Israel

»Gewalt und Anarchie«

Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu Foto: Flash 90

Weitere Proteste verschiedener Art werden auch am heutigen Donnerstag in Israel erwartet, darunter Demonstrationen gegen die Justizreform der Regierung. Gleich am Morgen griff die Polizei in Evyatar, einer illegalen Siedlung im Westjordanland, durch.

Beamte entfernten dort ein provisorisches Büro, das zur Vorbereitung einer von Siedlern organisierten Kundgebung eingerichtet worden war. Bei dem Protest sollten die Morde an zwei israelischen Brüdern am Sonntag verurteilt werden. Der Anschlag hatte später eine gewalttätige Vergeltungsaktion in dem palästinensischen Ort Huwara ausgelöst.

Nach den gestrigen Demonstrationen gegen die Absicht seiner Regierung, das Justizsystem radikal zu reformieren, hat unterdessen Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu die Bürger des Landes aufgerufen, die Gewalt zu stoppen.

TV-Ansprache Scharfe Kritik erntete der Regierungschef, auch weil er in einer live im Fernsehen ausgestrahlten Rede die Demonstranten in Tel Aviv mit Siedlern verglich, die in einem Akt der Selbstjustiz am Wochenende in Huwara Häuser und Fahrzeuge angezündet hatten. Ein Palästinenser wurde bei den Ausschreitungen getötet und Dutzende verletzt. Zuvor waren erneut zwei junge Siedler von Palästinensern getötet worden.

Präsident Isaac Herzog solidarisierte sich mit den Demonstranten, die sich ihm zufolge »um die Zukunft Israels sorgen«.

»Wir werden keine Gewalt in Huwara akzeptieren, und wir werden keine Gewalt in Tel Aviv akzeptieren«, erklärte Netanjahu. In beiden Fällen seien »Grenzen überschritten« worden. Er sprach von »Gewalt und Anarchie« und sagte, die Demonstrationsfreiheit sei »keine Erlaubnis, das Land in die Anarchie zu treiben«.

»POGROM« Der frühere stellvertretende Ministerpräsident und heutige Oppositionspolitiker Benny Gantz reagierte auf Netanjahus Rede mit heftiger Kritik: »Entschuldigen Sie, aber ein Pogrom in einer Stadt durchzuführen, sie anzuzünden, jemanden zu töten, und dann eine Pause für abendliche Gebete einzulegen, um anschließend wieder ein Chaos zu verursachen, hat keine Gemeinsamkeiten mit Straßenblockaden.« Gantz sagte, die Differenzen in Zusammenhang mit der Justizreform könnten zu einem Bürgerkrieg führen.

Präsident Isaac Herzog solidarisierte sich mit den Demonstranten, die sich ihm zufolge »um die Zukunft Israels sorgen«. Er teile diese Sorgen, erklärte er. Oppositionsführer Yair Lapid bezeichnete Netanjahus Vergleich als »schockierend«, widersprach aber Berichten, wonach er nicht gewillt sei, mit dem Ministerpräsidenten zu reden. Zunächst müsse allerdings die Justizreform auf Eis gelegt werden.

Am Mittwoch war es in Tel Aviv und andernorts erneut zu Großdemonstrationen gegen die Regierungspläne und dabei auch zu Zwischenfällen gekommen. Israelischen Medienberichten zufolge wurden mindestens elf Menschen verletzt und mehr als 50 Protestierer verhaftet. Die Polizei setzte Blendgranaten und Wasserwerfer gegen Demonstranten ein, die versuchten, die Ayalon-Schnellstraße in Tel Aviv zu blockieren.

SARA NETANJAHU Ebenfalls in Tel Aviv wurde Sara Netanjahu, die Ehefrau des Regierungschefs, in einem Frisörsalon von Demonstranten festgesetzt. Hunderte Protestierer versammelten sich laut israelischen Zeitungsberichten vor der Tür der Einrichtung am Kikar Hamedina, einem Platz im Zentrum der Stadt, weshalb Sara Netanjahu den Salon nicht verlassen konnte. Schließlich kam die Polizei mit einem Großaufgebot, um die Protestierer wegzuschicken und die Frau des Ministerpräsidenten zu schützen.

Diese Aktion der Demonstranten stieß auch unter Netanjahu-Gegnern auf Kritik. Sowohl Yair Lapid als auch Benny Gantz forderten die Blockierer auf, Sara Netanjahu gehen zu lassen. Benjamin Netanjahu reagierte später mit einem Tweet: »Sara, meine liebe Frau, ich bin froh, dass du sicher und unversehrt zurückgekehrt bist. Die Anarchie muss aufhören. Sie kann Leben kosten.«

Für scharfe Kritik, auch aus den USA, sorgte unterdessen auch eine Aussage von Finanzminister Bezalel Smotrich, wonach Huwara »ausgelöscht« werden müsse. Ned Price, der Sprecher des US-Außenministeriums, sagte in Washington, die Aussage Smotrichs sei verantwortungslos, abscheulich und ekelhaft.

Israel/Gaza

Wie Israel mit der Hamas um Details des Geisel-Abkommens ringt

Vor mehr als 15 Monaten begann der palästinensische Terror den Krieg. Nun deutet viel darauf hin, dass Verhandlungen um eine Feuerpause vor dem Abschluss stehen

 15.01.2025

Nahost

USA: Gaza-Deal so nah »wie nie zuvor«

Washington gibt sich optimistisch: Eine Einigung auf eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas sowie die Freilassung von Geiseln stehe bevor. Der US-Außenminister sagt: Es liegt nun an der Hamas

von Julia Naue  14.01.2025

Würdigung

Argentiniens Präsident Milei erhält »jüdischen Nobelpreis«

Der ultraliberale Staatschef gilt als enger Verbündeter Israels und hat großes Interesse am Judentum. Das Preisgeld in Höhe von einer Million Dollar will er für den Kampf gegen Antisemitismus spenden

von Denis Düttmann  14.01.2025

Gerhard Conrad

»Hamas ist ein Gegner, der nur in extremer Not einlenkt«

Der ehemalige Geisel-Unterhändler und BND-Agent über einen möglichen Deal zwischen Hamas und Israel und die Folgen für den Nahen Osten

von Michael Thaidigsmann  14.01.2025

Israel

Ben Gvir: Geisel-Deal bedeutet Ende der Regierungskoalition

Der rechte Minister gibt zu, im vergangenen Jahr eine Waffenstillstandsvereinbarung mehrfach verhindert zu haben

 14.01.2025

Terror

Bericht: Hamas akzeptiert Entwurf für Geisel-Deal

Es müssten nur noch letzte Details geklärt werden, so ein israelischer Regierungsvertreter

 14.01.2025 Aktualisiert

Israel

Luftalarm wegen Rakete aus dem Jemen

Mehrere Menschen verletzten sich auf dem Weg zum Schutzraum

 14.01.2025

Washington D.C.

USA legen Nachkriegsplan für Gaza vor

Blinken will die Palästinensische Autonomiebehörde in eine Regierung einbeziehen. Israel lehnt dies ab, da auch sie den Terror unterstützt

 14.01.2025

Geisel-Deal

»Ein Schimmer der Hoffnung, aber wir bleiben vorsichtig«

In Doha sollen heute wohl letzte offene Fragen geklärt werden, während immer mehr Details über den möglichen Deal zwischen Israel und Hamas bekannt werden

 14.01.2025