Der Internationale Gerichtshof hat am Dienstag einen Antrag Nicaraguas abgelehnt, Deutschland zum Stopp seiner Hilfe an Israel, insbesondere der Waffenlieferungen, zu verpflichten. Die Regierung des autoritär regierenden Präsidenten Daniel Ortega wirft der Bundesregierung Beihilfe zu einem angeblichen israelischen Vökermord an den Palästinensern in Gaza vor.
Auf Grundlage der von Nicaragua und Deutschland vorgetragenen Argumente gebe es keine Grundlage für die von der Klägerin geforderten Sofortmaßnahmen, urteilten nun die Richter. Die deutschen Rechtsvertreter begrüßten die Entscheidung. »Wir freuen uns, dass unsere Argumente das Gericht überzeugen konnten«, sagte Tania von Uslar-Gleichen, Leiterin der deutschen Delegation in Den Haag, in einer ersten Reaktion.
Berlin darf den IGH-Beschluss in Den Haag durchaus als Erfolg werten, denn zumindest vorerst dürfte für die Bundesregierung die Gefahr, für die Solidarität Deutschlands mit Israel von einem internationalen Tribunal abgemahnt zu werden, gebannt sein.
Das Hauptsacheverfahren, das frühestens im nächsten Jahr abgeschlossen sein dürfte, ist mit dem heutigen Beschluss aber nicht ganz abgewendet, denn das höchste Gericht der Vereinten Nationen gab dem Antrag der deutschen Seite, die Klage Nicaraguas komplett zurückzuweisen, nicht statt.
»Der Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord ist absurd. Hier werden Gerichtsverfahren für politische Kampagnen missbraucht«.
Stattdessen verwies es ausdrücklich auf seinen Beschluss vom 26. Januar dieses Jahres. Damals hatten die Richter in einem separaten Verfahren, das Südafrika gegen Israel angestrengt hatte, mehrere vorläufige Maßnahmen gegen Israel angeordnet und das Recht der palästinensischen Zivilbevölkerung auf Rechtsschutz betont.
Der IGH erklärte, dass »die militärische Operation, die Israel seit dem Angriff vom 7. Oktober 2023 durchgeführt hat, zu einer großen Anzahl von Toten und Verletzten, einer massiven Zerstörung von Häusern, zu gewaltsamer Vertreibung der großen Mehrheit der Bevölkerung und zu umfangreichen Schäden an der zivilen Infrastruktur geführt hat.«
Weiterhin sei das Gericht »tief besorgt über die katastrophalen Lebensbedingungen der Palästinenser im Gazastreifen, insbesondere angesichts des anhaltenden und weit verbreiteten Entzugs von Nahrungsmitteln und anderer Grundbedürfnisse.«
»Mit großer Sorge sehen wir den Druck auf das Gericht und seiner Richter. Tendenzen zur Politisierung des Völkerrechts stellen die friedensstiftende Kraft des Rechts selbst in Frage.«
Und auch das schrieben die Richter erneut in ihren Beschluss: Jeder Staat sei zur Einhaltung des humanitären Völkerrechts verpflichtet, unabhängig davon, ob er an dem betreffenden Konflikt beteiligt ist oder nicht. In Bezug auf die Völkermord-Konvention habe jeder Vertragsstaat die besondere Verpflichtung, »alle ihm vernünftigerweise zur Verfügung stehenden Mittel einzusetzen, um Völkermord so weit wie möglich zu verhindern«. Das gelte auch im Hinblick auf die Lieferung von deutschen Waffen an Israel.
Auch Drittstaaten können andere Staaten vor dem IGH wegen möglicher Beihilfe zu einem Genozid zur Verantwortung ziehen. Anders als in der Frage von möglichen Kriegsverbrechen oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist nämlich der Internationale Gerichtshof zuständig, über die Einhaltung der Vorgaben der Konvention zu wachen. Allerdings betreffen seine Anordnungen nur Staaten und - im Gegensatz zum Internationalen Strafgerichtshof - keine Einzelpersonen oder Organisationen.
Nicaragua hatte argumentiert, dass Deutschland im vergangenen Jahr Rüstungslieferungen für 326,5 Millionen Euro an Israel genehmigt habe, zehnmal mehr als im Vorjahr. Doch Deutschland habe, so 15 der 16 Richter, plausibel dargelegt, dass 98 Prozent davon nur allgemeine Rüstungsgüter wie Helme oder Schutzwesten und keine Kriegswaffen gewesen seien.
Der deutsche Rechtsrahmen für die Herstellung, das Inverkehrbringen und die Ausfuhr von Waffen und sonstigen Rüstungsgütern sehe eine Prüfung durch mindestens zwei Ministerien und eine Risikobewertung vor, die geeignet sei zu verhindern, dass mit den Kriegswaffen schwere Verbrechen begangen würden.
Wörtlich schrieben die Richter in ihren Beschluss: »Der Gerichtshof stellt ferner fest, dass Israel im Jahr 2023 bei der Bundesregierung um Panzermunition ersucht hat und dass die Beklagte bisher keine Entscheidung über diesen Antrag getroffen hat. Darüber hinaus ist nach Angaben Deutschlands die Genehmigung für den Export eines U-Boots nach Israel anhängig, da bisher nur eine der beiden für diesen Export erforderlichen Genehmigungen erteilt worden ist. Schließlich nimmt der Gerichtshof die Erklärung Deutschlands zur Kenntnis, dass 98 Prozent der seit dem 7. Oktober 2023 erteilten Genehmigungen ’sonstige Rüstungsgüter‹ und nicht ›Kriegswaffen‹ betrafen.«
Auch den Vorwurf, Deutschland habe die Beihilfen für das UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA im Gazastreifen auf Eis gelegt und damit gegen humanitäres Recht verstoßen, ließ das Gericht nicht gelten. Die Beiträge an die UNRWA seien ihrem Wesen nach freiwilliger Natur.
Berlin hatte ohnehin letzte Woche, nach Veröffentlichung eines Prüfberichts der ehemaligen französischen Außenministerin Catherine Colonna, bekanntgegeben, seine Zahlungen an das wegen Terrorvorwürfen massiv in der Kritik stehende Hilfswerk wieder aufnehmen zu wollen, sodass der Antrag Nicaraguas zumindest in diesem Punkt obsolet geworden wäre.
Der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, Volker Beck, begrüßte den Beschluss der Richter in Den Haag. »Der Vorwurf der Beihilfe zum Völkermord ist absurd. Hier werden Gerichtsverfahren für politische Kampagnen missbraucht«.
Mit dem Spruch sei vorläufig »auch die deutsche Unterstützung legitimer israelischer Selbstverteidigung durch Waffenlieferungen an Israel bestätigt«, was wiederum Auswirkungen auf die verwaltungsgerichtlichen Verfahren in Deutschland zu Waffenlieferungen nach Israel haben dürfte, erklärte Beck.
Der DIG-Präsident sprach von einer »Instrumentalisierung« der Völkermord-Konvention durch die beim IGH eingereichten Klagen Südafrikas, Nicaraguas und Kolumbiens. »Mit großer Sorge sehen wir den Druck auf das Gericht und seiner Richterinnen und Richter. Tendenzen zur Politisierung des Völkerrechts stellen die friedensstiftende Kraft des Rechts selbst in Frage«, so Beck. (mit dpa)