Porträt

»Gebt uns keine Chance«

Ian Kinsler aus Arizona ist Second Baseman für das israelische Team. Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS

Ganz oben in der Welt des Baseballs war Eric Holtz nicht, aber der 55-Jährige kennt sich aus. Er ist Cheftrainer der israelischen Baseball-Nationalmannschaft, die den jüdischen Staat bei den Olympischen Spielen in Tokio vertreten wird. Ob man sein Team ernst nehmen sollte, wurde Holtz gefragt. »Nein, das sollten Sie nicht«, war die Antwort. »Ich fände es besser, wenn Sie das nicht tun würden.«

Dass Israel keine nennenswerte Baseballtradition besitzt, ist bekannt, aber es gibt immerhin zwei Gründe, warum es doch eine olympische Medaille holen könnte. Zum einen nehmen nur sechs Teams an dem Turnier teil; bei drei Medaillen ist das eine extrem hohe Wahrscheinlichkeit. Zum anderen finden sich tatsächlich Namen im Team Israel, die in der Baseballwelt einen guten Klang haben.

EX-PROFIS Ian Kinsler etwa, ein Ex-Profi der amerikanischen Major League Baseball (MLB), hat dort einmal die World Series gewonnen, wurde viermal zum All Star gewählt, hat zweimal den Gold Glove Award erhalten – eine große Nummer also. Seit zwei Jahren ist Kinsler israelischer Staatsbürger. Mit dabei ist auch Danny Valencia, der acht Jahre lang in der MLB spielte. Ty Kelly war drei Jahre lang in dieser Königsliga des Baseballs, und Jeremy Bleich hat immerhin ein Jahr in der MLB gespielt. Kinsler aber ist 39 Jahre alt, Valencia 36, Bleich 34 und Kelly 32. Alle haben ihre Profikarriere hinter sich, denn die MLB verbietet es ihren Profis, an solchen Turnieren teilzunehmen. Das bedeutet etwa, dass Dean Kremer, israelisch-amerikanisches Riesentalent beim MLB-Club Baltimore Orioles, nicht teilnehmen darf.

Die amerikanischen Team-Mitglieder nahmen die israelische Staatsbürgerschaft an.

Das Team Israel hat mit Unterstützung des Jewish National Fund–USA gezielt jüdische Ex-Profis angesprochen, ob sie nicht für das Heilige Land noch einmal antreten wollen und – das sehen die Regeln der Olympischen Spiele vor – dafür auch gleich die israelische Staatsbürgerschaft annehmen. So kam auch Jon Moscot (29) ins Team, der nur eine Saison in der MLB spielte und sich gleich für die Alija entschied. Angeworben wurden nicht nur Ex-MLB-Profis, sondern auch Baseballspieler aus den Minor Leagues, den niedrigeren Profiligen. Und tatsächlich gibt es auch Sabres im Team, in Israel geborene Juden, die ihre Baseballerfahrung entweder USA-Aufenthalten verdanken oder aber den sporadischen Versuchen, Baseball, teils sogar Profibaseball, in Israel zu etablieren. Solche Anläufe hatte es tatsächlich schon öfter gegeben, sie waren aber allesamt gescheitert.

Mit seinen vielen Ex-Profis wird Israel nicht gerade das jüngste Team im olympischen Turnier stellen, aber dafür mangelt es nicht an Erfahrung. Das gilt für die einzelnen Spieler, aber auch für das Team an sich: 2017 sorgte es für ein »Wunder« (so der »Forward«), als es beim World Baseball Classic in Tokio seine ersten sechs Spiele gewann. Der Lauf ließ sich nicht halten, aber am Ende sprang Platz sechs heraus. Das Team Israel gewann bei diesem – zugegeben nicht allerwichtigsten – Turnier tatsächlich gegen Baseballnationen wie Südkorea oder Kuba. Damals kam die Idee auf, sich für Olympia zu qualifizieren, berichtet Eric Holtz.

STOLZ Bei der Europameisterschaft 2019 in Bulgarien (B-Gruppe) gewann Israel alle fünf Spiele. Bei der EM der A-Gruppe in Deutschland wurde Israel dann Vierter; auch Gastgeber Deutschland wurde besiegt. Holtz: »Nach Deutschland zu gehen, ein Land, in das wir vor 80 Jahren nicht hineingelassen worden wären, und nicht nur dorthin zu gehen, sondern dort aufzutreten und sie auf ihrem eigenen Platz zu besiegen, ja, das war schon bedeutend.« Ex-Profi Jeremy Bleich, dessen Großeltern die Schoa überlebten, sieht diesen Aspekt auch. »Beim israelischen Olympiateam mitzumachen, hat es mir erlaubt, stolz auf meine Familie und ihre Entwicklung zu sein und dabei zugleich Baseball zu spielen«, sagte Bleich dem »Pittsburgh Jewish Chronicle«. 2020 gab es in Italien noch ein letztes Qualifikationsturnier für die Olympischen Spiele – da konnte Israel endgültig das Ticket lösen.

Was die bunte Truppe in Japan erwartet, ist noch sehr unsicher. Mindestens ein Spiel des Baseballturniers soll in Fukushima stattfinden, jener Stadt, in der es vor zehn Jahren in einem Atomkraftwerk zur Kernschmelze gekommen war. Der Ort gilt weiterhin als radioaktiv belastet. Sportlich trifft Israel in der Vorrunde auf Südkorea und die USA. Während die USA mit dem gleichen Problem zu kämpfen haben wie Israel, dass nämlich die MLB-Profis nicht teilnehmen dürfen, hat die südkoreanische Profiliga für Olympia eine Auszeit genommen, damit die Stars zum Turnier kommen. Das gilt auch für die Profiliga des Gastgeberlandes Japan, das mit Mexiko und der Dominikanischen Republik die andere Vorrundengruppe bildet.

Aufmerksamkeit im Gastgeberland bekommt die blau-weiße Baseballtruppe jetzt schon.

»Das Besondere an diesem Team ist, dass es eine Teamchemie aufgebaut hat«, sagte Zack Raab, ein israelischer Fan, dem »Forward«. Dieser gute Zusammenhalt basiere auf dem gemeinsamen Judentum. »Ich weiß nicht, ob eine andere Mannschaft so eine Teamchemie erreichen kann.« Frankie Sachs, der sich im Team Israel um die PR kümmert, berichtet, dass sich das Team während der harten Zeiten des Corona-Lockdowns regelmäßig auf Zoom getroffen hat. Dort sei nicht nur über Baseball gesprochen worden, sondern es seien auch Freundschaften vertieft worden, es wurde von Familiengeschichten erzählt, und auch die jüdische Identität sei gestärkt worden.

MASKOTTCHEN Die Pandemie sorgt dafür, dass das Maskottchen, ein Fan, der in einem Kostüm steckt, das »Mensch on the Bench« heißt, nicht nach Japan reisen darf: Auswärtige Zuschauer dürfen allesamt nicht einreisen.

Aufmerksamkeit im Gastgeberland bekommt die blau-weiße Baseballtruppe aber jetzt schon. Die Tageszeitung »Japan Times« vergleicht das Team mit den jamaikanischen Bobfahrern, die 1988 bei den Olympischen Winterspielen für Furore sorgten und über die auch der Spielfilm Cool Runnings gedreht wurde. Wie die Jamaikaner damals kämen die Israelis aus einem Land, das diesen Sport nicht kenne und dessen Regierung auch kein Geld für so etwas lockermache.

Tatsächlich stammt der Olympia-Haushalt Israels noch aus dem Jahr 2018, als die Pläne für olympisches Baseball noch nicht konkret waren. Die Vermutung der »Japan Times«, Israels Olympiaauftritt habe »das Zeug zu einem Hollywood-Film«, dürfte gleichwohl übertrieben sein. Aber Eric Holtz, der Cheftrainer, freut sich. »Mir wäre es lieber, wenn uns niemand ernst nehmen und wenn uns niemand eine Chance geben würde«, sagt er. »Danach sehen wir, wie es ausgeht.«

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