Nach der Veröffentlichung eines Armeevideos aus dem Gazastreifen gewinnt der Ruf nach einem Abkommen zur Freilassung der verbliebenen Geiseln neue Dringlichkeit. In Tel Aviv demonstrierten erneut Tausende Menschen für einen Deal zwischen Israel und der Terrororganisation Hamas, um die Entführten zurück in ihre Heimat zu bringen.
Die israelische Armee hatte zuvor ein Video veröffentlicht, das jenen Tunnel im Gazastreifen zeigt, in dem sechs israelische Hamas-Geiseln gefangengehalten und getötet worden waren. Die indirekten Verhandlungen zur Freilassung der Geiseln im Gazastreifen, bei denen die USA, Ägypten und Katar vermitteln, drehen sich seit Monaten im Kreis.
Unterdessen rufen die USA Israels Sicherheitskräfte zu «fundamentalen Änderungen» ihrer Vorgehensweise im Westjordanland auf. Anlass ist der Tod einer US-Bürgerin, die bei Protesten getötet wurde. Das israelische Militär räumte ein, für den Tod der propalästinensischen Aktivistin im Westjordanland in der vergangenen Woche verantwortlich zu sein. Sie wurde israelischen Angaben zufolge nach bisherigen Erkenntnissen unabsichtlich erschossen.
Video zeigt Blutlachen in Geisel-Tunnel
Armeesprecher Daniel Hagari schildert in dem vom Militär veröffentlichten Video beklemmende Umstände in dem Tunnel, aus dem die sechs Geisel-Leichen Anfang September geborgen worden waren. Der Weg in den in 20 Meter Tiefe gelegenen Tunnel führe von einem Zugang in einem Kinderzimmer über Leitern nach unten, sagt Hagari.
Er steht in einem ausgebombten Raum, an dessen Wänden noch bunte Zeichentrickfiguren zu sehen sind. Der enge und niedrige Tunnel führe über eine Länge von etwa 120 Meter zu einer Eisentür. «Hier wurden die Geiseln gefangengehalten und ermordet», sagt Hagari in dem etwa dreieinhalb Minuten langen Video.
Der Armeesprecher zeigt sichergestelltes Material - Waffenmagazine, Akkus und Koran-Ausgaben der Hamas, ein Schachspiel und Kleidungsstücke. «Das ist ihr Blut», sagt Hagari im Video und zeigte auf große dunkle Flecken auf dem Boden des Tunnels.
«Sie waren hier, über Wochen und Monate, in diesem Tunnel ohne Luft, in dem man nicht aufrecht stehen kann.» Noch immer seien 101 Geiseln in der Gewalt der Hamas, «einige von ihnen lebendig» und in ähnlichen Tunneln gefangen.
Angehörige: Aufnahme ist schockierend
In einer Stellungnahme des Forums der Angehörigen hieß es, die Aufnahme sei schockierend. Die verbliebenen Geiseln müssten «unvorstellbares Leid ertragen». Und: «Jeder Tag, der vergeht, ist eine Gefahr für ihr Leben, das an einem Faden hängt.»
Bei den Protesten für einen Deal mit der Hamas sagte der Vater einer getöteten Geisel, «das jüdische Ideal der Rettung eines Lebens steht über allem». Er sei gekommen, um sich dem Schrei der 101 Familien der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln anzuschließen, «zu denen ich nicht mehr gehöre», wurde er von der Zeitung «Haaretz» zitiert.
USA pochen auf Änderungen bei Israels Vorgehen im Westjordanland
Nach dem Tod der Aktivistin mit amerikanisch-türkischer Staatsbürgerschaft im Westjordanland rief US-Außenminister Antony Blinken das israelische Militär zu «fundamentalen Änderungen» seiner Vorgehensweise auf, einschließlich seiner Regeln zum Einsatz von Waffen. Auch US-Verteidigungsminister Lloyd Austin forderte seinen israelischen Amtskollegen Joav Gallant in einem Telefonat auf, die Regeln des Militärs bei Einsätzen im Westjordanland zu überprüfen.
«Wir sehen seit langem Berichte über Sicherheitskräfte, die wegschauen, wenn extremistische Siedler Gewalt gegen Palästinenser anwenden. Wir haben Berichte über exzessive Gewalt durch israelische Sicherheitskräfte gegen Palästinenser gesehen und jetzt haben wir den zweiten US-Staatsbürger, der von israelischen Sicherheitskräften getötet wird. Das ist inakzeptabel», sagte Blinken in London.
Das israelische Militär hatte mitgeteilt, man bedauere den Tod der Aktivistin zutiefst und untersuche den Vorfall. Die Schüsse der Soldaten hätten dem Hauptverantwortlichen der gewaltsamen Proteste gegolten. US-Präsident Joe Biden sagte laut Reportern: «Augenscheinlich war es ein Unfall.» Die Frau sei aus Versehen getroffen worden.
Trump und Harris liefern sich Schlagabtausch zu Nahost
Der Konflikt im Nahen Osten wurde in der Nacht auch beim ersten TV-Duell der beiden US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump und Kamala Harris thematisiert. «Sollte sie Präsidentin sein, glaube ich, dass Israel in zwei Jahren nicht mehr existieren wird», sagte Trump über seine demokratische Kontrahentin. «Sie hasst Israel und gleichzeitig, auf ihre Weise, die arabische Bevölkerung, denn alles wird in die Luft fliegen.»
Harris verurteilte in der Debatte das Massaker mit rund 1.200 Toten, das die Hamas und andere Terroristen am 7. Oktober in Israel angerichtet hatten und den Gaza-Krieg auslöste. Vor diesem Hintergrund betonte sie erneut das Recht Israels, sich selbst zu verteidigen, sagte aber zugleich, dass im Gaza-Krieg viel zu viele unschuldige Palästinenser - darunter Kinder und Mütter - getötet worden seien. «Was wir wissen ist, dass dieser Krieg beendet werden muss», sagte Harris. Es brauche ein Abkommen für eine Waffenruhe und die Freilassung der Geiseln aus den Händen der Hamas. Harris sprach sich für eine Zweistaatenlösung aus, die sowohl für Israel als auch für die Palästinenser Sicherheit schaffe.
Der Gaza-Krieg ist ein wichtiges Thema im US-Wahlkampf. In den USA gibt es angesichts der verheerenden Lage der Zivilbevölkerung im Gazastreifen und der hohen Zahl ziviler Opfer harsche Kritik am militärischen Vorgehen Israels.