektenvernichtungsmittel mit 40 Kilogramm für dieselbe Fläche.
Das Thema sorgte in den vergangenen Tagen für große Aufregung im Land. Besonders besorgniserregend sei die Tatsache, dass es sich bei einem Teil der verwendeten 105 Pestizide um in Europa verbotene handele, berichteten Tageszeitungen, Radio und Fernsehen. Die Zahlen ließen zweifellos folgern, dass Israelis hochgradig vergiftetes Obst und Gemüse essen, hieß es in den Meldungen.
Katzutz Dabei galten Jaffa-Orangen jahrzehntelang als Vorzeigeobst. Von umtriebigen Anbauern wurden immer neue Tomatensorten entwickelt, die um die Welt gingen. Die Gurken im Miniformat wurden für ihren Geschmack gepriesen. Doch die neuesten Nachrichten schockieren selbst die hartgesottenen Israelis. Auf jedem Abendbrottisch hierzulande steht seit jeher der obligatorische Katzutz, ein klein geschnittener Mix aus Gurken und Tomaten. Den Satz «Iss deinen Salat, der ist gesund» kennt jedes Kind. Äpfel sind fester Bestandteil in den Frühstücksboxen der Schüler von Naharija bis Eilat.
Dabei stehen die an erster Stelle der Giftigkeitsskala, gefolgt von Trauben und Sellerie. Kurz danach kommen schon die Orangen. Normalerweise schützt die dicke Schale der Zitrusfrüchte vor dem Eindringen der Mittel. Die israelischen Bauern aber benutzen ein derart starkes Gift, dass es sogar ins Innere von Zitronen oder Mandarinen dringt. Auch die meisten Kräuter sind stark belastet.
Kaschrut Nach Bekanntwerden des Skandals warnte Oberrabbiner Schlomo Amar, dass er Bauern, die mehr Pestizide verwenden, als das Gesundheitsministerium erlaubt, das Kaschrut-Zertifikat entziehen wolle. Es sei ein «schlimmes Phänomen», dass vor allem Gemüseanbauer Blattgemüse so stark mit Giften besprühen oder sogar verbotene Mittel benutzen, dass mit Sicherheit kein einziges Würmchen zurückbleiben kann, so der Rabbiner.
In Israel gehen jährlich bis zu 7300 Tonnen Schädlingsvernichtungsmittel über die Ladentheken, die offenbar komplett auf den Feldern landen. Von den 630 verschiedenen Mischungen enthalten 570 Methyl-Bromide, die entsprechend internationaler Vereinbarung zum Schutz der Ozonschicht aus dem Verkehr gezogen werden sollen.
Als Antwort auf die alarmierende Studie erklärte das Landwirtschaftsministerium, dass Obst und Gemüse sowohl auf dem Feld als auch beim Verpacken auf Pestizidrückstände getestet werden soll. «Muster von allen Waren werden überprüft, bevor sie in die Supermärkte kommen.» Das Ministerium will jedoch zudem die Vorschriften für die Verwendung von Insektenvernichtungsmitteln überarbeiten und neue, sicherere Produkte einführen. Zudem sollen umweltfreundlichere Methoden wie Insektenfallen unterstützt werden.
Das empfiehlt auch die israelische Vereinigung für den Schutz der Umwelt. Die veröffentlichte nur eine Woche nach den Erkenntnissen des Statistikamtes eine Studie, die besagt, dass 105 verschiedene Pestizide in israelischen Früchten und Gemüsesorten zu finden sind – «und zwar in sehr hohem Maße». Die Vereinigung verwendet eine andere Untersuchungsmethode als das Landwirtschaftsministerium, die auch sehr geringe Rückstände der Gifte aufdeckt.
20 der verbotenen Pestizide könnten das Nervensystem und die kognitive Entwicklung von Kindern schädigen, hieß es. 15 weitere sind als krebserregend eingestuft. «Es muss jetzt schnellstens auf die Erkenntnisse reagiert werden», so der Vorsitzende der Vereinigung, Amit Bracha. «Denn die Bevölkerung ist massiven Giften ausgesetzt.» Bracha empfiehlt, Obst und Gemüse sehr sorgfältig vor dem Verzehr zu waschen und zu schälen. Einige der Gifte durchsetzen jedoch die Schale und dringen in die gesamte Frucht ein. Wo es geht, sollte man daher bei Bioprodukten zugreifen, so Bracha.
Katastrophe Zwar sind die guten Nachrichten in Sachen Obst und Gemüse momentan rar, doch es gibt sie: So gut wie keine Spuren von Giften sind in Avocados, Passionsfrüchten, Sprossen und Süßkartoffeln nachgewiesen worden.
Micki Eser ist skeptisch. «Es geht doch allen nur noch um Profit. Um unsere Gesundheit schert sich keiner. Wohin sollen diese Unmengen von Gift denn verschwinden, wenn nicht im Obst und Gemüse selbst?» Die Mutter von drei Kindern steht vor dem Obstladen und ist entsetzt. Zwar landen bei ihr mehr und mehr Waren aus Bioanbau im Einkaufswagen. Doch es gebe oft nur ein kleines Angebot, und das habe nicht immer die beste Qualität. «Im Moment weiß ich wirklich gar nicht, was ich noch kaufen soll. Ich will auf gesunde Ernährung für meine Familie achten, aber im Moment habe ich das Gefühl, ich vergifte meine Kinder schleichend.»
Händler Arik Cohen aus Pardes Chana gibt ihr recht. Selbst der gewiefte Obst- und Gemüsehändler, der sonst stets einen Spruch auf den Lippen hat, ist dieser Tage ratlos. «Viele Leute kommen ins Geschäft und fragen, was unbedenklich ist. Doch auch ich bin mir nicht mehr sicher.» Die Bauern würden alles vergiften, um noch mehr und immer schneller zu ernten, klagt der Mann, der seit mehr als 30 Jahren vom Handel mit den frischen Waren lebt. «Das ist sowohl für uns Händler als auch für jeden Kunden eine echte Katastrophe.»