Sie sind auf dem Weg nach Den Haag. Ihre Lieben auf Plakaten, T-Shirts und fest in den Herzen dabei. Etwa 100 Angehörige von Geiseln, die noch immer in Gaza festgehalten werden, fliegen am Mittwoch in die Niederlande, um »Gerechtigkeit zu fordern«, wie sie es sagen. Sie wollen am Internationalen Strafgerichtshof (IStGH) Klage wegen Kriegsverbrechen gegen die Anführer der Terrororganisation Hamas einreichen, erklärte das Forum für Familien von Geiseln und Vermissten.
Die Anwälte des Forums hatten in den vergangenen Monaten eine Klageschrift vorbereitet, mit der die Familien Haftbefehle gegen die Terror-Chefs erwirken wollen, unter anderem wegen »Entführung, Verbrechen sexueller Gewalt, Folter und anderen schwerwiegenden Gräueltaten des 7. Oktobers«, hieß es in einer Erklärung des Forums. Mehrere Dutzend Anwälte werden zusammen mit den Vertretern der Familien die Beschwerde einreichen.
Haftbefehle sollen Druck auf Hamas-Anführer ausüben
Das Forum erklärte, das kurzfristige Ziel der Beschwerde sei es, die Haftbefehle auszustellen, um Druck auszuüben, dass die Gekidnappten freigelassen werden, und langfristig als Herstellung der Gerechtigkeit für die Opfer und ihre Familien. Die Einreichung wurden von Shelly Aviv Yeini des Minerva Zentrums an der Universität Haifa und dem Rechtsanwalt Yuval Sasson in Zusammenarbeit mit dem Raoul-Wallenberg-Institut für Menschenrechte ausgearbeitet.
An dem als Schwarzen Schabbat bezeichneten Tag waren in den frühen Morgenstunden Tausende von Hamas-Terroristen völlig überraschend in südliche israelische Gemeinden gestürmt und hatten verheerende Blutbäder angerichtet. Mehr als 1200 Menschen wurden ermordet, weitere rund 250 Männer, Frauen und Kinder, die meisten Zivilisten, wurden in den Gazastreifen entführt. Noch immer sind dort - seit mittlerweile 131 Tagen - 134 Geiseln. Jedoch seien nach Angaben der israelischen Armee nicht mehr alle am Leben.
»Genug! Solche Verbrechen dürfen nicht das Erbe der Menschheit sein.«
ofri Bibas, schwester der geisel yarden bibas
Der Chefankläger am IStGH, Karim Khan, hatte bei seinem Besuch in den betroffenen Gemeinden in Israel bereits angekündigt, dass er eine Untersuchung der Taten der Hamas durchführen werde. Die Angehörigen könnten die Ermittlungen gegen die Terrororganisation vorantreiben, hatte er damals erklärt. Der IStGH kann einzelne Personen wegen schwerwiegender Verstöße gegen die Genfer Konventionen, die Kriegsverbrechen darstellen, strafrechtlich verfolgen.
Es ist der Morgen des 131. Tages, den die Geiseln in der Gewalt der Hamas sind. Vor dem Flugzeug der nationalen Linie El Al halten die Familien auf dem Rollfeld des Ben-Gurion-Flughafens eine kurze Pressekonferenz ab. »Heute schreiben wir Geschichte, wenn wir nach Den Haag zum Internationalen Strafgerichtshof fliegen«, sagt Ofri Bibas, die Schwester von Yarden Bibas, der Geisel in Gaza ist. »Dies ist ein sehr wichtiger Schritt in unserem Kampf, als Bürger unserer Nation und als Bürger der Welt zu rufen: Genug! Solche Verbrechen dürfen nicht das Erbe der Menschheit sein.«
Und wenn jemand für einen Moment vergesse, warum der Kampf wichtig sei, »soll er die Augen schließen und sich meine beiden kleinen rothaarigen Neffen vorstellen, die mit ihrem bezaubernden Lächeln und ihrem unschuldigen Lachen in mörderischer Gefangenschaft gehalten werden«, erinnert sie. Es sei nicht nur die Geschichte der Familie. »Wenn wir es nicht stoppen, könnte es morgen die Geschichte der ganzen Welt sein.« Bibas fordert »die gesamte Menschheit auf, zusammenzuhalten gegen eine globale Terrorarmee, von der die Hamas auf ihrer Mission nur eine Einheit ist«.
Die gesamte Familie Bibas ist noch in der Gewalt der Hamas
Während sie spricht, hält sie das Poster ihrer Familie in der Hand, darauf vier Gesichter – das von Yarden, seiner Frau Shiri und den kleinen Söhnen Ariel (4) und Kfir (ein Jahr). Sie alle sind noch in der Gewalt der Terroristen.
Inbar Goldstein, die Schwester von Nadav Goldstein, auch er Geisel, erkärt, dass sie sich im Interesse ihres Bruders, aller Geiseln und aus einem Gefühl der nationalen Pflicht auf den Weg mache. »Wir reisen, um den Schreien jener Gehör zu verschaffen, deren Stimmen nicht gehört werden. Jene, die in ihren Häusern, in Autos und auf Feldern abgeschlachtet wurden, jene, die bei der Verteidigung ihrer Gemeinden fielen. Und auch jene, die sich derzeit in den Händen hasserfüllter Monster befinden«, so die junge Israelin. »Wir reisen, um sicherzustellen, dass wir nicht nur Zeugen der sich entfaltenden Geschichte sind, sondern sie auch aktiv mitschreiben – in unseren eigenen Worten.«