In der Armee sind wir alle gleich.» Das ist ein Satz, den die meisten Israelis unterschreiben würden. Ob arm oder reich, sefardisch oder aschkenasisch, aus der Stadt oder der Peripherie, politisch rechts, Mitte oder links eingestellt: «Zahal», die israelische Verteidigungsarmee, ist die Seele Israels und verbindet die Menschen aller Gesellschaftsschichten. Bis jetzt. Teile der Armee sind in Aufruhr ob der geplanten radikalen Umgestaltung der Justiz.
Es sei die schwerste Krise seit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973, meinen viele hochrangige Offiziere in Reserve und schließen sich den Protesten gegen die Regierung in Jerusalem an. Doch nicht nur bei Demonstrationen und Kundgebungen. Immer mehr Reservisten erklären, dass sie «nicht in einer Diktatur dienen» werden.
VETERANEN Am Freitag protestierten Hunderte von Veteranen des Schin-Bet-Sicherheitsdienstes und der Eliteeinheit Sayeret Matkal, die durch den Einsatz in Entebbe legendär wurde, vor dem Privathaus von Avi Dichter, einem ehemaligen Chef des Inlandsgeheimdienstes und jetzt Landwirtschaftsminister.
Manche Proteste zielen darauf ab, an das Gewissen jener Mitglieder der Koalition zu appellieren, die auf eine langjährige Karriere in den Sicherheitsdiensten zurückblicken, wie Dichter, Verteidigungsminister Yoav Gallant und der einstige Armeepilot Yoav Kisch, heute Chef im Bildungsressort.
Ein Armeepilot sagte in einem Zeitungsinterview: «Früher habe ich einen Tag pro Woche Reservedienst geleistet. Ich weigere mich und gehe jetzt einmal wöchentlich zur Demonstration vor dem Haus meines ehemaligen Kommandanten Kisch. Bislang jedoch ohne Erfolg.»
Auch rund 150 Reservisten, die als Cyberspezialisten fungieren, gaben am Freitag bekannt, dass sie sich nicht mehr zum Dienst melden werden. Am Montag hatten mehr als 200 Militärärzte in Reserve einen Brief an Gallant, Stabschef Herzl Halevi und den leitenden medizinischen Offizier, Elon Glassberg, geschickt und erläutert, warum sie sich weigern wollen: Sie könnten nicht darauf vertrauen, dass «die derzeitige Regierung innerhalb der Grenzen eines breiten demokratischen nationalen Konsenses handelt und gleichzeitig den demokratischen und egalitären Charakter des Staates Israel beibehält».
LUFTWAFFE Nur einen Tag zuvor hatte die überwältigende Mehrheit der Reservepiloten einer Eliteeinheit der Luftwaffe ihren Kommandeuren mitgeteilt, dass sie aus Protest gegen den «Justizputsch der Regierung» in der kommenden Woche nicht am Training teilnehmen werde. Air Force Squadron 69 ist eine der führenden Einheiten der Luftstreitkräfte, die die modernen F-15 Thunderbird-Flugzeuge betreibt, die als Langstrecken-Angriffsoption der Armee dienen. Das Elitegeschwader war beispielsweise 2007 am Angriff auf den Atomreaktor in Syrien beteiligt und immer wieder gegen die Aktivitäten des Iran und der Hisbollah in Syrien im Einsatz.
Unterdessen forderten alle ehemaligen Kommandeure der israelischen Luftwaffe, Amikam Norkin, Amir Eshel, Ido Nehustan, Eliezer Shkedi, Dan Halutz, Eitan Ben Eliahu, Herzl Bodinger, Avihai Ben Nun, David Ivri und Dan Tolokovsky, den Premierminister auf, «alle Gesetze zur Überholung des Rechtssystems einzustellen und so schnell wie möglich eine Lösung für die Situation zu finden». In dem Schreiben drückten die pensionierten Kommandeure ihre «tiefe Besorgnis über die Prozesse aus, die jetzt in der Luftwaffe und im Staat Israel stattfinden». All das stelle «eine konkrete Gefahr für die nationale Sicherheit» dar.
Stabschef Halevi hatte jedoch bereits Tage zuvor appelliert, «die Meinungsverschiedenheiten außen vor zu lassen» und die Armee nicht einzubeziehen. Der Parteichef der Nationalen Einheit, Benny Gantz, ehemaliger Stabschef und Verteidigungsminister, forderte die Reservistensoldaten ebenfalls auf, auch inmitten der Protestwelle zum Dienst zu erscheinen. Er verstehe die Gefühle der Reservisten und Aktiven, rufe sie jedoch auf, sich nicht zu verweigern und das Land sowohl mit Protesten als auch im Militärdienst zu schützen. «Trotz der Schmerzen.»
Gleichsam ruft Gantz weiterhin zu Massenprotesten gegen die Justizreform auf. Ebenso wie Oppositionsführer Yair Lapid von der Partei Jesch Atid. Auch er sprach sich gegen die Verweigerung des Armeedienstes aus, genauso wie der Ex-Stabschef Gadi Eizenkot und der Vorsitzende der Partei Israel Beiteinu, Avigdor Lieberman.
KOALITION Ein Mitglied der Koalition jedoch hatte eine andere Botschaft parat. Am jüdischen Feiertag zitierte Kommunikationsminister Shlomo Karhi vom Likud einen Text aus der Purim-Geschichte: «Denen, die sich weigern zu dienen, sagen wir, was Mordechai zu Esther gesagt hat: ›Gewinn und Erlösung werden für die Juden von einem anderen Ort kommen, und das Haus deines Vaters wird zerstört werden‹.» Dem fügte der Minister noch hinzu: «Das Volk Israel wird ohne euch auskommen, und ihr könnt zur Hölle fahren.» Die Reform werde voranschreiten, «denn für diese Bewegung sind wir an die Macht gekommen».
Am Dienstag dann verschaffte sich eine andere Gruppe in der Armee Gehör. 6000 Reservisten unterzeichneten eine Petition, in der sie ihre Verpflichtung bekräftigen, das Land zu verteidigen. «Wir, die derzeitigen Reservisten, die alle Teile der Nation in allen Rängen und Rollen und aus dem gesamten politischen Spektrum vertreten, bleiben und werden weiterhin als Reservesoldaten in der israelische Armee dienen.» Und weiter heißt es: «Trotz der aktuellen Kämpfe in der Zivilgesellschaft sehen wir die Bedeutung der Armee bei der Verteidigung des Vaterlandes.»
Einer der Organisatoren der Eingabe, Oded Harush, dient als Reserve-Panzerkommandant. Er sagte in einem Interview mit dem Fernsehkanal 12: «Wir haben beschlossen, die Petition zu erstellen, und in zwei Tagen gab es 4000 Unterschriften von Reservisten. Vier Tage später waren es schon 6000.»
Alle ehemaligen Luftwaffenchefs drückten
ihre «tiefe Besorgnis» aus.
«Die Aussage ist sehr einfach: ›Lasst die Armee aus der Diskussion heraus.‹ Es geht um die grundlegende Sicherheit eines jeden Bürgers in diesem Land, das kann nicht nach einer Agenda funktionieren», hob Harush hervor. «Es kann nicht sein, dass das nächste Mal, wenn ich meinen Soldaten ›weiter‹ sage, jeder zuerst seine politische Meinung überprüfen muss.»
Trotzdem ließen Piloten und Navigatoren bei einem Gespräch mit dem Stabschef wissen, dass «die meisten Reservisten-Flugbesatzungen aufhören werden zu fliegen, wenn die Gesetze zur Schwächung des Rechtssystems verabschiedet werden». Halevi hatte sich mit 20 Vertretern von Flugstaffeln und Führungseinheiten der Luftwaffe getroffen.
Der Ministerpräsident reagierte auf die Ankündigung der Reservisten ebenfalls mit einer Nachricht. In den sozialen Netzwerken schrieb er unter ein Foto aus seiner Zeit als Reservist: «Wenn wir in die Reserve gerufen werden, gehen wir immer. Wir sind eine Nation». Außerdem sagte Netanjahu bei einer Veranstaltung zu Purim, dass die «Drohung der Reservisten eine existenzielle Bedrohung für Israel» sei. «Aber ich bin überzeugt, dass wir darüber hinwegkommen werden», fügte er hinzu. Denn die «israelische Gesellschaft hat Wehrdienstverweigerer immer abgelehnt und den gemeinsamen Dienst geheiligt».
Die Organisatoren hinter den protestierenden Reservisten konterten: «Lügen Sie uns nichts von ›Zusammenhalt‹ vor, wenn Sie einen gewalttätigen diktatorischen Putsch anführen! Nennen Sie uns nicht ›aufsässig‹ und nennen Sie uns nicht eine ›existenzielle Bedrohung‹», hieß es in der Erklärung. «Wir werden nicht in einer Diktatur dienen.»