Israelis sind nicht gerade bekannt dafür, geduldig anzustehen. Auch ist Israels Metropole Tel Aviv kein Mekka der günstigen Preise. Doch auf der Ibn-Gvirol-Straße Nummer 92 ist seit vergangener Woche alles anders. Ohne Murren reihen sich die Menschen in die meterlange Schlange ein, um sich bei »Cofix« bedienen zu lassen. Egal, welches Produkt die Kunden bestellen, auf die Theke legen sie fünf Schekel, umgerechnet etwa einen Euro – ob sie sich nun einen Kaffee, ein Sandwich oder frischen Orangensaft schmecken lassen.
Doch Cofix ist kein Konzept für Arme à la Suppenküche, sondern ein junges, hippes Café im Schwarzweiß-Design, das den Zeitgeist im Land auf den Punkt gebracht hat. »Gute Qualität zum kleinen Preis entsprechend dem Einkommen der ganz normalen Israelis«, erklärt Filialleiterin Maya Dreier, die gemeinsam mit ihrem Team dem Ansturm mit einem charmanten Lächeln begegnet.
Anliegen Im Durchschnitt kostet ein Kaffee zum Mitnehmen in Tel Aviv zwischen 2,20 und drei Euro, oft mehr. »Aber dies ist endlich ein reeller Preis«, sagt Chamutal Cohen, während sie die Karte mit der dicken Ziffer Fünf studiert. Im Angebot sind neben unterschiedlich belegten Sandwiches und Kaffee auch frisch gepresste Säfte, Joghurt mit Müsli, Brezel, verschiedene Kuchenteilchen und Focaccia. Die Studentin ist sogar von ihrer Unicafeteria anderes gewöhnt. »Da muss ich für einen Eiskaffee 14 Schekel berappen, hier zahle ich fast zwei Drittel weniger. Die Preise in den gewöhnlichen Lokalen sind einfach nicht normal für unsere Einkommen, alles ist völlig überteuert.«
Und dabei sei das, was im Cofix-Becher dampft, »nicht nur trinkbar«, sagt Cohen beim Herauskommen. »Es schmeckt super!« Die junge Frau hofft auf einen durchschlagenden Erfolg der Geschäftsidee. »Es wäre wundervoll, wenn es Cofix bald überall geben würde. Zehn Schekel für einen guten Kaffee und ein belegtes Brot, das kann sich fast jeder leisten.« Doch Cohen denkt nicht nur daran, täglich ihren hungrigen Magen zu füllen, sondern sieht in dem Selbstbedienungscafé ein größeres Anliegen. »Ich bin überzeugt, dass Cofix der Anfang von etwas wirklich Neuem sein könnte. Eine Art Café der sozialen Gerechtigkeit.«
Revolution Unternehmer Avi Katz, Gründer der Billigkette »Alles für einen Dollar«, hatte genau diese Idee bereits vor zwölf Jahren, wollte jedoch den richtigen Augenblick abwarten. In seinen Augen war der vor zwei Jahren noch nicht da, als die Menschen bei der sogenannten Cottage-Revolution zu Hunderttausenden auf die Straße gingen und gegen die überzogenen Lebenshaltungskosten protestierten. Doch jetzt scheint er gekommen, der Moment. Genau in dieser Zeit, wo in Sachen soziale Gerechtigkeit politischer Stillstand herrsche, die Preise immer weiter in die Höhe klettern und die Politiker zunehmend bei den Armen statt den Reichen kürzen.
Viele fragen sich, wie sich diese Preise überhaupt rechnen können, wo doch auch im Supermarkt und sogar beim Großhändler alles überteuert ist. Doch Katz erklärt, dass pro Filiale nach etwa 1000 verkauften Produkten der Punkt erreicht ist, an dem er keine Verluste macht. Verdoppelt man das, gäbe es einen schönen Profit. Man braucht sich lediglich eine halbe Stunde vor dem Cofix aufzuhalten, um zu sehen, dass das keine Zukunftsvision ist, sondern bereits jetzt blühendes Geschäft. Kommende Woche wird bereits die zweite Filiale in der King-George-Straße die Massen anlocken. Bis 2014 sollen es 100 im ganzen Land sein. Ende offen.
Gewartet Es ist ein buntes Völkchen, das hier an einer der Hauptverkehrsadern der Stadt auf den Becher Kaffee wartet. Studenten, Schüler der nahegelegenen Oberschulen auf ihren Rollern oder Fahrrädern, Geschäftsleute aus der Gegend und junge Mütter, die ihre Babys ausführen, warten plaudernd darauf, an die Reihe zu kommen. Das Innere von Cofix erinnert an eine – geschmackvoll designte – Schulcafeteria. Die Theke ist aufgemacht wie ein alter Omnibus, Sitzplätze gibt es keine, lediglich auf der Straße stehen zwei Tische mit insgesamt acht Stühlen, die permanent belegt sind. Über allem prangt die magische Fünf.
»Und die wird auch bestehen bleiben«, wie Dreier beteuert, »denn das hier ist kein Gimmick oder Lockangebot. Selbst nachts um zwölf klopfen sie noch an die Scheiben und fragen: ›Gibt’s noch Kaffee?‹ oder ›Kann ich ein Sandwich haben?‹ Das zeigt, dass die Israelis auf uns gewartet haben, und das nehmen wir sehr ernst.«
Cool David Doron ist selbstständiger Geschäftsmann und zufällig vorbeigekommen. »Ich wollte sehen, was diese Schlange mitten auf der Ibn Gvirol zu bedeuten hat, ob es hier etwas umsonst gibt.« Zwar sei das Angebot nicht gänzlich kostenlos, doch für israelische Verhältnisse so gut wie, findet er. Nachdem er das Sandwich mit Omelette verspeist, den gepressten Orangensaft ausgetrunken hat, lautet sein Urteil: »Das Preis-Leistungs-Verhältnis stimmt in jedem Fall.« Besonders gefällt Doron, dass bei Cofix das Ambiente passt. »Man muss sich nicht schämen, hier anzustehen. Es ist ein richtig cooles Konzept.«
Yossi steht ebenfalls an und ist bereits begeistert, bevor er bedient wird. »Diese Geschäftsidee verdient den Respekt der Leute«, tönt er mit lauter Stimme und lässt die fünf Silbermünzen in seiner Hand klimpern. »Das ist endlich mal keine Abzocke, wie in den vielen anderen Cafés. Der Cottage-Boykott ist tot, jetzt ist es Zeit für die Kaffee-Revolution!«