Es gibt Männer, die gehen beim Einkaufen auf dem Mahane-Jehuda-Markt in Jerusalem verloren. Das ist seit vielen Jahrzehnten so bis zum heutigen Tag. Früher oder später jedoch tauchen sie zu Hause auf, stellen die vollen Körbe ab und beklagen sich, wie lange es dauere, gute Ware zu finden.
Ihre Frauen schweigen dazu. Sie wissen, wo die Zeit verloren ging: im irakischen Teil des Marktes im »Club der Pensionäre«, gleich neben dem traditionsreichen Restaurant Azura. Hier sitzen täglich Dutzende Männer – vor sich einen Tee, Kaffee oder ein Gläschen Arak – und spielen Domino, Backgammon und Rommé.
einheimische Der irakische Markt ist einer der ältesten Teile des Mahane-Jehuda-Marktes, der seine Anfänge im späten 19. Jahrhundert hat und zwischen der stets verstopften Agrippas-Straße und der Jaffa-Straße liegt. Von den Einheimischen einfach »Schuk« genannt, fasziniert der Ort durch seine Farbigkeit und Fülle, seine Geschichte und Geschichten. Wer sich hier durch die Verkaufsgassen drängelt, fühlt sich nicht nur zu Sukkot ans Schlaraffenland erinnert: Die Holzregale quellen über von den je nach Jahreszeit kunstvoll geschichteten Gemüsen und Früchten.
Es gibt jede Art von Nüssen und getrocknetem Obst, und es werden Gewürze angeboten, deren Namen fremd und deren Gerüche verführerisch sind. Andere Stände biegen sich unter frisch gebackener Pita, Challa, Weißbrotstangen, gefüllten Teigtaschen und süßen Rugelach. Es riecht nach Kaffee, Pfefferminze, Koriander und Petersilie und nach Fisch, Fleisch und Käse, nach Gebratenem und Gebackenem. Mehr als 250 Stände sollen es insgesamt sein, einige der Händler verkaufen schon seit Generationen hier.
Königreich So wie etwa der Gewürzhandel »Rosmarin« von Uriel in der Etz-Hachaim-Straße, den sein Großvater 1953 eröffnet hat. »Schon als Siebenjähriger habe ich gelernt, wie man die besten Gewürze mischt«, sagt der junge Mann. In dem engen Geschäft stapeln sich große Gläser mit farbenfrohen Gewürzen bis unter die Decke. Er sei drei Jahre fort gewesen, sagt er. »Aber damals wurde mir klar, wie sehr ich diesen Ort und die Arbeit liebe.« Uriel ist seit Kurzem auch weit über die Grenzen Israels hinaus berühmt geworden. Die beiden Köche, der Israeli Yotam Ottolenghi und der Palästinenser Sami Tamimi, haben ihn in ihrem Bestseller Jerusalem: Das Kochbuch mit einem Foto geehrt.
Institutionen sind auch die Traditionsbäckerei der Familie Hava und der Fischhändler David in der kleinen Mandelgasse. Hier bekommen die Kunden nicht nur die besten Fische, sondern dazu noch Tipps zur Zubereitung und Rezepte. Auch das »Königreich des Halva« gehört zu den bekannten Geschäften. Ein marokkanischer Jude hat den ersten Laden bereits 1947 in der Jerusalemer Altstadt eröffnet, erzählt der 60-jährige Roni Barak, ein Verkäufer, der mit einer Papierkrone auf dem Kopf Halva zum Probieren anbietet. Der ehemalige Hotelangestellte kann jedem auf den Kopf zusagen, welche Art Halva ihm gut tut und schmeckt. »Frauen lieben es mit Walnüssen, alte Menschen bevorzugen Pistazie.« Für ihn gibt es nichts Gesünderes als Halva, sagt er. »Wir machen das Beste: 80 Prozent Sesam, zehn Prozent Zucker und zehn Prozent der jeweiligen Zutat.«
Etrog Ein Geheimtipp unter den Einheimischen ist der winzige Laden von Uzi Eli-Chezi, einem aus dem Jemen stammenden gewichtigen, bärtigen Mann, der auch der »Etrog-Mann« genannt wird. Etrog ist eine Zitrusfrucht, die speziell zu Sukkot in Israel verkauft wird. Damit werden die Laubhütten dekoriert, aber Uzi hält das für pure Verschwendung, »denn die Etrog-Frucht besitzt Heilkräfte«. Sie sei gut gegen Rückenschmerzen, Kopfweh, Akne und Unfruchtbarkeit, um nur einige Beispiele zu nennen. Bei ihm bekommt man deshalb Säfte gemixt mit der Riesenzitrone, aber auch Sprays und Lotionen, Puder, Extrakte und Essenzen.
Uzi bietet zudem seine Dienste als Medizinmann an. Die Gabe sei ihm vererbt worden, sagt der warmherzige Verkäufer. Seine Spezialität sind Depressionen, die er wegbläst – im wahrsten Sinne des Wortes: Er pustet den Kunden ins Gesicht. Bei härteren Fällen nimmt er ein Ziegenhorn, an dem eine Glocke befestigt ist, und lässt es dreimal über dem Kopf des Patienten kreisen. »Es ist kompletter Unsinn, aber es wirkt«, lacht die 24-jährige Oshri, die Uzi geheilt hat und die manchmal bei ihm arbeitet. Am Morgen sei die Warteschlange besonders lang: Einige brauchen einen Saft wegen ihrer Zipperlein. Andere einfach, weil sie einen Kater haben.
Trinken Der Kater mag vom Abend zuvor kommen, den viele, vor allem junge Leute ebenfalls im Schuk verbringen. Denn sobald die Händler ihre Geschäfte geschlossen haben, öffnen hier Bars und Restaurants. Es war der ehemalige Marktleiter Eli Mizrahi, der 2002 mit seinem »Café Mizrahi« diesen Trend gesetzt hat, um den Markt nach dem Bombenattentat wieder zu beleben.
Dies, und dass es inzwischen auch Boutiquen gibt, findet nicht bei jedem der Händler Anklang. »Touristen schauen, aber kaufen nicht«, sagt einer, aber es sieht nicht so aus, als liefen die Geschäfte auf dem Mahane-Jehuda-Markt schlecht: Es herrscht Gewusel und Gedränge, man sieht Ultraorthodoxe, Familien, Hausfrauen, Frauen in Miniröcken, coole Jungs und alte Männer mit Körben, die es – wie es scheint – sehr eilig haben.